Hamburg. Bettina Probst plant das neue Museum für Hamburgische Geschichte. Dafür muss jetzt fast alles raus. Umbau läuft über Jahre.
Das MHG, bei manchen immer noch als „Hamburg-Museum“ im Kopf, steht vor seiner größten Veränderung: Anfang 2023 wird die Dauerausstellung geschlossen, um komplett neu konzipiert zu werden. Nach und nach werden die Sammlungen das Haus Richtung Depot verlassen, weil das Gebäude grundlegend modernisiert und saniert wird.
Für Direktorin Bettina Probst eine große Herausforderung. Im Moment eilt sie von einer Besprechung zur nächsten, an Sommerurlaub war nicht zu denken. Anlässlich der Feier zum 100. Jubiläums ihres Hauses am Sonntag hat sie sich eine Stunde Zeit für ein Gespräch freigeschaufelt.
Hamburger Abendblatt: Das MHG ist eines der wichtigsten Museen Hamburgs und das größte historische Museum des Landes. Wie viel Druck verspüren Sie gerade in Anbetracht der anstehenden Veränderungen?
Bettina Probst: Die Stimmung ist sehr aufgekratzt. Im positiven Sinne. Es gibt unendliche viele Abstimmungen zwischen uns intern, mit Ausstellungsgestaltern, Hochbauarchitekten, Fachplanern. Wir werden Ausstellung und Museum ja nicht nur erneuern und ertüchtigen, wir müssen das Haus dafür auch nahezu komplett leerräumen. Jetzt muss entschieden werden: Welche Objekte sollen wieder in die Dauerausstellung integriert werden und welche nicht? Die jetzt laufende Konzeptions- und Planungsphase ist die Weichenstellung für die nächsten vier bis fünf Jahre innerhalb der Modernisierung, aber auch für die nächsten 50 Jahre des Museums.
An diesem Sonntag wird ja noch groß das 100. Jubiläum gefeiert. Wann wird mit den Baumaßnahmen begonnen?
Probst: Nach der ersten Januar-Woche 2023 werden wir die Dauerausstellung für einige Jahre schließen. Es bedarf eines Jahres für die Räumung. Rund 5000 Objekte müssen verpackt und abtransportiert werden. Mitte 2024 werden die baulichen Maßnahmen starten. Dann ist wirklich Krach und Staub im Haus. Wir wollen das Erdgeschoss so lange wie möglich offenhalten, um Sonderausstellungen zeigen und Veranstaltungen durchführen zu können.
Und wie sieht Ihr MHG dann aus, was werden wir darin an Neuem finden?
Probst: Komplett neu wird der Rundgang durch Hamburgs Geschichte im 1. OG sein, von der Gründung der Hammaburg bis Hamburg gestern. Im 2. OG stellen wir zwei Flügel gegenüber: die historische, bürgerliche Gesellschaftsgeschichte auf der einen und die Stadtgesellschaft in Hamburg heute, die viel diverser und facettenreicher geworden ist, auf der anderen Seite. Es geht beispielsweise darum, Hamburg auch als Stadt der Einwanderung zu zeigen.
Einige Hamburgerinnen und Hamburger werden Sie mit den Neuerungen wohl auch vor den Kopf stoßen.
Probst: Ich wurde gefragt, warum ich denn bloß das ausgebrannte Auto aus den G-20-Krawallen ausstellen will. Dabei geht es nicht darum, dem Krawall eine Bühne zu geben, sondern um Konflikte sichtbar zu machen, Ereignisse der Zeitgeschichte abzubilden. Das Autowrack steht ja für etwas. Ein Polizist wird das Objekt anders betrachten als sein ehemaliger Besitzer, eine Anwohnerin oder ein Demonstrant – daraus wird eine Geschichte. Warum soll ich nur heile Welt zeigen? Dass Hamburg eine tolle Stadt ist, eine Hafenstadt, die ihr Selbstverständnis aus dem Handel zieht – das ist nicht alles. Es geht darum, nicht nur den Glanz, sondern auch die Schatten zu zeigen. So kommen wir auch zu ganz neuen Themen und Sammlungen, Stichwort Corona-Collection.
