Hamburg. In „Nico“ spielt Sara Fazilat eine junge Frau, die nach einem Überfall ins Leben zurückfindet. Es geht um Fremdenhass und Angst.
Was für ein ausdrucksstarkes Gesicht. Welche Lebensfreude spiegelt sich darin. Und was für ein Schock, als diese dann erlischt! Nico (Sara Fazilat) ist eine junge Altenpflegerin in Berlin. Liebevoll behandelt sie ihre Pflegefälle, nimmt auch Teil an deren Leben. Schlechte Energien weiß sie gewitzt und selbstbewusst zu parieren. Eine patente Frau, die mit Freunden gern auch mal spontan im Park feiert.
Just nach einer solch ausgelassenen Stunde aber wird sie auf dem Nachhauseweg von drei Jugendlichen angepöbelt, diskriminiert und dann brutal verprügelt. Schwer erträgliche Momente, bis auch die Kamera das Bewusstsein zu verlieren scheint und erst wieder im Krankenhaus zu sich kommt. Es ist das, was man gern einen fremdenfeindlichen Übergriff nennt. Was für ein schrecklicher Euphemismus.
Nico ist nur noch ein verängstigtes Wesen
Danach ist die Deutschperserin nicht mehr dieselbe. Mit Hoody und Basecap schirmt sie sich gleich doppelt ab vor der Welt, geht kaum mehr nach draußen und starrt nur noch zu Boden, weil sie keinem mehr in die Augen zu blicken wagt. Da ist nichts mehr von der alten Nico, nur noch ein ängstliches, tief verunsichertes Wesen. Bis sie eines Tags in eine Karateschule geht, wo sie lernen will, sich selbst zu verteidigen. Vor allem aber, wieder Vertrauen zu sich selbst zu fassen. Ein wörtlicher Kampf zurück ins alte Leben.
„Nico“ ist ein wirklich erfrischendes, rohes, starkes Stück Kino. Und eine große Entdeckung des Kinojahrs 2021. Bei seiner Premiere beim Filmfestival Max Ophüls wurde die Hauptdarstellerin Sara Fazilat als bester Schauspielnachwuchs ausgezeichnet. Bei den First Steps gab es den No Fear Award. Und dann eröffnete der Film auch noch das Achtung Berlin Festival. Nun kommt er endlich ins Kino.
Es geht um Fremdenhass und Selbstermächtigung
„Nico“ überzeugt vor allem, weil er so authentisch ist. Sara Fazilat hat selbst das Drehbuch geschrieben, zusammen mit Francy Fabritz und Regisseurin Eline Gehring, ihren Kommilitoninnen bei der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. „Nico“ war ihr Abschlussfilm, den sie auch mitproduziert hat und der ganz auf sie zugeschnitten ist. Dieses Gesicht muss man sich merken. Sara Fazilat haut einen um. Und zwar buchstäblich. Sie spielt eigentlich gleich drei Rollen auf einmal: erst die Lebensfrohe, dann die panisch Verschreckte und schließlich die, die sich ihren Platz im Leben zurückerstreitet.
Dabei ist das Debüt kein eindimensionaler Ertüchtigungsfilm à la „Karate Kid“, sondern ein vielschichtiges Drama, das viel erzählt über Fremdenhass, Traumabewältigung und Selbstermächtigung. Wie nebenbei werden auch andere Themen gestreift. Etwa wenn Nico und ihre beste Freundin Rosa (Javeh Asefdjah) beiläufig von Deutsch ins Farsi wechseln und über das Tragen von Kopftüchern reden. Oder wenn diese Rosa in wenigen Andeutungen als lesbisch gezeichnet wird. Nebenrollen sind mit Laien besetzt, Pflegepatienten etwa spielen sich selbst. Dadurch atmet der Film eine ganz andere Glaubwürdigkeit.
In Hollywood gäbe es zum Schluss eine erneute Konfrontation, mit vertauschten Kräfteverhältnissen. Aber so simpel ist dieser Film eben nicht gestrickt. Dafür macht er zarte Andeutungen, die doch Hoffnung geben.
„Nico“ 79 Minuten, ab 12 Jahren, läuft im 3001