Hamburg. Glückwunsch, Krümelmonster! Die „Sesamstraße“ feiert 50. – wie Hamburger Museen das Jubiläum feiern.

Wenn man als Erwachsener heute einen Weg in die „Sesamstraße“ sucht, auf solche Ideen kann man anlässlich des 50. Geburtstags ja kommen, klickt man Youtube an. Man hat ja als Konsument hier den unbegrenzten Zugang in die Abenteuer des digitalen Entertainments, den man als Erziehungsberechtigter seinen Kindern strikt untersagt. Man wählt eine Folge aus, der Einfachheit halber die bislang jüngste, und dann ist man drin im famosen Bildungsfernsehen für Zwerge und Artverwandtes. Hier sich zurechtzufinden ist nicht schwer, auch deswegen, weil man ja selbst mal Zwerg war. Den Motto-Song für Wissbegierige gibt’s, na klar, immer noch, wenn auch akustisch aufgeputzt: „Der, die, das/Wer, wie, was?/Wieso, weshalb, warum?/Wer nicht fragt bleibt dumm“.

Es bricht die Kindheit über einen herein. Die vermutlich neben dem „Sandmännchen“ – wir hatten doch nüscht, wir Kinder des privatsender- und internetlosen Zeitalters! – erste Medienerfahrung, die die „Sesamstraße“ war, hat fraglos Spuren hinterlassen. Man kennt sie halt alle noch, besonders, wenn man regelmäßig Umgang mit Kindern hat. Elmo und Pferd zum Beispiel, die sich in der ersten Szene darüber streiten, wer mehr Brause im Glas hat. Wie aufgekratzt die „Monster“ reden, die beiden unterschiedlichen Freunde, es treibt einem ja fast die Freudentränen in die Augen. Die Puppen verrichten noch immer ihren Job, wackeln durch die quietschbunte Szenerie als Agenten unschlagbarer Kinderfröhlichkeit – und machen einen tatsächlich schlauer.

„Sesamstraße“: Ein vollendetes Spaßbad

Nach Elmo und dem Pferd kabbeln sich Ernie und Bert („Du, Bert, schläfst du schon?“ – „Natürlich noch nicht, sonst könnte ich ja wohl nicht mehr antworten“) und verabreichen dabei eine Lektion unbestechlicher Logik. Später wird dann auch noch die Sache mit den unterschiedlich vollen Gläsern per Experiment geklärt, „Limo-Wissenschaft“ heißt diese Folge. Die Streitereien der beiden „Sesamstraßen“-Posterboys haben noch nie darüber hinweggetäuscht, um was es der „Sesamstraße“ grundsätzlich geht: den Einbezug wirklich aller. Aller Kinder, und um das zu bewerkstelligen, ist die „Sesamstraße“ immer das gewesen, was die Welt der Erwachsenen leider nie sein kann: ein vollendetes Spaßbad, in dem das Lachen die Schaumkrone ist, die sich auf die Planscherei des Lernens setzt.

Sind sie jetzt 50 oder bald 54 Jahre alt? Egal, Ernie (natürlich links) und Bert altern sowieso nicht.
Sind sie jetzt 50 oder bald 54 Jahre alt? Egal, Ernie (natürlich links) und Bert altern sowieso nicht. © picture alliance / dpa | picture alliance

Heute schauen die eigenen Kinder „Sesamstraße“, jene Erfolgssendung, die 1969 in den USA ins pädagogische Programm gehoben wurde und drei Jahre später in Deutschland. Am 8. Januar 1973 ging die deutsche Version erstmals über den Sender. Wenn eine Sendung (mehr als) fünf Jahrzehnte lang ein immer wieder neues Publikum findet, dann ist das gerade mit Blick auf die Konkurrenz im Kinderfunk eine gigantische Sache. Anders gesagt, ist „Sesamstraße“ der Klassiker, der heute immer noch so frisch wirkt, als wäre er eben erst in einer Redaktionskonferenz erfunden worden.

Die Bayern wollten den US-Import zunächst nicht

Wie inklusiv die „Sesamstraße“ ist, lässt sich an der eingesetzten Gebärdensprache ablesen, aber auch am sozialen Tableau: Alle Gesellschaftsschichte spielen hier seit je eine Rolle. Beim NDR erkannte man des Potenzial des US-Produkts und übernahm die Eindeutschung, was zunächst gleichbedeutend mit einer Synchronisation der amerikanischen Folgen war. Ab 1978 wurde die Rahmenhandlung in Wandsbek gedreht.

