Frankfurt am Main. „Crystal“, die neue Show des globalen kanadischen Zirkus, vereint Ende März erstmals in Hamburg Theater, Poesie, Eislauf und Livemusik.

Als der Straßenkünstler Guy Laliberté in der kanadischen Provinz Quebec mit einigen Gleichgesinnten vor vier Jahrzehnten den Cirque du Soleil gründete, schwebte dem späteren Milliardär und Weltraumtouristen eine Mischung aus verschiedenen Kulturen, Kunst und Akrobatik vor. Davon ist an diesem frühen Nachmittag in der Frankfurter Festhalle zunächst kaum etwas zu sehen.

Ein Teil der „Gut Stubb“, wie die Hessen den mehr als 110 Jahre alten Kuppelbau auf dem Messegelände liebevoll nennen, gleicht einer riesigen Abstellkammer, einem großen Materialdepot. Im Neonlicht schlängelt sich die Besuchergruppe vorbei an Aluminiumbäumen, an Riesenschaufeln, bunten Sofas, Rampen, Schulbänken, zahlreichen Hockeyschlägern, Matratzen und Rollcontainern. Es riecht nach Reinigungsmittel.

Eine völlig neue Nummer: Eiskunstläuferin trifft Luftakrobat.
Eine völlig neue Nummer: Eiskunstläuferin trifft Luftakrobat. © Matt Beard Photography

Lediglich ein durchsichtiger Konzertflügel lässt Glanz erahnen, ehe der Blick zwischen schweren Vorhängen und einer unförmigen Bühnenwand hindurch fällt. In der anderen Hälfte der Festhalle liegt eine Eisfläche. Noch ist sie eher grau statt weiß.

Cirque du Soleil wagt sich erstmals aufs Eis

„Lasst uns in den Wahnsinn gehen!“ Mit diesen Worten hatte Christine Achampong auf Englisch scherzhaft gewarnt, als sie die Tür zur kühlen Festhalle öffnete. Mitten in der Einrichtungsphase von „Crystal“ (sprich: „Christel“) für die Frankfurter Premiere. Achampong ist Produktionsleiterin der wohl bisher aufwendigsten Show des Cirque du Soleil, der insgesamt 42. des trotz und auch nach Corona weltumspannenden „Sonnenzirkus“ aus Kanada.

In der Festhalle trainieren Artisten einarmige Handstände, in der temporär entstandenen Kostümabteilung im Untergeschoss erhalten Perücken neue Locken, Mitarbeiterinnen reparieren zerrissene Bühnenoutfits unter den 600 Kostümen, manche der fast 100 an der Produktion Beteiligten – laut der Produktionsleiterin sind 18 Sprachen vertreten – laben sich sich im Catering-Raum.

Gerüste, die für Akrobatik aufs Eis gefahren werden, sind Teil der Show.
Gerüste, die für Akrobatik aufs Eis gefahren werden, sind Teil der Show. © Matt Beard Photography

Noch braucht es einiges an Fantasie, um zu ermessen, dass in der „Gut Stubb“ in wenigen Stunden – Energiekrise hin oder her – der Cirque du Soleil einige Tausend Menschen in eine zauberhafte künstliche Winterwunderwelt entführen wird: „Crystal“ ist ein Spektakel, das auf der seiner Tournee 2022/23 Ende März auch für sieben Termine in der Hamburger Barclays Arena gastieren wird. Eine bunte und opulente Inszenierung, in Teilen ein Märchen für Erwachsene.

Erstmals wagt sich der Cirque du Soleil damit aufs Eis. „Crystal“ erzählt die Geschichte eines eigenwilligen Mädchens, das auf einem See Schlittschuh laufen geht, durchs Eis bricht und sich in einer Spiegelwelt wiederfindet. Crystal erinnert an „Alice im Wunderland“, ein bisschen an Dorothy aus „The Wizard of Oz“, die Show gleicht zuweilen einem modernen Selbstfindungstrip. So oder so ist es eine Ode auf die Macht der Fantasie.

Cirque du Soleil: Nach der Pause gewinnt die Show an Tempo und Dramatik

Und sie bietet Raum und (Eis-)Fläche für geschickt arrangierte Kindheitserinnerungen, für Stummfilmkomik, mal was zum Staunen und Schwelgen und musikalisch für opulente Walzerklänge, für von einer Band live gespielten mitreißenden Gypsy-Swing, aber auch für Coverversionen von Pop-Hits wie Sias „Chandelier“. All jene Requisiten, die nachmittags scheinbar unnütz irgendwo hinter der großen Bühne im Weg standen, bekommen in der glitzernden Show Bedeutung.

