Hamburg. In der Ausstellung „Dressed“ im Museum für Kunst und Gewerbe erzählen Kleider spannende Lebensgeschichten von sieben Frauen.

Sie ist unsere zweite Haut, mal Schutz, mal Statement, wir stehen ihr nie gleichgültig gegenüber, kommunizieren – bewusst oder unbewusst – über sie und verbringen zwei Drittel unseres Lebens mit und in ihr: Kleidung. Wir können an ihr Epochen ablesen und Menschen einem Status zuordnen. Und wir können durch sie persönlichen Geschichten nachspüren, denn nichts ist intimer als die private Garderobe. Die Ausstellung „Dressed“ im Museum für Kunst & Gewerbe (MK&G) gewährt nun einen Einblick in die Leben von sieben außergewöhnlichen Frauen, deren Kleider zugleich von insgesamt 200 Jahren Modegeschichte berichten.

Den Tag, an dem die Garderobe von Erika Holst ins Museum gebracht wurde, beschreibt Kuratorin Angelika Riley als den „Schlüsselmoment für diese Ausstellung“: Die Frau, die am Ende des Ersten Weltkriegs geboren worden war und in der Nähe von Kiel gelebt hatte, starb 1946 mit knapp 30 Jahren an einer Lungentuberkulose, hinterließ einen Mann und zwei kleine Kinder. Ihre Garderobe zeugt von großem Modebewusstsein: Ein nachtblauer Badeanzug aus Rippenstrick, bei dem der Stoff am Bauch ausgelassen ist, hohe Korksandalen, jede Menge elegante Nachmittagskleider, eine dunkelgrüne Abendrobe mit Tüllärmeln, ein Chanel-Flakon.

„Ich besah ihre Kleider, las ihre Briefe und sichtete ihre Fotografien. Dieses Konvolut, in dem sich Zeitgeschichte und gelebtes Leben durchdringen, verdeutlichte die Funktion von getragener Kleidung als Zeitspeicher“. Warum nicht die umfassende textile Sammlung des Hauses nach genau diesem Kriterium durchforsten? „Dressed“ war geboren.

Ausstellung "Dressed": Kleider spiegeln Status und Epochen wider

Der Nachlass der Senatorengattin Elise Fränckel (1886–1976) etwa steht stellvertretend für das Bürgertum, das sich während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts selbstbewusst Mode- und Kleidungsnormen erobert: Mehr als 80 Accessoires sind in der Sammlung: Florentiner Hut und Huthauben, Sonnenschirm und Handschuhe, Kaschmirschals und Spitzenkragen.

Im Kleiderschrank von Edith von Maltzan (1886–1976) geht es noch exquisiter zu: Aus der Magdeburger Indus­tri­ellenfamilie Gruson stammend, wächst sie in begüterten Verhältnissen auf und heiratet mit 28 Jahren den Adligen „Ago“ von Maltzan. Sie reisen viel, gehören dem internationalen Jetset an; dementsprechend elegant sind Ediths Tageskleider und Roben für Abendsoirées.

Anne Lühn, Jahrgang 1944, ist selbst Designsammlerin und hat dem Museum bereits ein großes Konvolut an Avantgardemode beschert. Ihr Schwerpunkt sind sogenannte Game Changer: Designer wie Yamamoto, Kawakubo, Miyake und Margiela leiteten die Abkehr von Körperoptimierung und der allzu offenen Zurschaustellung von Sex-Appeal zugunsten einer inklusiveren Ästhetik hinsichtlich Körpergröße und Alter ein.

Angelica Schmidt trug Mode als Uniform

Einmal Yves Saint Laurent, immer Yves Saint Laurent – so das Motto der Hamburger Galeristin Elke Dröscher (*1941). Seit 1968 nutzt sie Saint Laurents Pragmatismus, den er von Männerkleidung auf Frauenmode übertrug, als „Power Dressing“, um ein Bild von sich zu kreieren und Karriere zu machen. 120 dieser wertvollen Kleidungsstücke gingen 1995 in den Besitz des MK&G über.

Mode als Uniform und ultimatives Markenzeichen – dieses Extrem lebte keine andere so leidenschaftlich und medienwirksam aus wie Angelica Blechschmidt (1941–2018). Als Chefredakteurin der deutschen „Vogue“ in den Jahren 1989 bis 2003 prägte sie den Stil einer ganzen Republik, erlebte die Ära der Supermodels und luxuriösen Prêt-à-porter-Mode. Sie selbst blieb sich mit schwarzen Cocktailkleidern, High Heels, großen Accessoires und einer toupierten Löwenmähne mit weißer Strähne treu. Lange vor den bildorientierten digitalen Medien erfand Blechschmidt die Backstage-Fotografie auf Modenschauen, die sie in ihrer Kolumne „Flash“ verarbeitete. Eine illustre Fototapete bildet den Hintergrund zu ihren Exponaten.

Stilistischer Quantensprung: Ines Ortner, 1968 geboren, wurde schon als Jugendliche als „Rapunzel“ in der Hamburger Punk- und alternativen Theaterszene aktiv, entwarf und „baute“ ihre Kleidung selbst, mit Sicherheitsnadeln, Nieten und Secondhand-Lederkleidung – „Upcycling aus der Not heraus“, sagt sie. Ihre Ecke in der Ausstellung ist dementsprechend rau und dunkel gestaltet, man sieht die Frau in zerrissenem Shirt auf einer Konzertbühne in der Zinnschmelze, daneben ist ihr berühmtes Dosenlaschenkleid ausgestellt.

„An einem Tag mit solch einer schrecklichen Nachricht“, schließt Angelika Riley ihre Eröffnungsrede mit Bezug auf die Ukraine, „fragt man sich unweigerlich: Wie viel Kriegserfahrung steckt auch in diesen Kleidern?“.

„Dressed. Sieben Frauen – 200 Jahre Mode“ 25.2.–28.8., Museum für Kunst und Gewerbe (U/S Hauptbahnhof), Steintorplatz, Di–So 10.00–18.00, Do 10.00–21.00, Eintritt 12,-/8,- (erm.), www.mkg-hamburg.de