Eine junge Frau träumt sich nach dem Ersten Weltkrieg in eine andere Welt: „Die Purpursegel“ bietet neben viel Kunst auch Kitsch.

Der italienische Regisseur Pietro Marcello gilt als Arthouse-Entdeckung, seitdem er 2019 Jack Londons Roman „Martin Eden“ von San Francisco nach Neapel verlegte und auch dank eingebauter Dokumentaraufnahmen zum filmischen Gedankenraum über einen Künstler weitete, der an der Gesellschaft scheitert.

Von Grenzgängen und Gegensätzen handelt auch „Die Purpursegel“, sehr frei nach dem Roman von Aleksandr Grin. Es ist nicht nur das kleine Holzschiff mit besagtem Segel, das Juliette (Juliette Jouan) von ihrem Vater Raphaël (Raphaël Thiéry), einem humpelnden Heimkehrer aus dem Ersten Weltkrieg, geschnitzt bekommt, das gar nicht in die gräulich-braune Tristesse der nordfranzösischen Picardie passt.

„Die Purpursegel“: Feine Kunstwerke aus groben Händen

Das Schiff steht auch für die wolkigen Träume des Mädchens, das sich mit Gedichten, Klavier und Gesang aus der bäuerlichen Gegend mit den kantigen Typen, von denen einer nach einer Vergewaltigung den Tod ihrer Mutter auf dem Gewissen hat, wegdenkt.

Während ihr auf den ersten Blick grobschlächtiger Vater mit zotteligem Bart, narbigem Gesicht und groben Händen aus Holz die feinsten Kunstwerke drechselt und auf dem Gehöft der zupackenden Adeline (Noémi Lvovsky) das Glück einer Ersatzfamilie pflegt, schauen die Dorfbewohner mit Skepsis auf diesen „Hof der Wunder“ und treiben Raphael als Sinnbild kollektiver Schuld wie eine Sau durchs Dorf.

„Die Purpursegel“: Wilder Abenteurer fällt vom Himmel

Das hätte eine schöne Studie über Verlust und Leiden der Kriegsheimkehrer werden könne, zumal Marcello schöne Archivaufnahmen von selbigen hineinschneidet. Doch zu sehr kapriziert er sich auf Juliettes Innenwelt, deren erwachende Sehnsucht nach Ausbruch wir über 20 Jahre in zahllosen Gegenlichtaufnahmen erleben dürfen.

Allzu aufdringlich dringen dazu besagtes Schiff und ein Flugzeug ins Bild, aus dem tatsächlich ein wilder Abenteurer vom Himmel fällt. Wenn dieser beim Bade sich dann in die singende halbnackte Sirene Juliette verliebt, ist die Grenze zum Kitsch überschritten. So wird aus Arthouse nur eine Art bemühtes Kunstkino.