Warschau. Das neue Buch von Olga Tokarczuk spielt in einer Vorkriegszeit, 1913 in einem Kurort in Niederschlesien. Von dort ist es nicht weit bis zu Thomas Manns “Zauberberg“.

Ein neuer Roman der polnischen Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk (60) ist am Mittwoch in ihrem Heimatland erschienen.

Der polnische Titel des Werks, das noch nicht ins Deutsche übersetzt wurde, lässt sich mit "Empusion. Ein Horror der Naturheilkunde" (Empuzjon. Horror przyrodoleczniczy) wiedergeben. Der Roman ist ein bewusster Verweis auf Thomas Manns Roman "Der Zauberberg", wie Tokarczuk der "Gazeta Wyborcza" sagte.

Die Handlung des Buches beginnt im Herbst 1913 im Kurort Görbersdorf, dem heutigen Sokolowsko in Niederschlesien. Dort wurde 1855 die weltweit erste Tuberkuloseheilanstalt gegründet. Ein Student aus Lemberg (Lwiw), Mieczyslaw Wojnicz, kommt in das malerische Gebäude am Fuß der Berge in der Hoffnung, dass die innovativen Methoden der Klinik bei ihm Wunder bewirken. In der Herrenpension, in der er ein Zimmer bewohnt, trifft er unter anderem den Katholiken Longin Lukas aus Königsberg, den Sozialisten August August aus Prag und Thilo von Hahn, einen Malereistudenten aus Berlin.

Die Männer diskutieren - ähnlich wie bei Mann - über das Gespenst des Krieges in Europa, die Existenz von Dämonen und die Probleme von Monarchie und Demokratie. Auch die Realität des Dorfes, wo sich das Sanatorium befindet, bietet Gesprächsstoff. Die vermeintliche Idylle bietet die ideale Kulisse für einen Horrorfilm. Gleich am ersten Tag nach der Ankunft von Mieczyslaw in Görbersdorf begeht die Frau des Pensionswirtes Selbstmord. Überhaupt sind plötzliche Todesfälle in der Gegend häufig, nicht nur deshalb, weil die Tuberkulosepatienten der Klinik ihrer Krankheit erliegen. Jedes Jahr ereignen sich in dem Dorf mysteriöse Unfälle. Allerdings ist es unmöglich zu sagen, welche der von den Patienten erzählten Geschichten wahr ist und welche ein Gerücht.

Dabei legt Tokarczuk ihren Figuren oft Zitate aus der damaligen Zeit in den Mund, die die patriarchalische Kultur der Gesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts widerspiegeln. Die Autorin sagte der "Gazeta Wyborcza", der Titel "Empusion" sei eine von ihr geschaffene Wortschöpfung aus dem griechischen Wort "Symposion", das ein Trinkgelage mit philosophischen Gesprächen bezeichnete, und "Empusa" - in der griechischen Mythologie ein weibliches Schreckgespenst.

Der Kampa Verlag, bei dem Olga Tokarczuks Bücher in deutscher Übersetzung erscheinen, will den neuen Roman auf Deutsch im kommenden Frühjahr herausbringen. Tokarczuk hatte 2019 rückwirkend den Literaturnobelpreis für 2018 erhalten, der ein Jahr zuvor wegen eines Skandals bei der Schwedischen Akademie nicht vergeben worden war.

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