2021 war blöd. Aber das Popjahr hatte trotzdem alles: Genie, Wahnsinn, sogar Konzerte. Am Ende rissen es vor allem Musikerinnen heraus.
2021 als Wiederholung von 2020, das wollte keiner. Und doch haben wir das bekommen, was Christian Drosten und die anderen klugen Leute von der Virologenfront eh vorausgesagt hatten. Dass die in musikalischer Hinsicht eher zu vernachlässigende britische Band The Vaccines in diesem Jahr ein neues Album veröffentlichte, half am Ende so wenig wie die Impfstoffe von Biontech und Co.: Es gab zu wenig Konzerte und Festivals. Aber ein bisschen Auslauf hatten die Herren und Damen Popmusiker (siehe unten stehender Text) gottlob durchaus. Es muss bald dennoch alles besser werden. Darauf einen Taler ins im Vier-Viertel-Takt schwofende Phrasenschwein.
Musikalben gab es aber wieder zuhauf, auch aufgrund eingesparter Konzerttourneekräfte; die unverwüstliche, aber auch in aufgeregten Zeiten wie auf Valium wandelnde Lana Del Rey veröffentlichte mit „Chemtrails Over the Country Club“ und „Blue Banisters“ gleich zwei neue Werke. Status: Fast die größte Sangesdiva der Gegenwart.
Jahresrückblick: Das Popjahr 2021 war vor allem weiblich
Der Titel – und noch weitaus mehr, warum nicht gleich „Größter Popstar des Planeten“? – gebührt Adele, deren Trennungsalbum „30“ im November erst erschien und wirklich alle glücklich machte, die gerne einer Frau zuhören, die vom emotionalen Unglück singt. „30“ ist so etwas wie der dicke Schwall Mayo, der nach längerem Rumgedrücke aus der nicht sonderlich prallen Tube dann doch noch herausschießt. In Amerika brauchte Adeles erste Platte seit 2015 drei Tage, um das bestverkaufte Album des Jahres zu werden. Und, Hand aufs Herz, 2021 war nicht nur kommerziell eher so lala. Aber die Damen haben es herausgerissen.
Der deutschsprachige Markt freut sich über Helene Fischers „Rausch“, wo solide geschlagerpoppt wird: Wir sind so frei und sortieren Frau Fischer ein in die Armada der Frauen, die in diesem Jahr das Meer an Neuveröffentlichungen regierte. Auch da ähnelt 2021 seinem Vorgängerjahr: Die Alben, die bleiben, werden die von Frauen sein. Billie Eilish, erstaunlicherweise eben tatsächlich noch ein Teenager (am 18. Dezember wurde sie aber 20), legte mit „Happier Than Ever“ ein überzeugendes Zweitwerk vor.
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Bei Jan Delays „Earth, Wind & Feiern” kommt Disco-Feeling auf
Nicht klein ist die Liste der verheißungsvollen Künstlerinnen aus dem Indiebereich. Michelle Zauner (Japanese Breakfast) ist sehr zu Recht mit ihrem Album „Jubilee“ für den Grammy nominiert, der im Januar verliehen wird. Gefeiert wurden zuletzt auch Cassandra Jenkins, Lindsey Jordan und ihr Projekt Snail Mail sowie Tamara Lindeman, die mit The Weather Station im Frühjahr das Album „Ignorance“ vorlegte – da hing die Latte ganz hoch. Die Hamburger Rapperin Haiyti riss sie übrigens nicht: Von ihr gab es, wie 2020, zwei Alben, „Mieses Leben“ und „Speed Date“.
Tja, bleibt die Frage nach dem anderen Geschlecht. Ist es nicht bezeichnend, dass einem beim 2021er-Rückblick zuerst die Alten einfallen, ja: die Toten einfallen? Aus dem sagenumwobenen Tonband-Nachlass von Prince (1958-2016) wurde das naturgemäß halbgare „Welcome 2 America“ veröffentlicht. Sting („The Bridge“) ließ mal wieder von sich hören, und natürlich: Abba. Mit „Voyage“ gelang ihnen das Comeback des Jahrtausends, mindestens – jede Wette, dass Agnetha und Anni-Frid dabei die wirklich treibenden Kräfte waren. The War on Drugs („I Don’t Live Here Anymore”) sind längst nicht so legendär, amerikanisch, nicht schwedisch, klingen aber uralt, nämlich nach Springsteen, Dylan.
Sieht nicht gut aus für den Mann im Pop, wenn man an dieser Stelle Justin Bieber nennen muss, der „Justice“ vorlegte, und den fortschreitenden Wahnsinn nicht ausklammern kann: Coldplays bekloppte Reise ins All auf „Music of the Spheres“ und Kanye Wests „Donda“, das erheblich unter den privaten Verwirrungen des Rappers leidet. Es musste ein Hamburger den Sprechgesang retten. Jan Delays „Earth, Wind & Feiern” ist voll Disco. In die wollen wir bald wieder.