Hamburg. Der Schweizer Regisseur Thom Luz inszeniert am Schauspielhaus Hamburg „Die acht Oktavhefte“. Ein Gespräch.

Der Schweizer Thom Luz wurde mit poetischen und sehr musikalischen Theaterabenden voller Magie zum erfolgreichsten Regisseur seines Landes. Er inszeniert auf Festivals genauso wie am Stadttheater. Nun präsentiert er mit „Die acht Oktavhefte“ nach Franz Kafka erstmals eine Arbeit am Deutschen Schauspielhaus. Eine Begegnung.

Hamburger Abendblatt: Manche sehen Ihre Theaterarbeiten ästhetisch in einer Nachfolge von Christoph Marthaler. Ist das ein Kompliment für Sie

Thom Luz: Ja, natürlich. Ich sehe, wo es vielleicht eine Verwandtschaft gibt, bin aber auch froh, dass man mir eine Eigenständigkeit attestiert. Während ich an der Zürcher Hochschule der Künste Schauspiel studiert habe, war Christoph Intendant am Schauspielhaus Zürich. Da gab es auf einmal eine völlig andere Art, Geschichten oder auch keine Geschichten zu erzählen. Wir waren als Schauspielstudierende darauf ausgerichtet, zu schauen, wo ist der Konflikt. Was macht das mit meiner Figur. Seine Arbeit war das Gegenteil davon, das hat uns provoziert und in­spiriert.

Wie suchen Sie sich Ihre Stoffe? Es sind ja Entwicklungen für die freie Szene dabei, die auch beim Internationalen Sommerfestival in Hamburg zu sehen waren. Aber es gibt auch Stücke wie „Der Zauberberg“ und nun eben „Die acht Oktavhefte“ nach Kafka.

Die Stoffe finden mich. Das ist eine Art Magnetismus. Bei „Lieder ohne Worte“ war es der widersprüchliche Titel – denn was ist ein Lied ohne Worte? – der bei mir sofort eine Fantasie freisetzte. Manchmal kommen die Ideen aus einer Trotzhaltung. Ich habe Freude daran, dort eine Geschichte zu entdecken, wo man sie nicht vermutet.

Was interessiert Sie an Kafkas „Die acht Oktavhefte“, diesen fragmentarischen Vorarbeiten für spätere Erzählungen?

Das Fragmentarische und der musikalische Zugang sind Dinge, die mir immer entgegenkommen. Ich mache ja eher eine Art Pastiche, lege Fragmente zueinander, sodass man eine eigene Geschichte entdeckt. Ich mag es, wenn auf der Bühne etwas geschieht, das mich mitnimmt und einlädt, Dinge zu entdecken, die ich sehe und die Person neben mir vielleicht noch nicht. Wenn es „Raum zum Träumen“ gibt, wie David Lynch sagt. „Die acht Oktavhefte“ sind ja die Notizbücher von Franz Kafka, und hier hat man es mit teils durchgestrichenen Sätzen, abgerissenen Gedanken zu tun. Das ist eine Mischung aus Tagebuch, Zeichnungen, Notizen oder Skizzen. Man kann ihm beim Denken zuschauen. Es fängt an mit „Jeder Mensch trägt ein Zimmer in sich. Diese Tatsache kann man sogar durch das Gehör nachprüfen“. Da wusste ich, ich muss das machen. Langsam setzt sich eine Erzählung zusammen, die sich aber immer entzieht. Kafka sieht durch die Welt wie durch Glas und entdeckt dahinter etwas, was er selbst nicht versteht, ein neues Rätsel.

Es wird aber eher keine klassischen Figuren auf der Bühne geben?

Es gibt eine Geschichte zu entdecken, die einfach ist, aber auf unüblichen Wegen erzählt wird. Wir leben in einer Zeit, in der wir entdecken, in was für eine komplizierte und verwinkelte Geschichte wir als Menschheit eingespannt sind. Wir kennen unsere Position darin, und es zeichnet sich ein mögliches Ende ab. Es ist aber kein klassisches Happy End. Die Menschen sehnen sich nach einfachen Geschichten, die sie verstehen im Theater und in der Politik. Aber die Welt ist keine gute, klare, einfache Geschichte.

