Baden-Baden. Im Suff über 'nen Puff grölen: Das beschreibt vielleicht besonders anschaulich das Pop-Phänomen «Layla». An dem Lied führt im Sommer nichts vorbei. Das bringt ihm jetzt auch einen Titel ein.
Von den einen kritisiert, von den anderen gefeiert: Das wegen Sexismusvorwürfen umstrittene Lied «Layla» von DJ Robin & Schürze ist Deutschlands Sommerhit 2022. Dies teilte das Marktforschungsunternehmen GfK Entertainment mit.
«An "Layla" führt in diesem Sommer kein Weg vorbei», hieß es von den Charts-Ermittlern aus Baden-Baden. Der Song habe mehr als 60 Millionen Streams erreicht und stehe seit fünf Wochen nonstop auf Platz eins der offiziellen deutschen Single-Charts.
Der bestens zum Mitgrölen geeignete Ohrwurm dreht sich um eine «Puffmama», die «schöner, jünger, geiler» sei. In Würzburg und später auch anderen Städten wurde «Layla» von Festen verbannt. Es entzündete sich deshalb an dem Song auch eine Debatte über Kunstfreiheit und angebliche Zensur.
Doch ungeachtet aller Diskussionen klettern Abrufzahlen und Käufe laut GfK Entertainment kontinuierlich in die Höhe. Der Partysong setzte sich damit gegen internationale Kandidaten wie «Ferrari» (James Hype & Miggy Dela Rosa) und «Belly Dancer» (Imanbek & BYOR) ebenso durch wie gegen den Ballermann-Konkurrenten «Dicht im Flieger» (Julian Sommer). DJ Robin & Schürze stehen mit «Layla» nun in einer Reihe mit keinem Geringeren als Superstar Ed Sheeran, der 2021 mit «Bad Habits» den Sommerhit des Jahres landete.
Schürze: Herzblut in die Musik gesteckt
Die Interpreten können das kaum fassen: «Für mich bedeutet das sehr viel, weil man sehr viel Herzblut in die Musik steckt. Wenn man damit dann die Leute begeistern kann und es solche Ausmaße annimmt, ist das Wahnsinn. Phänomenal», sagte Schürze (31) der Deutschen Presse-Agentur. Und DJ Robin (26) erklärte: «Dass so viele Ballermann-Songs oben in den Charts sind wie noch nie, zeigt, dass die Leute wieder Lust auf feiern und Mallorca-Songs haben. Mallorca ist alles andere als tot.»
Die wochenlange Sexismusdebatte um «Layla» hat aus Sicht der Interpreten dabei maßgeblich zum Erfolg beigetragen. «Das war hervorragend für uns», sagte Songschreiber Schürze, der eigentlich Michael Müller heißt. «Das hat uns natürlich befeuert, das brauchen wir gar nicht zu diskutieren. Mehr Werbung kann man nicht haben.»
Am Sonntag soll der Ballermann-Hit im quotenstarken «ZDF-Fernsehgarten» zu hören sein. Die Sendung steht unter dem Partymotto «Mallorca vs. Oktoberfest».
Die Frage, ob das von vielen gefeierte Lied einfach nur ein Spaß ist oder von tiefsitzendem Sexismus und Frauenfeindlichkeit zeugt, polarisierte in den vergangenen Wochen eine breite Öffentlichkeit. Es gab viel Sommerloch-Polemik um das angeblich spaßbefreite Deutschland.
Produzent Hüftgold: «Diktatur beginnt oft mit Zensur»
«Layla»-Produzent Ikke Hüftgold holte gar das ganz große Besteck heraus: «Die "Layla"-Debatte unterwandert auch unser Grundgesetz», schrieb er in einem Beitrag auf «Zeit Online». Wenn «angeblich aufgeklärte Politiker» damit anfingen, Meinungs- und Kunstfreiheit zu beschädigen, «dann sollten alle Warnglocken schrillen», erklärte der 45-Jährige. «Eine Diktatur beginnt oft mit Zensur.»
Hüftgold («Dicke Titten, Kartoffelsalat») fragte auch: «Kann es sein, dass hier an einem Lied plötzlich ein Exempel statuiert wird, obwohl Schlager-, Pop- und erst recht Rap-Musiker seit einer Ewigkeit derbe Texte abliefern?» Sein Metier sei Stimmungsmusik: «Lieder, die nicht immer politisch korrekte Texte haben, die aber Freude bereiten sollen.»
Schlagersänger Lucas Cordalis hält das Lied jedenfalls für «ein unglaubliches Phänomen», wie er der Deutschen Presse-Agentur kürzlich sagte. Selten habe er «Partyvolk zu einem Song so durchdrehen sehen». «Er scheint offensichtlich vielen Menschen sehr viel Freude zu machen. Ob man sich einer Sprache bedienen muss, wie es in dem Song nun der Fall ist, sei dahingestellt. Allerdings gibt es mit Sicherheit auch Beispiele in der musikalischen Literatur, die wesentlich schlimmer und mehr unter der Gürtellinie sind als bei dem Titel "Layla"», sagte der Sohn von Schlager-Ikone Costa Cordalis.
Deutschsprachige Lieder hatten in der Tat auch schon früher derbe Wortwahl in Bezug auf Frauen. Vor 40 Jahren zum Beispiel war «Skandal im Sperrbezirk» von der Spider Murphy Gang ein Nummer-eins-Hit: «Und draußen vor der großen Stadt steh'n die Nutten sich die Füße platt.»
Ballermann-Promi Mickie Krause singt in seinem Lied «Geh mal Bier hol'n» seit Jahren: «Samstagabend "Sportschau", wie immer freut er sich da drauf, dann kommt seine Olle rein, und er sagt: "Ey, pass mal auf", geh mal Bier holn', du wirst schon wieder hässlich.»
Ein richtiger Skandal mit der Schilderung eines Sexualverbrechens war 1985 Falcos «Jeanny». Darin genießt der erzählende Täter die Demütigung seines Opfers.
Zeichen patriarchalischer Strukturen?
Als Zeichen patriarchaler Strukturen deuten Expertinnen wie die Musikwissenschaftlerin Marina Schwarz von der Uni Leipzig auch das scheinbar harmlose Lied «Im Wagen vor mir» von Henry Valentino mit Uschi, das genau genommen übergriffiges Verhalten, gar Stalking verharmlose. Denn darin folgt ein Mann im Auto einer Frau, weil er ihren Anblick genießt. Die Frau hingegen bekommt zunehmend Angst und biegt schließlich ab, um sich am Straßenrand zu verstecken.
Dagegen interpretieren manche «Layla» geradezu als Emanzipationslied mit einer Bewunderung selbstbewusster Frauen: «Ich hab' 'nen Puff und meine Puffmama heißt Layla. Sie ist schöner, jünger, geiler». Und: «Die schöne Layla, die geile Layla, das Luder Layla, unsre Layla.»
In der jahrzehntelangen Geschichte der offiziellen Sommerhits waren deutschsprachige Lieder bislang selten. Lediglich 2007 gab es «Hamma!» von Culcha Candela und 2003 «Ab in den Süden» von Buddy vs. DJ The Wave. Klassische Sommerhits waren dagegen ansonsten Lieder wie «Macarena» von Los del Rio Mitte der 90er oder vor 20 Jahren «The Ketchup Song» von Las Ketchup, vor fünf Jahren «Despacito» von Luis Fonsi feat. Daddy Yankee oder vor drei Jahren «Señorita» von Shawn Mendes & Camila Cabello.
© dpa-infocom, dpa:220728-99-186143/9 (Von Gregor Tholl, dpa)