Bereits bei der Eröffnungsnummer wetteifern Eisläufer und Artisten mit ihren Sprüngen und Drehungen um die Gunst des Publikums. Hockeyspieler jagen über Rampen und schrauben sich mit Salti in die Luft. Auf dem Eis trifft Akrobatik auf klassischen Paarlauf, Jonglage auf Extrem-Eislauf, Stangenakrobatik auf Stepptanz, Balancierkunst auf Trapez-Artistik.

Auch neu: Eine dreiköpfige Band begleitet live fast die ganze Show auf dem Eis – bis auf einige Pop-Cover-Hits.
Auch neu: Eine dreiköpfige Band begleitet live fast die ganze Show auf dem Eis – bis auf einige Pop-Cover-Hits. © Matt Beard Photography

Obwohl Projektionen an der großen Bühnenwand die Risse auf dem Eis beeindruckend real wirken lassen, bedarf es doch einiger Fantasie, der Geschichte der Protagonistin zu folgen. Sie wird von mehreren Darstellerinnen gespielt. die zirzensisch durchaus feinen Artistik-Nummern der weiteren Künstler fügen sich manchmal nicht direkt in die Handlung.

Doch nach der Pause ist das Eis auch beim Publikum gebrochen, gewinnt die Show an Tempo und Dramatik. In der Nummer „Ballroom“ verkörpert Eiskunstläuferin Hjordis Lee die Hauptfigur Crystal; in einer Art Pas de deux tanzt sie mit dem Akrobaten Darren Trull, der an einem Seil von der Decke, hängt zu Beyoncés „Halo“, wirbelt mit ihm dann in luftiger Höhe. Atemberaubend und betörend – in einem Rausch aus Klängen und Farben verschmelzen Eiskunst und Akrobatik. Hat man so noch nicht gesehen!

Die Hauptfigur Crystal wird von mehreren Eisläuferinnen verkörpert.
Die Hauptfigur Crystal wird von mehreren Eisläuferinnen verkörpert. © Matt Beard Photography

Auch Stina Martini nicht. Der künstlerische „Ballroom“ gehört zu den Lieblingsszenen der zierlichen Eiskunstläuferin. Seit März 2022 gehört sie zu diesem rund 40-köpfigen Cirque-du-Soleil-Ensemble. „Wenn ich so etwas nicht mache, wann dann“, sagte sich sich, als die Anfrage kam. „Das ist eine der besten Shows, die ich je gesehen habe“, hat sie schon am Nachmittag vor der Frankfurt-Premiere geäußert, als auf der Eisfläche Trull und Hjordis Lee die „Ballroom“-Szene geprobt haben.

Martini ist schon eine ganze Weile im Showgeschäft und vor der Pandemie fast auf der ganzen Welt herumgekommen. Dreimal war die 29-Jährige aus Graz mit Severin Kiefer österreichische Paarlaufmeisterin, war hernach bei der fünften Staffel der Sat1.-Show „Dancing on Ice“ dabei und tourte mit „Disney on Ice“.

Hebefiguren sind bei „Crystal“ Teil des akrobatischen Spektakels auf dem Eis.
Hebefiguren sind bei „Crystal“ Teil des akrobatischen Spektakels auf dem Eis. © Matt Beard Photography

Stina Martini ist eine von 15 Eisläuferinnen und Eisläufern im Ensemble. Sie spielt mehrere Rollen und Szenen. Beim „Liebeswerben“ kann sie mit ihrem (neuen) Partner in einer bezaubernden Eistanz-Nummer glänzen, im „Käfig der Reflexionen“ gibt sie kringelnd einen der Schattencharaktere der Figur Crystal. Dass sich Stina Martini mehrmals fix hinter der Bühne in einem kleinen Zelt umziehen muss, bleibt dem Publikum verborgen. Nur ein kleiner Teil der großen Show.

Cirque du Soleil: „Crystal“ Do 30.3.. 20.00, Fr 31.3., 16.00 und 20.00, Sa 1.4., 16.00 und 20.00, So 2.4., 13.00 und 17.00, Barclays Arena (S Stellingen + Bus-Shuttle), Sylvesterallee 10, Karten zu 61,75 (erm. 51,60) bis 112,90 in der Hamburger-Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18–32; https://www.cirquedusoleil.com
Die Reise nach Frankfurt am Main wurde unterstützt von Live Nation.