Hamburg. Der Außerfriesische feierte mit Udo Lindenberg, Jan Delay, Inga Rumpf und Überraschungsgast seinen legendären Auftritt vor 50 Jahren.
Bitte keinen Personenkult“, rief Otto Waalkes vor 50 Jahren, am 15. September 1972, als erneut Applaus durch das Audimax brandete. Der Außerfriesische, der sich eher durch Zufall auf Bühnen wie dem Danny’s Pan innerhalb weniger Monate vom Folkmusiker zum Komiker entwickelt hatte, kalauerte damals begleitet von seiner Gitarre über den „Würger von Wolfenbüttel“, den „ersten Kinder-Musikwettstreit vom Otto-Versand“ und die „Vogelpastete“. Das hatte dem Kunststudenten mehr Spaß gemacht als das Skat-Kloppen gegenüber in der Mensa.
Aufgezeichnet und 1973 als „Otto live im Audimax“ auf LP veröffentlicht, markierte dieser Abend seinen Durchbruch auf dem Weg zur deutschen Humor-Legende, zur Kult-Person. Seine erste eigene Fernsehshow, erfolgreiche Tourneen und neun Top-Ten-Alben sollten bis 1983 folgen, ehe sich Otto nicht minder erfolgreich dem Film widmete.
Otto Waalkes im Audimax: Drei Stunden Personenkult
„Hier hat alles angefangen“, sagt Otto, am Donnerstag im ausverkauften Audiomax, in das er zahlreiche Freundinnen, Freunde und musikalische Wegbegleitende eingeladen hat. Neu-Ehrenbürger Udo Lindenberg, Ottos WG-Kumpel aus der legendären „Villa Kunterbunt“, und Zeitgenossin und Rock-Pionierin Inga Rumpf sind ebenso dabei wie Bluesbruder Abi Wallenstein, Hamburgs größter Beatles-Fan Stefanie Hempel, Chefstyler Jan Delay, Pop-Chanteuse Annett Louisan sowie die jungen Songwriter Phil Siemers und Michèl von Wussow.
Im Publikum waren nicht wenige der 1400 Anwesenden schon vor 50 Jahren bei Otto im Audimax. Dies ist jetzt ein in mehrfacher Hinsicht historischer Abend, der aktuelle Forschungsprojekte der Universität zur Hamburger Musikgeschichte begleitet.
Otto-Party im Audimax: 1400 feiern den Außerfriesischen
Denn Hamburger Musikgeschichte wurde im Audimax geschrieben, auch wenn diese Tatsache mittlerweile weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein gewichen zu sein scheint. In den 60er-, 70er- und 80er-Jahren spielte im 1959 eröffneten größten Hörsaal der Uni alles, was Rang und Namen hatte: Pink Floyd, Kraftwerk, Fleetwood Mac, Ton Steine Scherben, Aerosmith, Iggy Pop, Meat Loaf, Black Sabbath, AC/DC, Peter Gabriel, UB40, Tom Waits, Gary Moore und viele weitere waren dort zu erleben.
Aber ab Ende der 80er, als sich neben der Sporthalle in Winterhude auch auf dem Kiez mit Docks und Großer Freiheit 36 neue Rock- und Pop-Bühnen mit Audimax-Kapazität etablierten, wurde es zumindest musikalisch still auf dem Campus. Aus den 90ern sind noch Auftritte von Emmylou Harris, Joan Baez und Art Garfunkel überliefert, das war es dann auch – abgesehen von einer Show mit Alexander Knappe und dem Philharmonischen Orchester des Staatstheaters Cottbus im Oktober 2016. Und das ehrenamtlich organisierte „Campus Open Air“, dass 2012 mit Cro, Marteria, Egotronic und Liedfett Tausende zumindest vor das Audimax lockte, wurde vom damaligen AStA gleich wieder beerdigt. Die Bierstände vor dem Audimax erinnern am Donnerstag noch ein wenig an das kurzlebige Kostenlos-Open-Air.
Otto-Party im Audimax: Bierstände erinnern an Kostenlos-Open-Air
Eher an eine noch hässlichere Version des CCH – kicher – erinnert das Flair im Saal: Rauchergebiss-weiße Ziegelwände, Schulbank-Gehölz, grau melierter PVC-Boden. Aber denkmalgeschützt. Immerhin: Auf den ausklappbaren Schreibauflagen lässt sich das Bier abstellen.
