Hamburg. Ex-„Tagesthemen“-Moderator schreibt jetzt auch Krimi-Bestseller und könnte bei „Wetten, dass ..?“ auftreten. Eine Gratulation zum 80.

Für anderthalb Jahrzehnte und zwei Monate war er Teil der Inneneinrichtung einer Nation, wie verwachsen mit sicher nicht wenigen Schrankwänden. Aus denen heraus wünschte er wieder und wieder und immer mit einem leicht angedeuteten Babysitter-Lächeln „einen angenehmen Abend und eine geruhsame Nacht“. Ulrich Wickert (mit 1,96 Meter Körperhöhe, das Ego nicht mitgerechnet, schon rein physisch schwer übersehbar) war eines der prägenden gesamtdeutschen, öffentlich-rechtlichen Sandmännchen.

Der letzte Mensch, den man vorm Schlafengehen noch sah. Ein naher, doch immer ferner Verwandter, der aus dem Flimmerkasten heraus den Rest der Welt in hinnehmbaren Portionen servierte und geduldig erklärte. Alles Wichtige hat in knapp 30 Minuten zu passen, und jetzt, meine Damen und Herren: das Wetter.

Ulrich Wickert: "Ich wurde aus Zufall Journalist"

Die „Tagesthemen“ zu moderieren war schon damals, als Wickert am 1. Juli 1991 erstmals als der Wunsch-Nachfolger von Hajo Friedrichs auf Sendung ging, ein Hochamt der ARD – und ist es immer noch. Über die Premiere nörgelte die „Mitteldeutsche Zeitung“: „Leider ohne Glanz: Ulrich Wickert als Tagesthemen-Moderator aufgeregt und überhastet.“

Lediglich ein Job zum Geldverdienen war diese Aufgabe wohl nie für Wickert, dafür ist der Journalist, der Sachbuch- und Krimi-Autor und Meinungshaber schon viel zu früh im Leben politisiert worden.

Jura hat er studiert, der in Tokio geborene Diplomatensohn, spätere Stationen waren Heidelberg und Paris. Auch aus diesem Wickert hätte also etwas sehr Ordentliches werden können. Er wurde: Journalist. „Ich wollte frei sein und wurde wahrscheinlich aus Zufall Journalist. Als ich anfing, war das ein Beruf, den man nach Ansicht bürgerlicher Eltern nicht ergreifen sollte.“ Die ideale Einladung für einen wie Wickert.

Wickert schrieb auch für die „Rhein-Neckar-Zeitung“

Seine späteren Themenvorlieben ließen sich biografisch nicht vermeiden, eine Weiche dafür wurde besonders früh gestellt: Sein erster Artikel, mit 14 für die „Rhein-Neckar-Zeitung“ geschrieben, hatte den Pariser Eiffelturm als Hauptcharakter. Den Rest dieser Prägung erledigte zuerst die Zeit, als er in den USA Stipendiat war, und später die jeweils sich ändernde Gegenwart, in der er lebte und sich fragte, wie Politik läuft und warum.

Ohne großes Nachdenken fallen sofort zwei sehr unterschiedliche TV-Momente mit Wickert ein: Wie er todesmutig und frohgemut durch den Verkehr auf dem Place de la Concorde spazierte, als wäre er tief im deutschen Wald und nicht mitten unter vielen ziemlich ungebremsten Franzosen am Steuer.

Wickert hatte auch am 11. September 2001 Dienst

Wickert war es andererseits auch, der am 11. September 2001 Dienst hatte, als in New York der Anschlag auf die Zwillingstürme des World Trade Centers verübt wurde und durch diesen Terror-Akt eine Zeitenwende begann. Über dem eingeblendeten Foto neben ihm stand „Katastrophe“

. „Wenn man direkt in so eine Sendung geht, versucht man, alle eigenen Gefühle zurückzustecken und sich auf die Fakten zu konzentrieren“, sagte er in einer Doku, „bloß keine eigenen Gefühle zeigen.“

Einer seiner damaligen Gesprächspartner war der spätere ZDF-Anchorman Claus Kleber. Wickerts „Tagesthemen“-Nachfolger wurde 2006 ein gewisser Tom Buhrow, inzwischen WDR-Intendant. Ein Karriereschritt, der Wickerts Ding nicht war.

Wickert wurde zum Präsidentenwahl-Erklärer

Denn neben dem seriösen Nachrichten-Wickert gab und gibt es aber auch immer den anderen: den Uli, der es sich gern nett machte, auf der Arbeit und mit seinen herausgepickten Themen. Da seine Schreibtische jahrelang in Washington, New York und Paris standen, gab es für die privaten Vorlieben und Interessen durchaus fadere Orte im Korrespondenten-Netz der ARD.

Mit seiner Expertise beim Thema französischer Käse hätte Wickert wahrscheinlich bei „Wetten, dass ..?“ auftreten können. Kann ja noch kommen, Gottschalk ist gerade mal acht Jahre jünger.

14 Jahre auswärts, 15 Jahre beim NDR in Hamburg-Lokstedt, mit einer Kette aus Hochachtung an das Moderationspult gekettet. Macht drei Jahrzehnte vom Feinsten, was die Nachrichten-Lieferbranche damals zu bieten hatte. Bei der ARD wurde Wickert zudem zum Präsidentenwahl-Erklärer vom Dienst, der Deutschland verlässlich erklärte, wie und warum Frankreich wählte. Der Blick von außen schärfte auch die Eigenwahrnehmung. Er sei erst im Ausland Deutscher geworden, berichtete Wickert später über seine Identitätsfindung.

Wickert schrieb regelmäßig Sachbücher

Einmal Journalist, immer Journalist. Nach wie vor, so wird es von Gratulation zu Würdigung mitüberliefert, pflügt Wickert sich morgens durch ein gutes halbes Dutzend Zeitungen, heimische und globale, mehrsprachig natürlich.

So viel Stoff muss sein, auch wenn niemand mehr von ihm verlangt, das Erfahrene danach in eine sendefähige Anmoderation zu kneten. Das Sendungsbewusstsein, nur eben auf anderen Ausspielwegen, ist ihm geblieben.

Wickert hat sich nicht zum Verkalken auf das Wohnzimmersofa zurückgezogen, sondern mit großer Regelmäßigkeit und hin und wieder großem Erfolg Sachbücher geschrieben. Er hat Werte-Debatten anstoßen wollen oder sich echauffiert, wenn diese eben nicht stattfanden. Die Disziplin ist gelernt: „Ich habe zu Hause ein Arbeitszimmer und gehe wie ein Handwerker vor: morgens in die Werkstatt.“

Sein damaliger Verleger sei von der Krimi-Idee entsetzt gewesen

Aus dem Krimi-Fan – ein besonderes Idol: Raymond Chandler – hat sich in dieser Werkstatt inzwischen auch ein Krimi-Bestseller-Autor entwickelt. In fortgeschrittenerem Alter ist Wickert nicht nur Vater von Zwillingen geworden, sondern auch Ziehvater des Pariser Untersuchungsrichters Jacques Ricou, den er von Fall zu Fall weiterschreibt, und von Bistro zu Bistro. Sein damaliger Verleger sei von der Idee entsetzt gewesen, berichtete Wickert.

Das dürfte sich gegeben haben. Und dass sich sein Geburtstag am heutigen Freitag rundet, mit einer 80 vor dem Komma, nimmt Wickert mit pragmatischer Gelassenheit sowie einem Schuss Altersmilde: „Die Zahl kommt und sie geht.“