Hamburg. Die erste „Tagesschau“-Sprecherin stellt ihr Buch vor. Über einen Albtraum, Sexismus und eine kuriose Begegnung auf Mallorca.
Als Dagmar Berghoff im Hamburger Abendblatt las, dass sie für Constantin Schreiber immer ein Vorbild gewesen sei, freute sie sich sehr – und lud den Kollegen „auf einen Kaffee oder Tee“ bei sich ein. Aus einem Gespräch über „die Liebe, das Leben, Glück und die Nachrichten“ im September 2021 wurden viele und daraus schließlich ein Buch, das jetzt erschienen ist: „Guten Abend, meine Damen und Herren“ ist im Kern ein langes Interview, dass Schreiber mit Berghoff geführt hat und das am Donnerstag in Hamburg vorgestellt wurde.
Das sagt Dagmar Berghoff über …
… ihre Jugend:
„Wir waren sehr arm. In Ahrensburg wohnten wir in einer Baracke. Anfangs lebten dort noch drei weitere Familien, die aber nacheinander auszogen. Zurück blieben wir. Als ich in der Schule war, habe ich einmal mitbekommen, wie zwei Mitschüler an unserer Unterkunft mit dem Fahrrad vorbeifuhren, und der eine sagte: ‚Guck mal, in dieser Baracke wohnt Berghoff.‘ (…) Ansonsten erinnere ich mich, dass es nur ständig Steckrüben zu essen gab, in jeder erdenklichen Art und Weise: als Marmelade, als Brotaufstrich, als Bratkartoffel-Ersatz. Pausenlos Steckrüben.“
… den Tod ihrer Mutter:
„Meine Mutter war manisch-depressiv und hat sich schließlich das Leben genommen. Sie hat sich vor einen Zug geworfen, als ich sieben Jahre alt war und mein Bruder Detlef sechs. (…) Vor einem eines will mir bis heute nicht in den Sinn: Wie kann sie ihren Mann und ihre zwei kleinen Kinder einfach zurücklassen? Das habe ich ihr nie verziehen. Und ich habe ihr auch nie die Art und Weise dieses Selbstmordes verziehen. Wie kann sie noch andere Menschen mit hineinziehen? Der arme Zugführer! Die armen Polizisten, die sie fanden.“
… ihren Wunsch, Schauspielerin zu werden:
„Ich wusste schon mit neun, dass ich Schauspielerin werden wollte. Ein paar andere Kinder, mein Bruder und ich haben den Eltern kleine, selbstausgedachte Stücke vorgespielt für zehn Pfennig Eintritt. Mit 15 wurde der Wunsch stärker, als ich in einer Theater-AG war und schon kleine Rollen spielte wie die Frau Marthe im Urfaust – nicht das Gretchen – oder die Gouvernante in Leonce und Lena – nicht die Prinzessin. Immer nur Nebenrollen. Die Hauptrollen bekam eine ältere Mitschülerin. Bis sie endlich Abitur machte: Ab da gingen die Rollen an mich! Zum Beispiel die chinesische Prinzessin bei Max Frisch.“
… Jobs, mit denen sie ihr Leben finanziert hat, während sie auf die Schauspielschule ging:
„Abwaschen im Altonaer Bahnhof etwa oder Post austragen. Das war schrecklich – einmal hat es stark geregnet, und mir ist das Fahrrad umgekippt. Ansonsten habe ich in einer Käsefabrik gearbeitet und nachts in einer Bar hinter dem Tresen gestanden. Auch nicht schön. Ich hatte die Anweisung, die Männer zu unterhalten, damit die nach dem ersten Whiskey oder Bier noch etwas bestellten. Das fiel mir schwer.“
… der Anruf von der „Tagesschau“:
„Ein Techniker sagte mir eines Morgens, während ich gerade heiße Rhythmen über NDR 2 schickte: ‚Karl-Heinz Köpcke ist für dich am Apparat!‘ Ich fragte nur: ‚Wie bitte?‘ Karl-Heinz Köpcke war damals der große Nachrichtenmogul. Was konnte er von einer kleinen Moderatorin wie mir nur wollen? Ich wusste ja nicht, dass die ‚Tagesschau‘ zu der Zeit eine Frau suchte. Das Erste, was er am Telefon zu mir sagte, war: ‚Sie haben ja eine ganz nette Stimme. Sehen Sie denn auch einigermaßen aus?‘ Das werde ich nie vergessen.“
… ihre Rolle als Quotenfrau, Quoten allgemein und den Feminismus:
„Ich sehe das kritisch. Wenn ein Mann und eine Frau unterschiedlich qualifiziert sind und der Mann besser ist, muss er natürlich genommen werden. Ist die Frau besser, gilt dasselbe Prinzip. Sind beide gleich qualifiziert, sollte die Frau den Job bekommen. Ich selbst habe nie gewollt, dass ich, nur weil ich eine Frau bin, irgendwo genommen werde. Ja, ich weiß, genau das ist mir eigentlich bei der ‚Tagesschau‘ passiert. Aber mir war das nicht bewusst, und ich hätte es auch nie eingefordert. (…) Ich verfolge die Debatten um den Feminismus sehr aufmerksam (…) und bin erstaunt, mit welcher Unerbittlichkeit sie heute manchmal geführt werden.“
