Hamburg. Trauer um den Hamburger Satiriker Hans Scheibner. Der Kabarettist und Autor starb im Alter von 85 Jahren in seiner Heimatstadt.

Hat er das verdient? Sein sorgsam geplanter Abschied vom Publikum musste ausfallen – und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Als Ende November vergangenen Jahres (2021 !) zunächst die Matinee in den Hamburger Kammerspielen mit dem Titel „Der Maulwurf muss weg“ und kurz vor Weihnachten auch zwei ursprünglich extra angesetzte Nachmittagsvorstellungen seines Dauerbrenners „Wer nimmt Oma?“ in Alma Hoppes Lustspielhaus abgesagt wurden, waren das keine gute Zeichen. Mit jenen Gast-, besser gesagt Heimspielen hatte sich Hans Scheibner auf der Bühne endgültig von seinen Fans verabschieden wollen. Doch Probleme mit seinen Beinen und sein allgemein verschlechterter Gesundheitszustand ließen diese Auftritte nicht mehr zu.

Wie am Mittwochabend von seinem Management bestätigt wurde, ist der bekannte Liedermacher, Kabarettist und Autor, der selbst ernannte „Lästerlyriker, im Alter von 85 Jahren in seiner Heimatstadt gestorben.

Hans Scheibner stirbt im Alter von 85 Jahren in Hamburg

Ein Leisetreter war der geborene Hamburger; aufgewachsen im Stadtteil Lokstedt und nach der Ausbombung während des Zweiten Weltkriegs in Niendorf zur Schule gegangene Künstler, in seinem Leben nie. Ein großer Lautsprecher war er zwar auch nicht, zuweilen jedoch ein Provokateur und einer, der immer wieder gern satirische Nadelstiche setzte. Hans Scheibner fiel es nicht schwer, sich zu öffnen, mit seiner Meinung hat er selten hinter dem Berg gehalten.

Kurz vor seinem 80. Geburtstag wirkte er fast wie ein bunter Vogel. Im August 2016 überraschte der kleine, kompakte bärtige Mann bei unserem Gang zum Großneumarkt mit leuchtenden, türkisfarbenen Schuhen, neudeutsch Sneakers „Papa, du musst neue Schuhe haben!“, hatte ihm Franca, die jüngste seiner vier schon erwachsenen Töchter im Alter von damals 24 bis 29 Jahren, zuvor geraten. Als das Ziel, ein Lokal mit Außengastronomie, erreicht war, streifte Scheibner seine legere grüne Jacke ab – zum Vorschein kam ein poppig-rotes Hemd, über dem sich blaue Hosenträger spannten. „Das macht doch nichts, das merkt doch keiner“!“ Das galt hier nicht.

Hans Scheibner: In der Laeiszhalle feierte er seinen 80. Geburtstag

Scheibner, Texter jenes gleichnamigen Kleinkunst-Gassenhauers und von Hits wie der früheren Szene-Hymne „Hamburg 75“ oder „Schmidtchen Schleicher“ (mit den elastischen Beinen), fiel auch so auf. 2016 war der Satiriker bereits nicht mehr so (fernseh-)präsent wie „...scheibnerweise“ (ARD) in den 80er-Jahren oder mit seinem Hund als „Walther & Willy“ bei „DAS“ im NDR-Fernsehen in den Nullerjahren. Doch den Weg vom Treffpunkt an der Laeiszhalle – hier hatte er sicherheitshalber seinen Mercedes-Kombi vom gebührenpflichtigen Parkplatz entfernt – hätte der Hobby-Tennisspieler und -Golfer wohl auch komplett per pedes geschafft. In der Laeiszhalle feierte er dann am 27. August seinen 80. mit dem Auftakt seiner Jubiläumstournee mit Band unter dem Titel „Skandale und Liebe“. Es wurde der Kleine Saal.