Rumpel (links) und Samson 1999 im Studio Hamburg.
Rumpel (links) und Samson 1999 im Studio Hamburg. © epd | Markus Beck

Da lief „Sesamstraße“ dann auch in den süddeutschen Bundesländern, die das amerikanische Konzept anfänglich noch nicht so recht verstanden hatten. Allen voran der Bayerische Rundfunk konnte mir Graf Zahl, dem Krümelmonster und Kermit dem Frosch zunächst nicht so viel anfangen. US-Slums seien nichts für bayerische Kinder, befand man im Süden der Republik. Auf „in der Sendung auftretende Neger“ wollte man auch gern verzichten. Eine Klientel dafür gäbe es in Bayern angeblich nicht. Stattdessen entwickelt man dort die Kinderserie „Kli-Kla-Klawitter“. Die andere Konkurrenz der „Sesamstraße“, „Die Sendung mit der Maus“, ist übrigens noch zwei Jahre älter und wurde erstmals 1971 gesendet.

Produziert wird die deutsche „Sesamstraße“ in Hamburg

In Hamburg wird der runde Geburtstag der „Sesamstraße“ nun besonders gefeiert. Das Museum für Kunst und Gewerbe ab Mai eine große Sonderausstellung. Am 8. Januar ist ein Aktionstag mit Elmo, Ernie, Bert, Knet- und Bastelworkshops sowie einer Malstation geplant. Fraglos sind Kinder die am meisten geeigneten Auskunftgeber, was die Magie der Sesamstraßen-Bewohner angeht. Oder Erwachsene, die einmal Kinder waren. „Ich war schon immer dem Kinderfernsehen sehr zugetan“, sagt der zuständige NDR-Redakteur Holger Hermesmeyer, „die ,Sesamstraße‘ habe ich von Anfang an geliebt, aber auch die ,Rappelkiste‘ hat mich sehr geprägt.“

Bernhard Hoëcker sagt: „Die erste Sendung ist wohl vor meiner Bewusstseinserweiterung gelaufen. Wir hatten erst ab Ende der 70er-Jahre einen Fernseher. Irgendwann kam meine Schwester mal weinend von den Nachbarn rübergelaufen, und mein Vater sagte: Wir müssen wissen, was unsere Kinder da gucken.“ Danach gab es bei Hoëckers zu Hause ein kleines Schwarzweiß-Gerät, ich fand die ,Sesamstraße‘ von Anfang an total gut“, erinnert sich der Comedian. Hoëcker ist unter vielen anderen bei der Jubiläumssendung zu Gast, die NDR, ARD und KiKa der „Sesamstraße“ widmen.

„Sesamstraße“: Beim Personal gab es oft Veränderungen

Um was geht es denn den großen Leuten, die Programm für kleine Leute machen? Die Sendung, erklärt NDR-Mann Hermesmeyer, wolle die kognitive, emotionale und soziale Entwicklung der Kinder fördern und dabei Themen wie Mut, Angst und Traurigkeit ansprechen. Beim Personal habe es im Laufe der vergangenes 50 Jahre manche Änderung gegeben. In den 60er- und 70er-Jahren sei das Kindefernsehen manchmal „etwas onkelhaft“ gewesen. „Wir kümmern und heute um andere Themen, erzählen mit anderen Menschen neue Geschichten. Im Grunde hat jede Generation ihre eigene ,Sesamstraße‘.“

Ein wichtiger Teil sind für den 53-jährigen Hermesmeyer die Lieder in der Sendung, sie seien „ein tolles Mittel, um Kinder zu erreichen.“ Der „Quietscheentchen“-Song, „Hätt‘ ich dich heut‘ erwartet, hätt‘ ich Kuchen da“ sind tatsächlich sehr populär geworden. Das gilt eigentlich auch für das von drei kleinen Puppen gesungene „Mahnah Mahnah“. Bevor es seinen Weg in die US-„Sesame Street“ fand, illustrierte er allerdings musikalisch den Softporno „Svezia, inferno e paradiso“, in dem es um allerlei schwedische Freikörper-Traditionen ging. Interessant, wo Programmmacher damals recherchierten.