Aber jetzt ist mal keine Vorlesung (oder Studenten-Protest gegen den Muff von 1000 Jahren unter den Talaren) angesagt, sondern Rock’n’Roll. Nach der Begrüßung durch Uni-Präsident Hauke Heekeren geht es los mit den Beatles, die auf Ottos Wunsch musikalisch den Abend dominieren werden.
Stefanie Hempel und Band legen los mit Beatles-Songs
Stefanie Hempel und die von ihr zusammengetrommelte Band des Abends legen los mit „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“. Und „With A Little Help From My Friends” verbeugt sich auch Otto nach einem obligatorischen „Hollatihitiii“ vor den Fab Four: mit „Birthday”, „Honey Pie” und „I’m Down”. Zwar war Otto immer Gast auf der Bühne, wenn Hempel die Jubiläen der Beates-Alben mit Konzerten feierte, trotzdem ist es immer wieder spannend zu erleben, wie wenig Otto Otto auch mal sein kann.
Ebenfalls selten mit Beatles-Songs zu erleben ist Annett Louisan, die bei „Blackbird“ gelungen in Paul McCartneys große Fußstapfen tritt, um in Anschluss mit Otto am Kontrabass den Klassiker „Fever“ zu „Biber“ zu verballhornen. Das ist wirklich sehr lustig und das Stichwort für Ottili, eine Viertelstunde lang den Überschall-Alleinunterhalter seiner frühen Tage („Gesterntag“, „Hänsel und Gretel“) aufleben zu lassen.
Otto-Party: Der Applaus ist kurz vor Personenkult
Und nach einigen Erinnerungen von Veranstalter-Legende Karsten Jahnke scheint das Licht auf Inga Rumpf. Als Sängerin von Frumpy (und Atlantis und City Preachers mit Udo am Schlagzeug und solo und überhaupt) war sie eine der wichtigsten Schrittmacherinnen von Folk, Blues, Soul, Hardrock, Progressive und Krautrock, international auf Augenhöhe und auch heute noch – im Gegensatz zum Audimax – zeitlos: „How The Gypsy Was Born“ kracht im besten 70er-Sound mit krassen Soli durch den Saal, das Gehölz vibriert und „Get Back“ gibt schon mal die Parole für die Pause vor. Wahnsinn, was sich Hempels Band draufgeschafft hat. Die enorme Applausstärke an diesem Abend ist übrigens für alle Künstlerinnen und Künstler, vielleicht auch bedingt durch die Hörsaal-Akustik, kurz vor Personenkult.
Die zweite Hälfte entwickelt sich nach und nach zu einem Jam, ganz nach dem Beatles-Motto „Come Together“, das Michèl von Wussow ebenso wie „Don’t Let Me Down“ mit unfassbarer Sandstrahl-Stimme präsentiert. Jan Delay singt Udo Lindenbergs „Er wollte nach London“, bevor der Ehrenbürger mit einsteigt für ein „Reeperbahn“-Doppel: Erst die Version von 1978 auf der „Penny Lane“-Melodie, dann die 2011 bei „MTV Unplugged“ kreierte Neuauflage der Version von 1989.
Danach übernimmt Otto wieder und schnappt sich Abi Wallenstein. Stefanie Hempel schnappt sich – „I Saw Here Standing There“ - Inga Rumpf. Phil Siemers begibt sich auf „The Long And Winding Road”. Es geht Schlag auf Schlag, und dann wird auch noch Überraschungsgast Helge Schneider hervorgezaubert. Seine Gage besingt er: „Kasten Bier“.
Otto und Udo unter AC/DC-Strom: "Auf'm Heimweg wirds hell"
Das große Finale gehört den Größten: Otto und Udo setzen sich unter AC/DC-Strom mit „Auf‘m Heimweg wirds hell“ („Highway To Hell“), bevor sich alle Musikerinnen und Musiker für „Twist And Shout“ auf der Bühne treffen. Aber natürlich kann es für alle im Audimax nach drei Stunden nur mit einem einzigen Song nach Hause gehen: „Hey Jude“. Ein einzigartiger Na-Na-Na-Nananana-Nabend, den es so leider nie mehr geben wird. Da kann man nur den Hut ziehen.
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Eine Anekdote zum Schluss: Vor 60 Jahren spielte Blues-Legende John Lee Hooker im Audimax. Sein Sohn John Lee Hooker Jr. spielt am Donnerstag zeitgleich zu Otto, Udo und Co. nur 200 Meter entfernt im Logo. Den hätte Otto vielleicht auch noch eingeladen, wenn er das gewusst hätte.