Was gibt es denn in „Die acht Oktavhefte“ auf der Bühne zu sehen?

Es gibt eine leere Bühne, und dann kommt eine Schar von Arbeitern und fängt an, nach einem Plan, der sich mir als Zuschauer aber erst mal nicht erschließt, etwas aufzubauen. Ich beobachte das und entdecke da einen Stuhl, dort eine Stadtmauer, dahinter eine Art Himmel, dann Mutter und Vater, und so geht es weiter. Das Rätselraten macht mir als Zuschauer großen Spaß – und ich hoffe, anderen auch.

Sie mögen es nicht, wenn es zu schauspielerisch ist, haben Sie einmal gesagt. Hier haben Sie nun Schauspieler vor sich. Was dürfen die nicht?

Ich möchte auf keinen Fall Verbote aussprechen. Die Stücke sind ja sinfonisch gedacht. Vieles geschieht gleichzeitig: Musik, Klang, Licht, Bewegung, Texte. Und da ist das klassische Schauspiel, das die Hauptaufmerksamkeit für sich beansprucht, manchmal zu dosieren. In der Erzählung muss man sich als Schauspielerin oder Schauspieler einfügen, wie eine Flöte oder eine Harfe sich in einem Orchester in eine Komposition einfügt, wo auch mal eine Stille, ein Nachhall wichtig wird. Es geht darum, dass da Schauspielerinnen und Schauspieler mit Hingabe etwas tun, was ich vielleicht noch nicht ganz verstehe, aber ich schaue ihnen gerne dabei zu. Und plötzlich verstehe ich es auch.

Der Auf- und Abbau interessiert Sie nach eigener Aussage am Theater oft mehr als das Stück selbst. Warum?

Mit der Schulklasse hatten wir eine Führung durch das Opernhaus Zürich. Mich hat das nachhaltig beeindruckt. Ich habe die Erwachsenenwelt vorher als etwas fast feindlich Rationales erlebt. Und auf einmal gibt es ein Haus, in dem lauter erwachsene Menschen diese Traumwelten aufbauen. Diese Faszination zieht sich bis in meine heutige Arbeit.

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  • Wie finden Sie einen musikalischen Zugang zu einem Stoff oder einem Abend?

    Das ist ein alchemistischer Prozess. Mein musikalischer Leiter Mathias Weibel und ich haben da fast schon eine symbiotische Ko-Autorenschaft. Wir haben beide Freude daran, das Offensichtliche wegzulassen. Hier bei Kafka haben wir das allzu Biografische ausgespart. Mathias war es aber wichtig, dass über die Musik, etwa über Leoš Janáček, eine tschechische Klangfarbe hineinkommt und dass es auch Verweise auf jüdische Musiktraditionen gibt – oder in die Operettenwelt. Kafka liebte die leichte Muse.

    Was hat Sie ursprünglich am Theater inter­essiert?

    Ab dem Moment des Erstkontaktes mit dieser Kunstform war es klar. Das gesamte Feld, wie man Welten kreiert, hat mich wahnsinnig interessiert. Ich bin aber froh, nicht Regie studiert zu haben. Mein Weg zum Regieberuf war ein Umweg, ich bin Quereinsteiger, wie viele Künstler, die mich beeinflusst haben. Raumgestaltung, Klangdesign, Musik und Textautorenschaft fließen bei mir ineinander.

    Welche Funktion hat der Nebel für Sie, den Sie ja gerne und häufig einsetzen und der Ihren Arbeiten etwas Installatives gibt? Sie haben ja sogar Nebelmaschinen gesammelt.

    Mich fasziniert der Gegensatz, und mich interessieren poetisch-technische Vorgänge. Es ist eine Maschine, aber sie produziert Nebel, also etwas Poetisches, Nutzloses. Oft geht es in meinen Stücken ja um die Wahrnehmung selbst. Bei Kafka geht es aber um eine Klarheit, die manchmal schwer zu entschlüsseln ist. Seine Sprache ist ja nicht impressionistisch-melancholisch, sondern klar und einfach. In „Die acht Oktavhefte“ kommt der Nebel deshalb gar nicht vor.

    „Die acht Oktavhefte“ Premiere 24.2., 19.30 Uhr, Deutsches Schauspielhaus, Karten unter www.schauspielhaus.de