Dass diese Inszenierung je Premiere feiern würde, war unwahrscheinlich. Eine persönliche Chronik des Thalia-Intendanten Joachim Lux.

Wenn sich der Vorhang hebt und auf der Bühne die ersten Sätze gesprochen werden, ist das nicht der Beginn. Die Premiere ist, genau genommen, sogar das Finale. Das Publikum sieht ein Ergebnis oder vielmehr: eine Konsequenz. Welchen Weg die beteiligten Künstler bereits gegangen sind, welch einen enormen Aufwand eine Produktion bisweilen bedeutet, wie viel Vorlauf, wie viele Rückschläge, wie viel Leidenschaft in einem Theaterabend stecken, ahnt womöglich höchstens, wer selbst schon einmal beteiligt war.

Wenn in der kommenden Woche die Lessingtage am Thalia Theater mit der Uraufführung „Der schwarze Mönch“ eröffnen, steht eine Produktion auf dem Spielplan, die es gegen jede Wahrscheinlichkeit geschafft hat. Ein Abend, dem viele Monate der Annäherung vorausgegangen sind. Der russische Regisseur Kirill Serebrennikov saß zeitweise in Hausarrest und durfte sein Land jahrelang nicht verlassen.

„Der schwarze Mönch“: So schaffte es die Inszenierung auf die Bühne

Die Corona-Pandemie unterbrach zwei Spielzeiten. Joachim Lux, der Intendant des Thalia Theaters, hat in dieser Zeit Tagebuch geführt – es gibt einen sehr persönlichen Einblick über die verrückte Entstehung einer Theaterproduktion zwischen Moskau und Hamburg. Ihren Ausgang nimmt die Odyssee in Wien – vor fast sieben Jahren ...

Mai 2015 – Gogols „Tote Seelen“ bei den Wiener Festwochen. Eine Inszenierung von Kirill Serebrennikov, extrem körperbetont, unsentimental, perfekt in Timing und Tempo, quer zu westlichen Ästhe­tiken. Ein Stoff über Sozialbetrug: Die Hauptfigur kauft zu Dumpingpreisen die Namen von verstorbenen Bauern, deren Tod noch nicht aktenkundig ist. Erste Kontaktaufnahme.

30. März 2017 – Besuch des Gogol Centers in Moskau, ein hipper, künstlerisch-wilder, bis in die Foyers hinein spontaneistischer Kunstort, mit Graffitis und viel bildender Kunst. In Moskau neben dem Stanislavski Electro Theater das modernste Theater.

23. August 2017 - Serebrennikov wird verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Eine Inszenierung in Hamburg erscheint unrealistisch.

Nach fast zwei Jahren: „Free Kirill“

Januar 2019 - Gastspiel des Gogol Center mit „Who is happy in Russia“ nach Nekrassow bei den Hamburger Lessingtagen. Die Frage nach dem Glück und die nach der politischen Freiheit werden hier zusammen gedacht. Text, Musik, Körper spielen gleichberechtigte „Rollen“. Zum Schluss erscheint das Ensemble mit „Free Kirill“-T-Shirts. Standing ovations.

„Free Kirill“-Postkarte von Stefan Marx.
„Free Kirill“-Postkarte von Stefan Marx. © nn

April 2019 – Serebrennikovs Hausarrest wird aufgehoben, aber er darf nach wie vor Russland nicht verlassen.

9. November 2019 – Besuch der Vorstellung „Barocco“ im Gogol Center – ein genresprengendes Gesamtkunstwerk, von Ferne an Schlingensief erinnernd, ein Versuch, politischen Widerstand und barocke Festkultur zusammen zu denken. Einladung nach Hamburg. Treffen mit Kirill Serebrennikov. Wir verabreden uns auf eine Zusammenarbeit, egal wann, wie und wo, es fühlt sich stimmig an.