… Metoo und Sexismus:
„In der gesamten Zeit, in der ich in der Redaktion gearbeitet habe, gab es keine – wie ich fand – unangemessen Bemerkungen. Ich war als Frau, als Kollegin akzeptiert und respektiert. (…) Hin und wieder hat jemand gesagt, du siehst ja heute hübsch aus, so etwas. Aber das habe ich nicht als sexistisch aufgefasst. Ich habe Danke gesagt und mich ich gefreut. (…) Ich glaube, dass jede Frau solche Worte gerne hört. Warum sollte das sexistisch sein? Für mich ist das einfach ein Kompliment. Dahinter steckt doch die Annahme, dass Frauen komplett wehrlose Wesen sind. Wenn ich etwas nicht mag, dann kann ich das doch auch sagen.“
Als Prinz Charles mit Dagmar Berghoff flirtete
… ihr Treffen mit Charles und Diana in Hamburg:
„Diana war für mich eine echte Enttäuschung. Ich hatte mich darauf gefreut, sie zu treffen, hatte eine entzückende junge Frau erwartet. Wie ich sie erlebte, stand einfach in einem großen Kontrast zu dem Bild, das ich von ihr hatte – die liebende Mutter, die schüchterne, sanftmütige Prinzessin. Allerdings war sie in Natur hübscher als auf Fotos, viel, viel hübscher. Auch Charles war anders als erwartet. Medial immer eher negativ dargestellt, fand ich, dass er ein ganz charmanter Kerl war. Er sah ebenfalls besser aus, als man immer meinte, ein Mann mit Ausstrahlung. Er war sehr freundlich zu mir (…) und hat definitiv ein bisschen geflirtet.“
… ihre bundesweite Bekanntheit durch die ‚Tagesschau‘:
„Eine witzige Begegnung auf Mallorca ist mir in Erinnerung geblieben, da saß ich in einem einsamen Fischrestaurant in Port de Valldemossa. Zwei Damen schauten ab und zu herüber, und nach dem Zahlen sagte eine von ihnen im Vorübergehen: „Genießen Sie’s! Fernab aller schlechten Nachrichten – und fast unerkannt.“ (…) Es gab im Übrigen auch immer mal wieder Situationen, in denen ich auf kuriose Weise nicht oder nicht richtig erkannt wurde. Zum Beispiel in einem Schuhgeschäft auf Sylt, ich war mit Mütze und Sonnenbrille unterwegs und interessierte mich für ein Paar goldene Schuhe. ‚Oh, Sie sehen genau aus wie diese Tagesschau-Sprecherin‘, sagte die Verkäuferin. ‚Ja, das höre ich öfter‘, antwortete ich. Darauf sie: ‚Nein, Sie haben ja sogar dieselbe Stimme. Das ist ja eine Laune der Natur. Aber Sie können es nicht sein, denn die würde sich niemals solche Schuhe kaufen.“
… die Frage, wie lange es dauerte, bis das 20-Uhr-Gefühl bei ihr nachließ, nachdem sie die ‚Tagesschau‘ verlassen hatte:
„Ganze sieben oder acht Jahre. Sehr lange jedenfalls. Einmal hatte ich sogar einen Albtraum. Ich träumte, alle anderen Sprecher seien ausgefallen, und ich müsste noch mal ran. Das hätte ich vor lauter Lampenfieber gar nicht ausgehalten.“
… den HSV:
„Ich bin natürlich HSV-Fan und bedauere sehr, dass der Verein den Aufstieg wieder nicht geschafft hat. Schade! Aber irgendwann wird das schon klappen.“
… ihre Beziehung zu dem späteren Verteidigungsminister Volker Rühe:
„Ach herrje, da war ich 17, er 19. Das Ganze ging drei Monate, es waren Spaziergänge durch den Wald. Er machte gerade Abitur, und ich war in der Oberstufe. Ich fand es eigenartig, dass Volker das später überhaupt erzählt hat. (…) Aber er sagte mir, das war doch eine nette Schlagzeile. Das stimmte.“
… ihren Versuch, mit dem Rauchen aufzuhören:
„Ich wollte der Hypnose eine Chance geben, dafür war ich extra in Bremen. Nach der Sitzung bin ich mit einem Freund zum Bahnhof spaziert, um mit dem Zug zurück nach Hamburg zu fahren. Da kam uns eine Frau entgegen, die sagte laut: ‚ Ich geh' jetzt erst mal eine rauchen.‘ Ich meinte zu meinem Bekannten: ‚Ich auch‘, und da war’s schon wieder vorbei.“