Hamburg. Die Hamburger Schriftstellerin Heike Koschyk hat über Karl Lagerfelds Vorfahren zwei Romane verfast. Was sie besonders fasziniert.
Es ist die faszinierende Geschichte einer hanseatischen Kaufmannsfamilie, die die Hamburger Autorin Heike Koschyk in ihrem neuen zweibändigen Romanprojekt erzählt. „Das Glück unserer Zeit. Der Weg der Familie Lagerfeld“ ist der Titel des soeben erschienenen ersten Bandes. Zentrale Figur darin ist Otto Lagerfeld (1881-1967), Vater des späteren Modeschöpfers Karl und Gründer des Kondensmilch-Unternehmens „Glücksklee“. Sein abenteuerliches Leben hat die Autorin, die sonst unter dem Pseudonym Sophie Bonnet Kriminalromane schreibt, anhand von originalen Dokumenten und fiktionalen Ergänzungen nachgezeichnet. Band zwei soll Ende August erscheinen.
Fangen wir am Ende des Buches an: Da schreiben Sie im Nachwort, dieses sei das „herausforderndste Projekt meines Schriftstellerlebens“ gewesen. Worin bestand die größte Herausforderung?
Heike Koschyk Es war ein unglaublicher Aufwand, die unzähligen Details, die mir am Ende vorlagen, zu einer packenden Geschichte zu verweben und sie darüber hinaus in einen historischen Kontext zu setzen – geographisch, gesellschaftlich und politisch. Zudem wollte ich den handelnden Personen gerecht werden und sie so beschreiben, wie sie wahrscheinlich gewesen waren.
Sie haben jetzt zwei jeweils 400 Seiten starke Bände über die Familie Lagerfeld geschrieben. Wie fing das alles an?
Günter Lagerfeld, der Enkel von Ottos Bruder Paul, und seine Frau Ute haben mir einen exklusiven Einblick in ihr Familienarchiv gegeben, das neben Ottos Lebenserinnerungen auch Dokumente, Briefe und Fotos enthält. Nachdem ich all das sortiert hatte, war ich erst einmal sprachlos, was es alles an Informationen über Ottos Leben gab. Bislang ist ja nur sehr wenig über ihn bekannt gewesen.
Der besondere Reiz der Familiengeschichte Lagerfelds
Worin bestand der besondere Reiz, aus diesem Leben einen Roman zu machen?
Ich habe mich gefragt, warum er seine Erinnerungen zwischen Ende 1941 und Sommer 1942 aufgeschrieben hat. Zur selben Zeit hatte er einen Grabplatz für sich und seine Familie gekauft. Was ist damals passiert? Das habe ich als Aufhänger für das Buch und für meine Recherchen genommen. Ich habe in zahllosen Archiven nach Briefen und Dokumenten gesucht, die darüber etwas aussagen. Die NSDAP hatte mehrfach versucht, das Unternehmen „Glücksklee“ zu diskreditieren und zu zerschlagen. Otto Lagerfeld muss um sein Leben gefürchtet haben.
Gleichwohl war er von 1933 bis 1945 Mitglied der NSDAP. Taktik, um das Geschäftliche nicht zu gefährden, oder Überzeugung?
Aus Überzeugung glaube ich nicht, er war ein sehr liberaler und weltoffener Mann. Ich habe mir viele Quellen angeschaut, um das nachzuvollziehen. Otto hatte sich politisch zurückgehalten und ganz im Gegenteil Kontakt zu einem englischen Banker gesucht, der ihn mit einem entschiedenen Gegner des Nationalsozialismus zusammenbrachte. Als Geschäftsführer einer amerikanischen Firma musste er sich zudem durchlavieren, und dass das ohne Parteizugehörigkeit nicht ging, dürfte ihm klar gewesen sein.
Was gab für Ute und Günter Lagerfeld den Anstoß, ein Buch über das Leben Otto Lagerfelds schreiben zu lassen?
Das Interesse an Otto Lagerfeld hatte nach Karls Tod 2019 stark zugenommen. Und da es ein sehr spannendes Leben war, sahen sie die Zeit gekommen, es öffentlich zu machen.
In den Büchern steckt ein großer Rechercheaufwand – dadurch entsteht zwar ein Höchstmaß an Authentizität. Aber: Wird die Geschichte dadurch besser oder lediglich wahrer? Oder ist das aus Verpflichtung der Familie Lagerfeld gegenüber entstanden?
