Hamburg. Im Literaturhaus wurde das beste Debüt geehrt. Doch am Verleihungsabend stand nicht nur Erzählerin Stefanie von Schulte im Mittelpunkt.

Literaturhaus-Chef Rainer Moritz nutzt den Verleihungsabend des Mara-Cassens-Preises traditionell, um dem noch jungen Jahr für den weiteren Verlauf ein paar Gedanken mit auf den Weg zu geben. In bester, kritischer Zeitdiagnostik geht es da auch mal ans Eingemachte. So auch diesmal. Ein „Auseinanderdriften von Eigen- und Fremdwahrnehmung“ konstatierte Moritz im Hinblick auf Habitus und Weltanschauung des Gegenwart-Menschen. Längst auch in linken Kreisen würden angebliche Gewissheiten von heute verbreitet, „die vielleicht übermorgen schon falsifiziert werden“.

Dann kam Moritz auf den Blasen-Charakter der Gesellschaft zu sprechen, also: auf die Diskussionskultur und ihre Verwahrlosung. Sprachgender, kulturelle Aneignung, Klimakrise – man stehe sich zunehmend unversöhnlich gegenüber. Aber, sagte Moritz, „die liberale Gesellschaft kommt nur im Widerstreit weiter, niemand hat die Wahrheit gepachtet“.

Mara-Cassens-Preis: Verleihung und die Verwahrlosung der Debattenkultur

Das sind wahre Worte. Die, sinngemäß, öfters mal gesagt werden. Die man auch nicht oft genug sagen kann. Der Kultursenator wird sich daran erinnert haben, dass er über dieses Thema unter anderem auch schon einmal am Schwanenwik sprach, nämlich vor zwei Jahren beim Cassens-Preis. Er wiederholte, trocken und nüchtern, den damals im Hinblick auf das Wiedererlangen gesellschaftlicher Debattenreife formulierten Hinweis, man müsse halt auch mal von der verwegenen Annahme ausgehen, der andere könnte auch recht haben“. Doppelt gut gesprochen, klarer Fall.

Brosda kam dann von möglichen privatimen – die Plattensammlung sortieren! – kulturellen Glückserlebnissen in der Pandemiezeit auf den Einsatz der Hamburger Kulturmacherinnen und -macher sprechen. Denen dankte der ausdrücklich – für ihr „unerschüttliches Weitermachen gegen alle Widerstände“ und dafür dass sie immer einen „Weg durch den Dschungel der Eindämmungsverordnungen finden“, so Brosda.

Über Stefanie von Schulte: „Ihre Sprache kann Bilder malen“

Belobigende Worte fanden beide Redner, wie sich das gehört, für die Hauptperson des Abends. Die Marburger Erzählerin Stefanie vor Schulte ist die Trägerin des Mara-Cassens-Preises 2021. Die mit 20.000 Euro dotierte Auszeichnung für das beste Debüt erhält sie für ihren Roman „Junge mit schwarzem Hahn“. Der changiert zwischen Märchen, Dystopie und Surrealismus und traf damit den Geschmack der wie immer aus Laien besetzen Jury.

Sie entschied sich nach Prüfung von insgesamt 65 Debüts für „Junge mit schwarzem Hahn“. Das Buch, dessen Protagonist der elfjährige Martin ist, war im September 2021 im übrigen auch für den Klaus-Michael Kühne-Preis nominiert. „Ihre Sprache kann Bilder malen“, sagte Laudatorin Rose-Maria Gopp. Die „FAZ“-Redakteurin sprach von einer Verschmelzung der Sinne, „solch einen Parforceritt muss man sich erstmal trauen“.

Dann las Stefanie vor Schulte aus „Junge mit schwarzem Hahn“. Guter Rhythmus, schöne Sätze, Atmosphäre: ein kulturelles Glückserlebnis.