10. November 2019 – Serebrennikov schreibt auf Deutsch: „Vielen Dank für unser Treffen und unser wichtiges Gespräch. Ich bin sehr interessiert und habe mich gefreut, Sie persönlich kennenzulernen. Ich hoffe, dass ich weitermachen kann.“

Der nächste Stein im Weg: Die Corona-Pandemie

6.–8. März 2020 – Eine letzte Reise, bevor Europa in der Pandemie versinkt: Freitag „Die Glasmenagerie“ im Pariser „Odeon“ mit Isabelle Huppert (laden wir ein, muss dann aber ausfallen), Samstag in London das Reenactment von Robert Lepages Inszenierung „The seven ­streams of the river Ota“ (passt trotz allseitiger Bemühen bühnentechnisch leider nicht ins Thalia), und Sonntag die Premiere von Serebrennikovs „Dekamarone“ (Deutsches Theater Berlin). Die Proben fanden in Moskau statt, und dann – Serebrennikov per Zoom zugeschaltet - in Berlin. So wird es in Hamburg wohl auch sein, es sei denn die Staatsanwaltschaft lässt die Klage gegen Serebrennikov fallen … Die Rahmenerzählung – eine Gruppe von Menschen rettet sich vor der Pest aufs Land und erzählt und lebt als Akt des Überlebens Geschichten – passt plötzlich präzise auf die Situation, auch wenn die Inszenierung vermutlich ursprünglich von der Freiheit der Kunst in unfreien Verhältnissen anderer Art erzählen wollte.

13. März 2020 – Corona. Das Thalia-Theater stellt wegen der Pandemie den Spielbetrieb bis zum Sommer ein. Wir planen dennoch weiter.

Der Künstler Stefan Marx zeichnet das Logo der Lessingtage – und skizzierte den „Schwarzen Mönch“.
Der Künstler Stefan Marx zeichnet das Logo der Lessingtage – und skizzierte den „Schwarzen Mönch“. © Stefan Marx

März/April 2020 – Wir ignorieren die Verhältnisse und denken über Stoffe nach. Wir sprechen über Parsifal und vieles andere. Serebrennikov erzählt, in Moskau könne man jederzeit ein Dutzend Tschechow-Inszenierungen sehen, die „Möwe“ und anderes rauf und runter, ihn fasziniere die in Russland sehr berühmte, im Westen aber unbekannte Erzählung „Der schwarze Mönch“.

April 2020 – Das Gastspiel von „Barocco“ in der Regie von Kirill Serebrennikov wird auf den Herbst 2020 verschoben und schließlich wegen der Corona-Kollateralschäden auf die Lessingtage 2021.

26. Juni 2020 - Serebrennikov wird zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, darf das Land nach wie vor nicht verlassen und muss das „veruntreute“ Geld zurückzahlen.

„All my future is quite foggy, sadly“

10. August 2020 – Serebrennikov schreibt: „Lieber Joachim, viele, sehr viele Dinge sind auf der Welt passiert, seit wir uns vor Monaten getroffen haben. Ich hoffe, dass sich alles früher oder später bessert … Ich denke immer noch über die „Der schwarze Mönch“-Idee nach und würde das sehr sehr gern am Thalia inszenieren. Wann? Ich denke viel darüber nach. Es könnte eine komplexe Aufführung mit Musik, starker Optik und „physical theatre“ werden. Vermutlich weißt du, dass ich in Russland mit sehr besonderen Schauspielern arbeite, die tanzen können, singen können, die Musikinstrumente spielen, die „real animals in physical theatre“ sein können. Deswegen würde ich gern über eine Art Koproduktion oder Kooperation mit deutschen und russischen Schauspielern vom Gogol-Center nachdenken. Ich denke über 6 deutsche bzw. russische Hauptdarsteller nach und über einen Chor. Ich würde dafür gern bald eine besondere Musik in Auftrag geben. Denn so etwas braucht Zeit. Parallel schreibe ich das Libretto, vielleicht auch noch mit anderen Texten von Tschechow. Was denkst du?“

