Hamburg. Die Inszenierung des Rachedramas „Die Antwort auf alles“ von Neil LaBute am St. Pauli Theater ist unbedingt sehenswert.

Wenn man auf Rache sinnt und das knallharte Entscheidungen über Leben und Tod nach sich zieht, ist es hilfreich, sich zumindest moralisch auf der richtigen Seite zu fühlen. Doch das ist in „Die Antwort auf alles“ schon bald nicht mehr so eindeutig. Und was ist überhaupt moralisch richtiges Handeln? Ein Fall für Neil LaBute, jenen Dramatiker, der berühmt dafür ist, ein Diagnostiker des Abgrunds zu sein, die dunklen Ecken der menschlichen Seele auszuloten.

Allein deshalb weckt die Inszenierung „Die Antwort auf alles“ in der Regie von Julia Hölscher am St. Pauli Theater gleich mehrfache Neugier. Die Bühne von Paul Zoller und Philipp Eckle ist schon mal ein Hingucker. Als schiefe Ebene ragt sie leicht in den Saal hinein. Ein ebenfalls schräger Spiegel über der Ebene gibt dem Zuschauer zusätzliche Einblicke. Hier treffen sich, von Nebel und unheilvoll grummelnder Musik begleitet, wie in Sartres „Geschlossener Gesellschaft“ Carmen (Meriam Abbas), Page (Marie Schulte-Werning) und Cindy (Julia Nachtmann). Erst wird wortreich um den heißen Brei geredet. Doch bald stellt sich heraus, dass das Trio ein teuflischer Pakt verbindet. Im Zentrum: die tödliche Rache an Männern, die sie missbraucht haben.

St. Pauli Theater: Wenn Frauen das Recht in die eigene Hand nehmen

Seit „Bash: Stücke der letzten Tage“, 1999 inszeniert von Peter Zadek an den Kammerspielen, hat der Name Neil LaBute in Hamburg einen guten Klang. Zwischendurch war er auch in Hollywood dank einiger Verfilmungen („In The Company of Men“, „Nurse Betty“) eine große Nummer.

„Die Antwort auf alles“ ist seine dramatische und sehr raffinierte Verarbeitung der #MeToo-Bewegung. Was als Rache-Kammerspiel beginnt, macht es dem Zuschauer bald schwer, sich zu positionieren. Die Inszenierung fordert das zum Glück auch nicht ein., selbst wenn Paige an einer Stelle ausruft: „Das, was wir hier tun, das ist Gerechtigkeit“.

Die Antworten sind eben nicht Schwarz-Weiß. Und auch die Forderung, in Zeiten der #MeToo-Bewegung bedingungslos allen Frauen Glauben zu schenken, muss nicht in jedem Fall der Gerechtigkeit dienen, wie sich im Laufe des Abends enthüllen wird.

Rachedrama: Spannungskurve in fragilem Beziehungsgeflecht

Regisseurin Julia Hölscher, Absolventin der Hamburger Theaterakademie und von Dresden bis Basel gefragt, gelingt es, mit ihrem nuanciert aufspielenden Darstellerinnen-Trio die Spannungskurve in diesem fragilen Beziehungsgeflecht zu halten. Meriam Abbas überzeugt als abgebrühte Carmen, die auch mal vor Wut die Matratze aus dem Hotelbett zerrt. Marie Schulte-Werning glänzt in glitzerndem Schwarz als scheu-nervöse Page. Und Julia Nachtmann, langjähriges Schauspielhausmitglied, gibt Cindy alle Facetten von Überforderung bis zu berechnendem Egoismus.

„Sie waren nicht einfach nur Menschen….sie waren monströs“, rechtfertigt Carmen an einer Stelle das Morden. Frauen werde doch vor Gericht ohnehin kein Glaube geschenkt. „Das ist inzwischen anders!“, sagt Cindy. Ja, #Metoo hat manches verändert. Die Welt ist aber immer noch komplex. Und Neil LaBute ein Theaterautor, der auf kluge Weise daran erinnert. Sehenswert!

„Die Antwort auf alles“ bis 19.11., St. Pauli Theater, Spielbudenplatz 29-30, Karten unter T. 47 11 06 66; www.st-pauli-theater.de