Berlin. Wie Regisseur und Laienrichter Andreas Dresen mit „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ einen Bären auf der Berlinale gewinnen will.

Auf der Berlinale ist Andreas Dresen schon ein alter Hase. 1999 war er erstmals mit „Nachtgestalten“ im Wettbewerb, später auch mit „Halbe Treppe“ und „Als wir träumten“, mit anderen Filmen war er im Panorama und Forum und 2013 saß er auch in der Internationalen Jury. Nun ist der Regisseur wieder im Bären-Rennen: mit „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“, einem kämpferischen Drama um die Mutter von Murat Kurnaz, die lange dafür kämpfte, dass ihr Sohn nicht länger rechtswidrig im Gefangenenlager Guantanamo festgehalten und gefoltert wurde. An diesem Sonnabend hat der vom NDR koproduzierte Film Weltpremiere. Wir sprachen vorab mit dem 58-Jährigen.

Herr Dresen, Sie sind einmal mehr im Wettbewerb vertreten. Aber wie fühlt sich das an, auf einer Berlinale unter Omikron-Rekordwerten?

Andreas Dresen Ich freue mich, dabei zu sein. Ich kenne die Berlinale ja aus den unterschiedlichsten Perspektiven, ich war schon in allen Sektionen und diversen Jurys, auch für den Wettbewerb. Das ist wie ein Nachhausekommen, weil ich mit diesem Festival schon so lange verbunden bin. Und es findet ja auch in der Heimat statt. Für unseren Film ist das ein toller Geburtsort.

Auch trotz der verschärften Bedingungen?

Ich habe wegen Omikron keine Angst. Auch wenn die Säle nur halb besetzt sein werden – ich freue mich über alles, was im kulturellen Sektor stattfindet. Denn auch Kultur ist systemrelevant! Und wir müssen nach zwei Jahren Pandemie etwas für unsere angeschlagenen Seelen tun. Deshalb finde ich es ganz wichtig, dass die Berlinale jetzt, wenn auch unter schwierigsten Bedingungen, stattfindet. Filme brauchen die große Leinwand und Gemeinschaft, wir können uns nicht alle auf Dauer in unsere Schneckenhäuser zurückziehen.

Ihr Film handelt von der schrecklichen Geschichte von Murat Kurnaz, der fünf Jahre ohne Anklage in Guantanamo saß. Sucht man so einen Stoff, oder findet der einen?

Mich hat er gefunden. Ich habe die Geschichte von Murat natürlich in den Medien verfolgt. Und dann wurde mir sein Buch „Fünf Jahre meines Lebens“ in die Hand gedrückt. Die Lektüre hat mich wirklich geschockt. Dieser Horror spielte ja nicht in einer fernen Vergangenheit, sondern hier und jetzt. Das hat mich in Bewegung gesetzt. Diese Geschichte musste ich erzählen.

Sie haben aber nicht Kurnaz’ Geschichte verfilmt. Sie stellen vielmehr den Kampf seiner Mutter in den Mittelpunkt. Um die Geschichte menschlicher, überhaupt erträglich zu machen?

Die Geschichte von Murat in Guantanamo ist geradezu unerträglich. Kein Gerichtsverfahren, kein Urteil, er wusste nicht, wie lange er dort bleiben musste, dazu noch Folter. Das ist schier kafkaesk. Wir haben das aus dieser Perspektive erzählerisch nicht bewältigt. Es waren nacheinander vier Drehbuchautoren beteiligt. Irgendwann fanden wir dann den Schlüssel, die Geschichte aus der Perspektive von Murats Mutter Rabiye zu erzählen. Weil dadurch ein ganzer wichtiger Aspekt hinzu kommt: Hoffnung.

War das auch ein Kunstgriff, weil nur Männer über das Schicksal von Murat Kurnaz entschieden und es da eine Frau gab, die mit Naivität, aber auch gesundem Menschenverstand dagegen ankämpft? Sie ist ja auch eine ideale Identifikationsfigur für den Zuschauer, der sich wie sie mit den juristischen Finessen gar nicht auskennt.

Auf jeden Fall. Rabiye ist eine ganz besondere Person, sie hat Humor, eine große Herzlichkeit und Kraft und hat wie eine Löwenmutter alles getan, um ihren Sohn da rauszuholen. Es gab aber noch eine zweite wichtige Frau in dieser Geschichte – und das war Angela Merkel. Das ist wirklich interessant: In dem Moment, als die politische Führung in Deutschland wechselt und eine Frau die Fäden in die Hand nimmt, kommt Murat Kurnaz frei. Das war eine der ersten Amtshandlungen von Angela Merkel. Da sieht man schon, welche Priorität sie dem eingeräumt hat. Vielleicht haben Frauen einfach eine feinere Antenne für Menschlichkeit.