„Der 27. August ist ja sowieso ein verlorener Tag“, merkte Scheibner am Tisch ironisch an. Mit mehr als 1500 Gästen richtig üppig gefeiert hatte er seinen 75. Geburtstag knapp fünf Jahre zuvor nachträglich und einmalig im Großen Saal der Laeiszhalle mit Weggefährten wie Pianist Gottfried Böttger und Überraschungsgästen wie Schauspieler Volker Lechtenbrink, Letzterer wie Scheibner Träger der Senator-Biermann-Ratjen-Medaille. Den Konzerterlös spendete Scheibner an Rüdiger Nehbergs Hilfsorganisation Target. Der Lästerlyriker gehörte da längst auch zum Hamburger Kulturgut, fast bis zuletzt blieb er hierzulande einer der dienstältesten Satiriker. Gott habe sie alle selig!

Hans Scheibner: Erste Lästerlieder nach zehn Jahren Pause

Durchweg Neukompositionen brachte Scheibner zu seinem 80. Geburtstag auf seiner CD „Und plötzlich ist der Himmel wieder offen“ heraus. Titel wie „Die Luft wird knapp“, der „Rentner-Song“ oder „Alicia“ und Textzeilen wie „Ich stand schon auf dem Abstellgleis, aber plötzlich bin ich wieder so verrückt und heiß“, zeugten von der Selbstironie dieses satirischen Stehaufmännchens.

Sein Freund, der Berliner Liedermacher Reinhard Mey, hatte ihn zu den Aufnahmen inspiriert – den ersten Lästerliedern nach zehn Jahren Pause. Und selbst war der (späte) Vater: Scheibner sorgt für die weitere Verbreitung der Songs: „Ich stelle das auf Facebook und YouTube, mache Videos und schneide die Filme“, erzählte er. „Das muss man heute draufhaben, sonst kann man ja nicht mehr mithalten in der digitalen Welt.“ Als aber sein Verlag mit dem Wunsch nach einem neuen Buch zum 80. Geburtstag an ihn herantrat, hatte der Autor 2016 richtig zu tun.

Hans Scheibners "Wohin mit Oma" entwickelte sich zum Bestseller

Seine Weihnachtssatiren „Wer nimmt Oma?“, die er mit seiner zweiten Ehefrau (und Managerin) Petra Verena Milchert, Tochter Raffaela und seinem jahrzehntelangen Pianisten-Freund Berry Sarluis alljährlich auf Vorweihnachtstournee spielte, und „Wohin mit Oma?“ hatten sich zu Bestsellern entwickelt. Sein Buch „In den Himmel will ich nicht“ vereint biografische Erzählungen, die einer satirischen Rückschau glichen, aber auch einige neue Ansichten bieten.

Scheibners typische, naiv-doppelbödige Erzählweise zieht sich durch fast alle 30 Kapitel. Sie reichen von seiner Kindheit und Jugend in den zerbombten Stadtteilen Hoheluft und Lokstedt, der Zeit beim theater53 an der Rothenbaumchaussee (mit dem Ende 2016 gestorbenen Schauspielerkollegen Uwe Friedrichsen) weiter zu seinem Einstieg in die Hamburger Szene.

Eklat um Scheibners Lied "Lysistrata"

Auch den Eklat um sein Lied „Lysistrata“, als er in der „NDR Talk Show“ 1985 aus Anlass des 30-jährigen Bestehens der Bundeswehr in Abwandlung das Tucholsky-Zitat sang „Mit Mördern teilen sie (die Frauen) ihre Betten“, sparte er nicht aus. Scheibner verlor zunächst seine damalige Kolumne im Abendblatt, danach auch seine ARD-Sendung.