„Ich wurde zum Experten der Selbstisolation“ – Kirill Serebrennikov kommunizierte schon lange vor Corona zwangsläufig vor allem digital.
„Ich wurde zum Experten der Selbstisolation“ – Kirill Serebrennikov kommunizierte schon lange vor Corona zwangsläufig vor allem digital. © Joachim Lux

28. August 2020 - Joachim Lux: „Was machen wir, wenn im Frühjahr 2021 immer noch Corona ist? Wir dürfen hier weiterarbeiten, aber nur mit harten Abstandsregeln. Kannst Du Dir das vorstellen?“ – „Keine Ahnung, ich denke darüber nach.“ – „Und: Ob die russischen Schauspieler wohl reisen dürfen? Oder vorher und nachher in Quarantäne?“ – „Meine persönliche Situation ist nicht mit Corona verbunden. Ich darf Russland ja nicht verlassen.“ – „Glaubst Du denn, dass Du in absehbarer Zeit Russland verlassen darfst, um z. B. in Hamburg zu inszenieren? – „In 2021 vermutlich nicht, aber man weiß es nie.“ – „Ich bin nicht sicher, ob wir in Corona-Zeiten Thalia-Schauspieler zu Proben nach Moskau schicken können, vielleicht ja, vielleicht nein.‘ – „Keine Ahnung, dann lass uns das Projekt canceln oder verschieben und auf bessere Zeiten hoffen.“ – „Nein, lass uns trotzdem einen Zeitplan machen.“ – „Die Frage nach der Zeit ist die schlimmste. Ich kann Russland nicht verlassen und weiß nicht, wie ich mit Schauspielern ohne physischen Kontakt arbeiten soll. (…) Lass es uns canceln. Meine Situation ist zu unklar. Momentan bin ich vollkommen verloren und kein zuverlässiger Partner, mit dem man planen kann.“ – „Ich sehe Deine Traurigkeit. Lass uns zusammen um die Arbeit kämpfen.“

September 2020 – Serebrennikov schreibt: „All my future is quite foggy, sadly.“

Oktober/November 2020 - Wir planen die Inszenierung zunächst für den Sommer 2021, verschieben sie dann aber, in der Hoffnung auf politische und pandemische Besserung in den Winter 21/22. Anfang November 2020 stellt das Thalia den Spielbetrieb abermals ein. Die Schließung wird mehrfach verlängert, bis wir im Juni 2021 für einige Tage wieder öffnen. Wir planen trotzdem weiter.

Wie geht es 2021 mit dem „Schwarzen Mönch“ weiter?

13. Januar 2021 – Serebrennikov: „Ich bin nicht mehr der künstlerische Leiter des Gogol-Centers. Das heißt aber nicht, dass wir den ,Schwarzen Mönch‘ nicht in Moskau produzieren können. Das Gogol Center wird uns bei Visas und Einladungen sicher unterstützen.“ – „Sehr schade!“ – „Nein, das ist nicht schade. Ich will nicht in einer erfolgreichen Vergangenheit feststecken. Veränderungen machen uns stärker.“

Jan./Febr. 2021 – Die Lessingtage 2021 werden wegen der Pandemie ins Digitale verlegt. Das Gastspiel von Serebren­nikovs „Barocco“ entfällt abermals. Mit seinen Äußerungen in dem Film „Visions of Europe“, den wir digital ausstrahlen, ist er trotzdem präsent.

3. März 2021 – Die Anfrage, mit dem Projekt im Sommer 2022 eines der wichtigsten europäischen Festivals zu eröffnen, ist die erste positive Nachricht seit Langem.

Februar bis September 2021 – Konkrete Planung der Produktion mit vielen herausfordernden Fragen: Die Proben müssen mit hoher Wahrscheinlichkeit in Moskau stattfinden. Welche Schauspieler sind gewünscht, wer ist bereit, 6-8 Wochen in Moskau zu probieren? Was bedeutet das für das Repertoire in Hamburg? Was bedeuten Proben in Moskau unter den Bedingungen der Pandemie? Welche Sicherheitsregeln brauchen wir?