Comedian Bernhard Hoëcker: Wundern über die Klamotten von früher

Hermesmeyer, auch als Angestellter eines öffentlich-rechtlichen Senders im Quotendruck, macht sich etwas Sorgen um die Zukunft. Wie soll man weitermachen, wenn das Fernsehen zunehmend an Bedeutung verliert? Viele schauen das Programm auf YouTube, in der Mediathek, im Internet, mit der App. Hilft das den Sendern, vor allem dem federführenden NDR, weiter? Jetzt wird sich aber erst einmal ausschließlich gefreut; ein Fest hat sich die „Sesamstraße“, die so lange in Dienst ist, allemal verdient. „Am liebsten“, sagt Hermesmeyer, „würde ich mit allen Figuren aus diesen 50 Jahren feiern, auf einem grün-gelben U-Boot mit einer Monster-Blaskapelle und einer sehr großen Torte.“

„Sesamstraßen“-Fan Bernhard Hoëcker wäre da sicher mit dabei. Der 52-Jährige ist bei der Wiederbegegnung mit den allerersten Folgen ins Stauen geraten. „Wenn man sich anguckt, was für Klamotten die trugen und was für Themen die hatten! Natürlich gab das in Deutschland Diskussionen“, berichtet Hoëcker.

Es gab auch farbige Schauspieler zu sehen

Wie man so schön sagt: Langlebige TV-Sendungen sind immer auch ein Spiegel der Gesellschaft. Längst nicht nur in modischer Hinsicht. Aber eine Kontinuität gibt es von damals bis heute: Die Kinder sind die Heldinnen und Helden. Hoëcker wird am Geburtstag Sendungen aus den 70er-Jahren noch einmal vorstellen. In den frühen schwarzweißen Folgen gibt es noch Straßenszenen mit Bob, Gordon, dem Ladenbesitzer Herrn Huber und Bibo. Es mache Spaß, erzählt Hoëcker, dieses Bild von der Gesellschaft noch einmal zu sehen – „die Erwachsenen in ihren Anzügen sind meistens etwas steif, am Ende sind die Kinder fast immer die Klügeren. Sie spielten zum Beispiel so lange herum, bis die Eltern sich beschwerten, weil sie das unmöglich fanden. Aber dann kam halt der Familienhund und kackte auf den Boden“.

„Sesamstraße“, 1980: Tiffy und Liselotte Pulver.
„Sesamstraße“, 1980: Tiffy und Liselotte Pulver. © Picture Alliance/United Archives | Valdmanis

In einigen Szenen habe es damals eben auch schwarze Schauspieler zu sehen gegeben. „Das war damals für uns alles neu“, sagt Hoëcker. Bald schon bevölkerten aber auch viele deutsche Schauspieler die Sendung: Henning Venske, Horst Jansen, Lieselotte Pulver, Uwe Friedrichsen und Manfred Krug waren da zu sehen.

Sesamstraße: Das Kind steht im Mittelpunkt

In den ersten Folgen wurde sehr viel Wert darauf gelegt, dass die Kinder Zahlen und Buchstaben lernten, heute geht es in der „Sesamstraße“ eher um soziales und emotionales Lernen. Was immer gilt, ist: Wissen muss auch in die bildungsfernen Schichten vermittelt werden. Es mag ein wenig nach Sozialkitsch klingen, aber das Nicht-Elitäre des öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrags, der eben auch für Kinder gilt, die noch nicht mal in die Schule gehen, ist möglicherweise ein guter Klebstoff, der die Gesellschaft zusammenhält. Wer „Sesamstraße“ schaut, kann doch später eigentlich kein schlechter Mensch werden!

Für Hoëcker ist der Kern der „Sesamstraße“, bei allen Veränderungen im Laufe der Jahre,was den Ablauf der Sendungen und das menschliche und monströse Personal angeht: „Das Kind steht im Mittelpunkt, ist selbstverantwortlich und hat ein Recht auf sein eigenes Leben. In Kindern steckt so viel. Wir müssen es nur finden und herauslassen.“

Hoëcker war bislang in zwei „Sesamstraßen“-Folgen zu Gast. In der einen hat er mit den Puppen Pferd und Rumpel Spaghetti gekocht und jongliert. In der anderen saß er in einem Casino und hat mit Bernd, dem Brot, Poker gespielt. Dann kam ein Bestatter herein und nahm schon mal Maß bei Bernd. Der sagte aber nur: „Geh weg!“ zu ihm. Hoëcker: „Das ist für mich eins der lustigsten Zitate überhaupt im deutschen Fernsehen. Wir mussten die Szene wohl 15 mal abbrechen und neu drehen.“

Das Museum für Kunst und Gewerbe feiert am 8. Januar von 10 bis 18 Uhr einen Aktionstag. Alle Festivitäten auf www.sesamstrasse.de