Auseinandersetzungen mit der sogenannten besseren Gesellschaft ist der gelernte Verlagskaufmann (bei Axel Springer) im Laufe seines Satiriker-Lebens ebenso wenig aus dem Weg gegangen wie jenen mit dem Militär und der Kirche. „Was sind überhaupt religiöse Gefühle?“, fragte der bekennende Freigeist. „Damit kann man von der Hexenverbrennung bis zum Kopfabschlagen jeden religiösen Wahnsinn begründen“, meinte er. „Ich habe Skandale doch nie absichtlich herbeigeführt. Die ergaben sich immer nur so“, hat Scheibner einmal gesagt. Dabei lächelte er schelmisch.

Hans Scheibner war immer ein begeisterter Hamburger

„Ich war schon immer ein begeisterter Hamburger“, bekannte Scheibner, der nur mit seiner ersten Ehefrau mal einige Jahre außerhalb Hamburgs gelebt hatte. „Ein Hanseat? Das ist ein Mensch, der sich immer noch nicht abgewöhnt hat, ehrlich zu sein. Da gilt noch der Handschlag“, antwortete er.

1968 hatte Hans Scheibner seinen ersten Soloauftritt. Damals trat er mit satirisch-lyrischen Gedichten auf, die er in Anlehnung an die Lästerlieder des mit ihm befreundeten malenden Lied- und Schlagertexters Fritz Graßhoff (1913-1997) „Lästerlyrik“ nannte. Den vom Literaturbetrieb wenig geschätzten Graßhoff hatte Scheibner Mitte der 60er kennengelernt und bewundert, weil der mit Lesungen, Jazz und Lyrik von einem Lkw herab sprach und sein Publikum fand, in Hamburg auch auf dem damaligen Platz hinter der Handelskammer. „Dichter auf dem Markt“ nannte Graßhoff diese Form, bei der auch Scheibner mit unveröffentlichten Gedichten Gehör fand. Dazu kamen erste Auftritte im Kabarett Die Wendeltreppe.

Der kaufmännischer Angestellte und kurzzeitige Journalist „(Welt und Welt am Sonntag“) konnte nicht studieren, „weil meine Eltern kein Geld hatten“. Und BAföG gab’s noch nicht. „Ich hab meine ersten Gedichte am Schreibtisch bei einer Lack- und Farbenfabrik geschrieben, in einer ganz kleinen Schrift, damit mich der Chef nicht sieht und es nicht lesen kann“, erzählte er von seien Anfängen.

Scheibner: „Man weiß zwar, man kann die Welt nicht mit Kabarett verändern, aber man kann doch zumindest die kleine Stimme sein, die immer noch nicht schweigen will. Darum geht es, und nicht so sehr darum, auf jeden Fall Pointen zu liefern.“

In den Himmel will Hans Scheibner nicht

Vor fast genau zehn Jahren – im Sommer 2012 – lernte Scheibner in einem vom Abendblatt initiierten Generationen-Gespräch den fast 50 Jahre jüngeren Hamburger Poetry-Slammer und späteren Deutschen Kleinkunstpreis-Träger Nico Semsrott kennen, inzwischen parteiloser Europaabgeordneter. Beide näherten sich an, Satire und Gesellschaftskritik verband sie. Es ging auch um Ärger und Stress, den ihre Arbeit auslösen kann. „Schriftsteller kriegen den Lessing-Preis, Kabarettisten ‘ne einstweilige Verfügung“, bemerkte Scheibner damals. Und: „Nicht die meisten, aber viele meiner Fans sind tot. Würde mich freuen, wenn du das auch mal erlebst“,flachste Scheibner mit Semsrott. Beide lachten.

In den Himmel, sagte er zur seinem 80. Geburtstag, möchte er nicht. Er befürchtete, „dass sich dort schon all die Bischöfe, Kardinäle und geistlichen Brüder aufhalten“, mit denen er sich auf der Erde herumgeschlagen hat. Und so fuhr er lieber erst mal per Pkw zurück in Hamburgs grünen Nordosten, nach Wohldorf-Ohlstedt. Dort lebte er seit mehr als 30 Jahren. Gern und gut – und bis zuletzt.