Museen werden sich, das kam kürzlich auch im Gespräch mit Tulga Beyerle vom MK&G und Kunsthallen-Direktor Alexander Klar heraus, künftig auch noch ganz stark wandeln, hin zu Orten des Austauschs und des Erlebens, weg von klassischen Bildungstempeln.
Probst: Ich muss mal in aller Deutlichkeit sagen, und ich weiß nicht, ob das der Hamburger Öffentlichkeit so klar ist: Wir haben in Hamburg gerade eine Riesenchance. Viele Häuser der Stiftung, aber auch andere Museen, modernisieren sich und haben unglaublich großes Potenzial. Das elektrisiert mich geradezu. Und doch spielen Museen bei der Werbung nach außen keine große Rolle. Dabei haben wir nicht nur große Museen für Kunst und Gestaltung, sondern auch ein sehr spannendes Geschichtsmuseum – ab 2027 (lacht).
Warum haben es Museen so schwer?
Probst: Das hat, glaube ich, weniger mit der Kulturpolitik zu tun als mit der Mentalität einer Kaufmannsstadt, Kulturstätten als feste finanzielle Bank zu werten. Dabei sind Museen per se eine feste Bank, wenn es darum geht, Gesellschaft zu stützen, kollektive Selbstvergewisserung, Orientierung zu bieten.
Immersive Ausstellungen drängen verstärkt auf den Kunstmarkt. Werden Sie auch solche Elemente integrieren?
Probst: Ich finde es gut, dass es so vielfältige Angebote bei den Ausstellungen gibt. Es hat alles seine Berechtigung. An einigen Dingen, die den Charme des „alten Museums“ ausmachen, werden wir festhalten, etwa die Dioramen und Modelle. Ich bin fest davon überzeugt, dass Menschen sich immer noch dafür interessieren, wie Menschen früher gelebt haben oder heute leben. Bei der Vermittlung müssen wir stärker auf digitale und multimediale Vermittlung setzen, das kam bislang zu kurz. Aber es muss eine tolle Geschichte sein. Die modernste Technik nützt nichts, wenn ich nichts Spannendes zu erzählen habe.
Was halten Sie von Blockbuster-Shows?
Probst: Wenn dies gut umgesetzt werden soll, kann man es nur alle drei oder vier Jahre machen. Denn große Ausstellungsprojekte brauchen entsprechende Vorbereitungszeit und finanzielle Mittel – die haben wir in der jetzigen Situation nicht zur Verfügung. Aber ich finde sie wichtig für ein Museum.
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Was liegt Ihnen an Ihrem Museum besonders am Herzen?
Probst: Ich möchte die Menschen hier zum Nachdenken bringen. Dass sie (wieder) lernen, sich die Dinge genauer anzusehen, nachzufragen, und nicht alles glauben, was ihnen erzählt wird. Dass sie in der Schnelllebigkeit, die besonders durch die sozialen Medien vorangetrieben wird, einen Gang zurückschalten, die Ruhe finden, um sich zu konzentrieren, nach Zusammenhängen zu suchen. Hierzu können Geschichtsmuseen unheimlich viel beitragen. Ein Gespür dafür zu entwickeln, dass man sich klar darüber wird, dass man Geschichte hautnah miterlebt. Etwa beim Mauerfall oder, wie jetzt, während der Corona-Pandemie. Sich im besten Sinne betroffen fühlen. Geschichte ist immer ein gedachter Weg zurück – von uns allen. Wenn wir es schaffen, dies den Menschen zu vermitteln, ob Jung oder Alt, dann wäre eine Herzensangelegenheit von mir erfüllt.