Wir planen die Proben mit drei deutschen Schauspielern, drei russischen Schauspielern und einem russischen Opernsänger in Moskau. Wie wir das mit den A-cappella-Sängern und Tänzern machen, bleibt lange unklar, auch die Frage, wo die Kostüme hergestellt werden. Falls Serebrennikov überraschenderweise doch ausreisen darf, werden alle Pläne auf Proben in Deutschland geändert. Der kaufmännische Geschäftsführer Tom Till und der künstlerische Betriebsdirektor Andreas Bloch kämpfen in einer überaus undeutlichen Situation sehr für das Projekt – ein Dschungel an vertraglichen und organisatorischen Fragen. Zwischen uns und dem russischen Team finden zahllose Zoom-Konferenzen statt. Yaroslava Ziva-Chernova und Anna Shalashova überzeugen, trotz der sich ständig ändernden Corona-Situation immer wieder durch einen nicht nachlassenden Optimismus.

Kirill Serebrennikow bekommt seine deutsche Wunschbesetzung

14. Mai 2021 – Serebrennikov mailt seine Bearbeitung in russischer Sprache. Wir schicken sie in ein Übersetzungsprogramm, um Inhalt und Struktur zu begreifen. Entstanden ist ein eigenständiges Werk: Serebrennikov hat ein Rondo geschrieben, mit vier Perspektivwechseln. Vergabe einer professionellen Übersetzung.

Sommer 2021 – Fortsetzung der Verhandlungen mit einem großen europä­ischen Festival. Das Thalia war dort in der Vergangenheit mehrfach zu Gast, aber noch nie zur Eröffnung der größten Spielstätte.

29. September 2021 – Erstes Treffen von Kirill Serebrennikow mit den deutschen und russischen Schauspielerinnen und Schauspielern per Zoom. Von deutscher Seite aus bekommt Kirill Serebrennikov tatsächlich seine Wunschbesetzung. Gabriela Maria Schmeide, Bernd Grawert und Mirco Kreibich haben Lust auf das Abenteuer. Von russischer Seite dabei sind Chulpan Khamatowa, Philipp Avdeev und Odin Biron.

6. Oktober 2021 – Im Thalia findet eine exzellent vorbereitete Bauprobe statt. Die Thalia-Technik und Serebrennikov verstehen sich sehr gut. Serebrennikov ist über eine große Projektion per Zoom zugeschaltet.

1. November 2021 – Die Schauspielerin Chulpan Khamatowa kann doch nicht mitwirken, da Robert Lepages Inszenierung von „Meister und Margherita“ am Moskauer „Theatre of Nations“ pandemiebedingt verschoben werden muss. Stattdessen ist jetzt Viktoria Miroschnichenko dabei.

Ein aufregender Moment: Probenbeginn!

7. November 2021 – Probenbeginn in Moskau. Anreise von Gabriela Maria Schmeide, Bernd Grawert und Mirco Kreibich, vollständig geimpft und PCR-getestet. Moskau beendet gerade einen Kurz-Lockdown von einer Woche, mit Ausnahmeregeln für die Kultur, die staatlichen Bühnen und Museen sind weiterhin fürs Publikum geöffnet: mit Fiebermessen, Kontrolle von Impfpässen bzw. PCR-Testung. Die Proben sollen bis zum 19.12. in Moskau stattfinden. Das Hotel hat westlichen Standard (auch hinsichtlich der Sicherheitsregeln), der Transfer zu den Proben erfolgt nicht öffentlich, sondern per Shuttle oder: eine Stunde zu Fuß.