Eine derartige Verpflichtung hat es nie gegeben. Wir sind seit Jahren befreundet, und sie haben mir bei der Umsetzung vertraut, daher hatte ich vollkommen freie Hand. Die Authentizität war dabei mein persönlicher Kompass. Ob die Geschichte damit besser wird oder nur wahrer, müssen die Leserinnen und Leser entscheiden.
Familie Lagerfeld kannte Inhalt vor dem Druck nicht
Haben die Lagerfelds den fertigen Roman gelesen, bevor er an den Verlag ging?
Nein. Sie haben gerade erst ihr Exemplar erhalten, und ich bin sehr gespannt, wie es ihnen gefällt.
Die Lücken in den Aufzeichnungen von Otto Lagerfeld haben Sie mit Informationen aus Gesprächen mit der Familie und fiktiven Einschüben gefüllt. Wie ist das Verhältnis von Wahrheit und Dichtung?
Das hängt von der jeweiligen Person ab. Was Otto betrifft, ist der Gehalt an Wahrheit extrem hoch. Dann gibt es aber auch Personen, von denen wenig überliefert ist, zum Beispiel seine spätere Frau Theresia. Ihr habe ich mich über ihre Familiengeschichte genähert und über ihren Bruder Johann, der etwa im selben Alter wie Otto war. Er bildete quasi die Brücke von Theresia zu Otto. Da geht es schon recht stark in die Fiktion.
Otto Lagerfeld war ein sehr umtriebiger Mensch. Schon früh wollte er die Welt sehen, ging beruflich nach Venezuela, Kolumbien, nach New York, später nach Wladiwostok. Er war in Sibirien in Kriegsgefangenschaft, dann gelang ihm die Flucht, 1918 kehrte er nach Hamburg zurück. Was für ein Mensch war Otto Lagerfeld?
Er war sehr weltoffen und neugierig, ein klassischer Hanseat. Ehrlichkeit und Verlässlichkeit waren ihm sehr wichtig. Und er war ein ausgeprägter Familienmensch, er hat immer versucht, alle zusammenzuhalten. Das hat ihn einerseits ausgezeichnet, manchmal war das aber auch übergriffig, etwa bei seinem jüngeren Bruder Paul. Da war Otto eher der Patriarch. Das war er halt auch.
So war Karl Lagerfelds Verhältnis zu seinem Vater
Es war ihm zeitlebens wichtig, ein erfolgreicher und wohlhabender Kaufmann zu werden. Auch um seinem Vater zu gefallen. Wie würden Sie das Verhältnis zum Vater beschreiben?
Ich glaube, er wollte seinen Vater einfach stolz machen. Zugleich hat er aber sehr schnell Verantwortung übernommen und immer dafür gesorgt, dass es allen gut geht. So, wie sein Vater es auch mit seiner Familie gemacht hat.
An einer Stelle sagt er: „Mein Glück ist das Geschäft.“ Die Liebe spielte bei ihm lange keine Rolle. War Otto Lagerfeld ein glücklicher Mensch?
Das weiß ich nicht, ehrlich gesagt. Er hatte gewiss seine glücklichen Zeiten, aber eigentlich hat er immer gekämpft, um Dinge zu erreichen oder zerstörte Dinge wieder aufzubauen. Oder um die Familie zusammenzuhalten.
Otto sei ein Opportunist, sagt ihm sein Anwalt einmal. Daraufhin entgegnet er, das stimme nicht, er sei Pragmatiker. Das beschreibt ihn ganz gut, oder?
Ja. Egal ob in San Francisco, Wladiwostok oder Hamburg: Er hat sich jeder noch so prekären Lage gestellt und nach einem Ausweg gesucht.
Karl Lagerfeld ist nur eine Nebenfigur
Hört man den Namen Lagerfeld, denkt alle Welt erst einmal an den Modeschöpfer Karl. Spielt er im zweiten Band eine besondere Rolle?
Karl ist nur eine Nebenfigur, aber man erfährt sehr viel über ihn und über sein Verhältnis zu seinen Eltern. Er hat keine leichte Kindheit gehabt und musste enorm kämpfen, um Anerkennung zu erhalten. Karl hatte sehr viel von seinem Vater.
Das ZDF will die Geschichte in einer Miniserie verfilmen. Wie ist der Stand der Dinge?
Der zweite Band, der im Zentrum der Verfilmung stehen soll, ist noch nicht abgeschlossen, daher herrscht hier momentan noch Funkstille. Sobald das Manuskript abgegeben ist, kann es losgehen.