Hamburg. Glänzendes Burgtheater-Ensemble eröffnet Festival mit hochkonzentriertem Stück. Akustische Störungen trüben das Vergnügen.
Am schönsten sind eigentlich diese hübsch bösen Seitenhiebe. Mal kommen sie als vergiftetes Kompliment daher („Das ist eine, der man beinahe ihre Mutter verzeihen könnte“), mal geht es selbstironisch gegen Arthur Schnitzlers eigene Zunft, wenn sich eine doch einigermaßen überhebliche Unternehmerfigur zum Beispiel fragt, „ob die Dichter nicht meistens nur aus gewissen inneren Mängeln Dichter werden“ oder sich vorstellt, dass viele Dichter „geborene Verbrecher“ seien – „nur ohne die nötige Courage. Oder Wüstlinge, die sich aber nicht gern in Unkosten stürzen.“
Die gemeinsten Wahrheiten in eine Pointe zu verpacken, eine saturierte Gesellschaft vorzuführen, ihr dabei aber noch das allgemeingültig Menschliche abzulauschen – wahrscheinlich macht genau das Schnitzlers Tragikomödie „Das weite Land“ zu einem so glänzenden Theaterstück.
Hamburger Theater Festival: „Ein Fest der Schauspielerinnen und Schauspieler“
Es vor einem sich explizit als bürgerlich verstehenden Publikum zum Auftakt des Hamburger Theater Festivals anzusetzen, präsentiert nicht nur „ein großes Fest des Theaters, ein Fest der Schauspielerinnen und Schauspieler“, wie Festivalleiter Nikolaus Besch zur Eröffnung verspricht. Es spielt natürlich, insbesondere in dem sich ganz auf den Text verlassenden Arrangement von Barbara Frey, auch mit dem Spiegel-Effekt. Da passiert dann schon ein erkennendes Auflachen im Parkett des ausverkauften Deutschen Schauspielhauses, wenn es an einer Stelle heißt, die große Liebe der Frauen seien nicht die Ehemänner, sondern die Söhne. Gefolgt von der Warnung: „Auch Söhne werden Männer!“
Wiener Burgtheater bringt das erste von sieben hochkarätig besetzten Gastspielen
„Das weite Land“, eine Koproduktion des Wiener Burgtheaters und der Ruhrtriennale, ist nun also das erste von sieben erstklassig besetzten Gastspielen aus dem deutschsprachigen Raum, die Besch auf verschiedene Hamburger Bühnen geladen hat. Ein irgendwie rührend altmodisches Konversationsstück, das fast genauso auch schon vor Jahren oder Jahrzehnten über die Bühnen hätte gehen können.
Dem Abend allerdings nimmt diese Beobachtung nichts von seiner Scharfsinnigkeit. Denn obwohl Barbara Frey ihr Ensemble einen 113 Jahre alten Text fast schon statisch in einem ganz und gar reduzierten Bühnenbild aus einem Gazevorhang und ein paar schweren Ledersesseln erzählen lässt, aus einer Zeit, in der man sich noch um die Ehre duellierte, werden dabei Abhängigkeiten, Verhältnisse, Moralvorstellungen und Rollenzuschreibungen auf verblüffend frische Art seziert.
Hamburger Theater Festival: Das Charisma und die Präzision des Ensembles sind famos
Einen so lustvoll gepflegten Ennui wie den der hier porträtierten Gesellschaft fast zweieinhalb Stunden auszukosten, ohne dass er in Langeweile abdriftet, ist schon eine Kunst. Was einerseits natürlich am Charisma, vor allem aber auch an der Präzision der famosen Spielerinnen und Spieler liegt.
Michael Maertens moduliert als Fabrikant Friedrich seinen Text derart eigenwillig, dass man den Wendungen seines Egos und dessen Kränkung geradezu atemlos folgt. Birgit Minichmayr als seine Frau Genia, die kurzfristig für die erkrankte Kollegin Katharina Lorenz eingesprungen ist, vermag die Bühne schon mit einem kaum wahrnehmbaren Kräuseln ihrer Lippen zu dominieren. Und die Beziehung dieser beiden ist nicht die einzig toxische.
Michael Maertens: „Das Leben ist doch eine komplizierte Einrichtung. Aber interessant.“
Felix Kammerer, der zuletzt im für neun Oscars nominierten Kinofilm „Im Westen nichts Neues“ für Furore sorgte, glüht geradezu als Genias junger Liebhaber Otto; der israelische Schauspieler Itay Tiran als Doktor Mauer eröffnet durch sein enorm verdichtetes Spiel, nur durch Blicke oder sanftes Hinüberlehnen auf einer Sessellehne ganze Möglichkeitsräume. Bibiana Beglau spielt in einer Doppelrolle ganz allein die Entfremdung und so tiefe wie routiniert kaschierte Verletzung eines Ehepaares. Und man stimmt der Einschätzung des Glühbirnenfabrikanten Friedrich zu: „Das Leben ist doch eine komplizierte Einrichtung. Aber interessant. Sehr interessant.“
Nicht nur dieses Erleuchtungsexperten wegen muss unbedingt auch das kluge, in mancherlei Hinsicht erhellende Zusammenspiel der Bühne (Martin Zehetgruber) mit dem Lichtkonzept von Rainer Küng erwähnt werden. Da sabotieren Figuren schon durch ihr plötzliches Aufscheinen hinter dem halb durchsichtigen Vorhang vermeintlich intime Dialoge und Balzrituale.
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Theater Festival: Handys während der Vorstellung zu nutzen, ist respektlos
Weniger schön allerdings ist das Eindringen akustischer Störgeräusche, die eindeutig nicht zur Inszenierung gehören. Man muss es anscheinend immer wieder sagen: Eine Theatervorstellung ist eine Live-Angelegenheit, während der echte Menschen vorn auf der Bühne stehen. Es ist maximal respektlos, sein Handy klingeln oder auch nur brummen zu lassen – aber fast noch schlimmer (weil kaum als Versehen zu erklären), es mehrfach herunterfallen zu lassen.
Die Irritation ist den Schauspielerinnen und Schauspielern deutlich anzusehen, als ausgerechnet in einer der konzentriertesten Szenen kurz vor Schluss auch noch Hinterbühnenplaudereien die Intensität stören. Aber die Beherrschung der kaum ignorierbaren Situation beweist auch hier die Souveränität des Burgtheater-Ensembles. Und der besonders heftige, begeisterte Applaus zeigt, dass auch der Großteil des Hamburger Publikums nicht gewillt ist, diesem Teil des Abends zu viel Aufmerksamkeit zu schenken.
Das Hamburger Theater Festival läuft noch bis zum 15. Juni. Höchstens Restkarten gibt es noch für „Der Theatermacher“ vom Berliner Ensemble am 1. Juni (Schauspielhaus), für „Angabe der Person“ vom Deutschen Theater am 2. und 3. Juni (Thalia Theater) sind noch Karten zu haben.