Erste Probenbegegnung der deutschen und russischen Künstlerinnen und Künstler auf der Probebühne des Gogol Center – ein aufregender Moment. Ein Ensemble, das (noch) keines ist, erst eins werden möchte und Sprachbarrieren zu überwinden hat, lernt sich langsam kennen. Serebrennikov hat eine enorm hohe Probendisziplin. Er hält die verabredeten Probenzeiten und Pausen auf die Minute ein, in der Arbeit gibt es keine anekdotischen Schlenker, sondern einzig und allein und strikt die Arbeit an der Sache.

Zur ersten gemeinsamen Leseprobe trafen sich die Künstlerinnen und Künstler im Moskauer Gogol-Zentrum.
Zur ersten gemeinsamen Leseprobe trafen sich die Künstlerinnen und Künstler im Moskauer Gogol-Zentrum. © Anna Shalashova

Basis der Arbeit ist die deutsch-russische Textsynopse. Am Anfang stehen Verständnisfragen, Stilfragen, Annäherungen an ein zu findendes Tschechow-Verständnis. Fragen auch zur außergewöhnlich seltsamen Tschechowgeschichte, die vom Verrücktwerden, von Genie und Wahnsinn erzählt, erste Versuche, Serebrennikovs „Rondo“-Idee zu verstehen etc. Serebrennikov kündigt an, dass wir in Deutschland keine Übertitel brauchen, weil der Abend selbsterklärend inszeniert würde, und die russische Schauspielerin und ihre Kollegen Deutsch lernen würden. Zwischendurch Besuch des von Marina Davydowa kuratierten NET-Festivals. Dort gastiert Susanne Kennedys Münchner „Drei Schwestern“-Inszenierung. Ihr virtueller Ansatz mit Avataren wird von den Moskowitern erstaunlicherweise angenommen.

Ende November 2021 – Gabriela Maria Schmeide muss zu Vorstellungen nach Hamburg reisen. Der Rückflug geht über Riga. In Moskau ankommend darf sie nicht einreisen, Einreisen aus Riga sind nur für Reisende, die in Russland einen Verwandtenbesuch vorhaben. Darauf hatten die Flughäfen in Hamburg und
Riga nicht hingewiesen. Nach einer auf dem Moskauer Flughafen durchwachten Nacht fliegt sie nach Hamburg zurück. Und von dort wieder direkt nach Moskau.

Es zeichnet sich ab, dass Serebren­nikovs „Barocco“-Gastspiel bei den Lessingtagen pandemiebedingt abermals nicht stattfinden kann.

ab 6. Dezember 2021 – Wechsel von der winzig kleinen Gogol-Probebühne zu Mosfilm, auf das große Film- und Fernsehareal von Moskau. Hier wird die Inszenierung jetzt wirklich zusammengesetzt. Die Hoffnung, dass Serebrennikov zu den Endproben nach Hamburg kommen kann, hat sich verflüchtigt, wir werden ihn per Zoom dazu schalten müssen. Parallel immer wieder Versuche, die unglaublich vielfältige Theaterstadt Moskau kennenzulernen, u. a. die Inszenierung „Meister und Margherita“ am „Theater of Nations“: Mit unglaublich viel Geld erstellt, ist Robert Lepages angelsächsischer Well-made-play-Dialogansatz eine Enttäuschung. Interessanter dagegen eine sehr sehr freie russische Annäherung an Brechts „Trommeln in der Nacht“, das würde sich bei uns niemand trauen.

Dezember 2021 – Die Proben schreiten voran, brauchen aber aufgrund der Sprachbarrieren mehr Zeit. Überlegung, im Januar außerplanmäßig eine Woche in Moskau zu proben. Oder kann er doch nach Hamburg? Plötzlich wieder Hoffnung. Wir planen doppelgleisig.