Sie sollen wie immer einen kleinen Selbstauftritt inszenieren. Wie man hört, als Richter beim Supreme Court. Wollten Sie damit noch mal ein klares Zeichen setzen?

In gewisser Weise schon. Ich bin ja selbst seit fast zehn Jahren Verfassungsrichter in Brandenburg. Im Film sitze ich übrigens neben dem originalen Bernhard Docke, dem Anwalt von Murat. Und das bot sich an, weil ich das Urteil des Supreme Courts im Fall Kurnaz sehr bemerkenswert finde: Es ist eine Ohrfeige für die US-Regierung unter George W. Bush, indem es klar feststellt, dass das System Guantanamo nicht rechtens ist. Was für ein Zeichen, dass es ein Korrektiv gibt in der Demokratie! Dass Politiker nicht einfach machen können, was sie wollen. Die Politik findet leider immer wieder Tricks und Finten, um das System Guantanamo aufrechtzuerhalten. Deshalb kann man gar nicht genug Filme darüber machen. Es ist ja im Übrigen das teuerste Gefängnis der Welt, da bewachen 1500 Bewacher momentan noch 39 Einsitzende. Jeder Gefangene kostet im Jahr 13 Millionen Dollar. Das Geld könnte man wirklich für anderes verwenden.

Sie sind seit 2012 Verfassungsrichter. Hat Ihnen das bei diesem Film geholfen, weil Sie vertrauter sind mit der juristischen Materie?

Bei diesem Film hat uns vor allem Bernhard Docke geholfen. Aber klar, es fällt mir jetzt etwas leichter, diese komplexen Sachverhalte zu verstehen. In so einer langen Zeit sammelt man natürlich Erfahrungen mit juristischen Fragestellungen. Und ich finde es gut, dass es in diesem so wichtigen Spruchkörper einen Laienrichter gibt. Wir hatten in der Coronazeit echt viel zu tun. Sehen Sie hier: Wir haben am Freitag nach der Berlinale Sitzung, da muss ich diese ganzen Akten durcharbeiten. Aber ich habe es noch keine Sekunde bereut, dass ich das gemacht habe. Und ich finde es auch ermutigend: Zu uns kann jeder Bürger kommen. Es kostet nichts.

Wie viel Zeit frisst dieser Nebenjob? Würden Sie mehr Filme drehen, wenn Sie nicht auch dem nachgingen?

Ich kriege es eigentlich ganz gut hin. Es läuft auch nur noch dieses Jahr, als Verfassungsrichter wird man in Brandenburg für zehn Jahre gewählt. Ich werde einerseits froh sein, wenn es vorbei ist, weil es wirklich Zeit frisst. Andererseits hat es aber meine Wachheit und Aufmerksamkeit geschärft.

Murat Kurnaz wurde 2006 aus der Haft entlassen und schrieb 2007 sein Buch. Warum gibt es erst jetzt einen Film darüber? Braucht es den zeitlichen Abstand? Oder gab es da Produktionszwänge?

Ich war tatsächlich seit 2008 an dem Projekt dran. Aber es hat uns niemand Steine in den Weg gelegt. Es hat einfach so lange gebraucht, herauszufinden, wie wir das erzählen können. Lange wollten wir ja Murats Geschichte in Guantanamo machen. Es gab schließlich 2013 auch einen Spielfilm darüber, zu dem Zeitpunkt hatten wir schon umgeschwenkt auf die Perspektive seiner Mutter. Und es ist ja zum Glück keine Geschichte, bei der es um Tagesaktualität geht. Sie handelt von der Kraft der vermeintlich Schwachen, und das gilt immer. Wir sollten nie resignieren, auch wenn wir das Gefühl haben, klein und machtlos zu sein. Nein, man kann etwas tun, auch gegen die scheinbar unbesiegbaren Kräfte dieser Welt!

Ihr Film ist, nach „Curveball“, der zweite in kurzer Zeit, der die Terrorpolitik der damaligen Bundesregierung kritisiert – und damit auch den heutigen Bundespräsidenten, der damals das Kanzleramt geleitet hat.

Unsere Premiere liegt ja pikanterweise einen Tag vor der Wiederwahl des Bundespräsidenten. Ich finde es sehr schade, dass bisher keiner der damals involvierten Politiker die Größe hatte, zu sagen, wir haben einen Fehler gemacht oder sich besser noch zu entschuldigen. Davon kann sich Murat zwar auch nichts kaufen, aber es wäre eine Geste der Gerechtigkeit. Die wäre dringend nötig.