20. Dezember 2021 – Das Thalia-Ensemble reist zurück nach Hamburg, mit den in Russland gefertigten Kostümen im Gepäck.

„Der Schwarze Mönch“: Zwischen Omikron und der Hoffnung auf Premiere

Ab 3. Januar 2022 – Endproben in Hamburg. Das künstlerische Team und die russischen Schauspieler reisen aus Moskau an. Die Proben leitet Co-Regisseur Evgeny Kulagin. Die hiesigen Tänzer und a-cappella-Sänger werden eingearbeitet, ebenso der in Moskau erst zuletzt dazugestoßene Sänger/Performer Gurgen Tsaturyan und die Gewerke des Thalia-Theaters. Die russische Regieassistentin doubelt Viktoria Miroshnichenko, die erst in einer Woche aus Moskau anreisen kann.

Die Zeichen, dass Serebrennikov tatsächlich nach Hamburg kommen könnte, verdichten sich, Pass und Visum hat er, wirklich daran glauben tun wir nicht.

5. Januar 2022 – Die Omi­kron-Variante verbreitet sich immer mehr. Hoffentlich bleibt unsere Arbeit verschont.

7. Januar 2022 – Positive PCR-Testung bei einem Crew-Mitglied. Die Fortsetzung der Arbeit ist gefährdet.

8. Januar 2021 – Überraschende Ankunft von Kirill Serebrennikov in Hamburg. Erstmals seit über 4 Jahren darf er Russland verlassen. Er kann nun die Proben selbst leiten, anstatt dass wir ihn per Zoom aus Moskau dazuschalten. Bei seiner Ankunft am Flughafen sagt er: „Ich bin sehr froh und glücklich, dass Hamburg die erste europäische Stadt ist, in der ich nach viereinhalb Jahren wieder arbeiten darf! Denn es ist zugleich die letzte Stadt, in der ich vorher gewesen bin. Das fühlt sich gut an! Das ist ein gutes Zeichen, und bestimmt kein Zufall!“

Unerwartet: Am Wochenende landete Kirill Serebrennikov tatsächlich am Flughafen Hamburg.
Unerwartet: Am Wochenende landete Kirill Serebrennikov tatsächlich am Flughafen Hamburg. © Fabian Hammerl | Fabian Hammerl

Wir zeigen ihm unsere von Stefan Marx gezeichneten Lessingtage-Schriften. Er ist begeistert und zieht seinen Pullover hoch. Auf seinem T-Shirt: Schriften von Stefan Marx! Serebren­nikov geht am Sonntag sofort in die Ausstellung von Lars Eidinger und Stefan Marx in der Kunsthalle … Stefan Marx will spontan etwas zeichnen. Die beiden möchten sich treffen.

9. Januar 2022 - Sonntäglich gehen alle Beteiligten zum PCR-Test. Nach und nach stellt sich im Laufe des Tages heraus, dass niemand positiv ist! Glück gehabt! Die Proben können weitergehen.

Auch 9. Januar 2022 – Serebrennikov kommt im Thalia-Theater an und wird mit kräftigem Applaus begrüßt. Er sagt: „Dass wir in diesen wahnsinnigen Zeiten jetzt tatsächlich an diesem Projekt arbeiten, ist ein Zeichen des Widerstands gegen die Epidemie! Wir geben nicht auf! Verhaltet euch bitte zum eigenen Schutz wie zerbrechliche Porzellanvasen!“ Die Nachricht seiner Ankunft verbreitet sich wie ein Leuchtfeuer. Der Tenor: Es gibt in schlechten Zeiten noch richtig positive Nachrichten, die guttun.

Hoffentlich: 22. Januar 2022 - Zur Eröffnung der Lessingtage zeigt das Thalia-Theater Kirill Serebrennikovs freie Bearbeitung von Tschechows Erzählung „Der schwarze Mönch“. Kirill Serebren­nikov steht beim Schlussapplaus der Premiere erstmals seit Langem wieder auf der Bühne.

Anna Shalashova hatte in den letzten Wochen immer wieder gesagt: „Fingers crossed: German rules and russian miracles …“ Daumen drücken: Deutsche Regeln und russische Wunder ...