Hamburg. Das angekündigte Verbot von „Tanzlustbarkeiten“ setzt die Branche erneut massiv unter Druck. Zu Unrecht, wie manche meinen.
Das Wort „Tanzlustbarkeit“ hat im Laufe der Pandemie traurige Popularität erlangt. Weil ausschweifende Bewegungen und somit ausgiebiges Atmen eben auch beste Partybedingungen für das Virus sind. Mit der neuen Corona-Verordnung des Senats werden jene „Tanzlustbarkeiten“ vom 24. Dezember an in Hamburg wieder verboten sein, was einer faktischen Schließung von Clubs und Diskotheken gleichkommt. Denn sowohl DJ-Sets als auch Livemusik bewegen in der Regel nun einmal nicht nur das Herz, sondern auch die Hüfte.
Angesichts der aktuellen Entwicklungen schlägt das Clubkombinat Hamburg Alarm. „Für uns ist diese vierte Welle katastrophal, weil wir uns in einer Dauerschleife befinden“, erklärt Thore Debor, Geschäftsführer des Vereins, der die Interessen von Musikspielstätten und Veranstaltenden vertritt. „Es droht der Niedergang des Nachtlebens, wie wir es bislang kannten. Es fehlt an langfristigen Maßnahmen, Hilfen und Perspektiven.‟
Corona Hamburg: Fokus liegt schon wieder auf Kultur
Das Clubkombinat erkennt den epidemiologischen Bedarf an, auf die aktuellen Ansteckungszahlen in Hamburg zu reagieren. „Aus unserer Sicht sind in der aktuellen Lage Kontakte generell zu beschränken“, sagt Thore Debor. Allerdings plädiert er dafür, dass gleiche Maßstäbe für alle gelten. Seiner Ansicht nach muss die Kultur- und Veranstaltungsbranche erneut als Erstes für eine Symbolpolitik herhalten.
„Wir erachten es als fatal, dass der Fokus von neuerlichen Maßnahmen auf der Kultur der Nacht liegt, obwohl keine Belege vorgelegt werden, dass Clubs mit den verschärften 2G-plus-Regeln als Pandemietreibende bezeichnet werden können“, erklärt Thore Debor entschieden. Die Corona-Briefings des Senats hätten in den vergangenen Wochen keinerlei Hinweise auf ein erhöhtes Infektionsgeschehen in Musikclubs enthalten.
„Illegale Partys werden die Polizei herausfordern“
Bereits in den vorangegangenen Lockdowns hatte sich das Partyleben in den öffentlichen Raum sowie in private Wohnungen verlagert. Im Frühjahr verwandelten Hunderte und zum Teil Tausende Menschen zum Beispiel den Winterhuder Kai und den Stadtpark in offene Feierzonen ohne Schutzkonzept. Schon damals mahnten Profis aus der Club- und Veranstaltungsbranche an, dass sie das Geschehen mit entsprechenden Hygieneauflagen auf ihren Flächen besser kanalisieren könnten. Nun prognostiziert das Clubkombinat: „Illegale Partys werden die Polizei herausfordern.“ Und für die Musikspielstätten zieht sich der Lockdown immer weiter in die Länge – mit weitreichenden Folgen.
„Ein dritter Club-Lockdown bedeutet einen erneuten Aderlass und verstärkt den künftigen Personal- und Fachkräftemangel auf dramatische Weise“, erläutert Thore Debor. Das Clubkombinat befürchtet, dass 450-Euro-Kräfte, Solo-Selbstständige, Künstlerinnen und Künstler sowie inhabergeführte Betriebe dann erneut großteils durch sämtliche Förderraster fallen.
„Es mangelt augenscheinlich an Testkapazitäten"
Doch auch ohne die aktuellen Beschlüsse haben Teile der Szene bereits seit Tagen und Wochen von sich aus die Clubtüren dichtgemacht. „Dadurch, dass es in allen Bundesländern und in Europa komplett unterschiedliche Regularien gibt, sind Touren gar nicht mehr möglich – und somit auch nicht einzelne Shows“, erläutert Tino von Twickel, der den Nochtspeicher und die Nochtwache auf St. Pauli betreibt.
Sein Team und er haben längst alle Januar-Termine erneut verschoben oder abgesagt. Und auch der Februar steht auf der Kippe. Zudem sei in den Musikclubs insgesamt ein erheblicher Gästeschwund zu verzeichnen, bilanziert Thore Debor: „Es mangelt augenscheinlich an Testkapazitäten und am Vertrauen der Gäste.“ Und weiter: „Viele Clubs, die irgendwie unter diesen widrigen Umständen weitermachen, tun dies in Fürsorge um ihr Personal.“
Stimmung zwischen Depression und Pragmatismus
Musikspielstätten haben während der Pandemie oftmals eine Vorreiterrolle eingenommen. Sei es zu Beginn der Corona-Krise mit innovativen Streamingangeboten. Oder sei es in Bezug auf Öffnungsmodelle, als viele Veranstaltende frühzeitig von sich aus auf 2G plus umgestellt haben. Wird dieses Engagement goutiert? Oder bleibt letztlich ein Gefühl von: Alles richtig gemacht und doch verloren?
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„Vermutlich pendelt die Stimmung derzeit irgendwo zwischen winterlicher Depression und stoischem Pragmatismus“, sagt Clubkombinat-Sprecher Debor. „Clubbetreiberinnen und -betreiber verfügen über viel Erfahrungen in Sachen Spontanität. Was ihnen die Pandemie an Flexibilität, Organisationsgeschick und Mangelverwaltung abverlangt, ist jedoch beispiellos.“
„Wir denken gerade eh jedes Konzert hybrid"
Eine der Spielstätten, die ihre Kulturproduktion unbedingt aufrechterhalten möchte, ist das Knust im Schanzenviertel. „Wir wollen keine Konzerte mehr absagen, sofern wir nicht müssen“, erklärt Booker Tim Peterding. Um die Veranstaltungen so sicher wie möglich zu gestalten, hat das Knust freiwillig auf 2G plus umgestellt. Das dynamische Auf und Ab der seit 22 Monaten anhaltenden Pandemie hat das Team darin geschult, ständig verschiedene Szenarien durchzuspielen.
„Wir denken gerade eh jedes Konzert hybrid. Das heißt auch mit reduzierter Zuschauerzahl und Livestream. Denn wir wollen auch jenen Menschen ein kulturelles Programm ermöglichen, die sich gerade nicht zu uns trauen oder gesundheitlich nicht dazu in der Lage sind“, sagt Tim Peterding. Den aktuellen Beschluss versteht er so, dass das Knust weiterhin bestuhlte Konzerte mit verringerter Gäste-Kapazität durchführen darf. „Und zur Not setzen wir eben wieder komplett auf gestreamte Veranstaltungen.“
Corona Hamburg: Omikron verdüstert die Lage
Die Lage bleibt ungewiss. Auf 2022 blickt Thore Debor äußerst skeptisch: „Mit Omikron verdüstert sich der Blick in die Glaskugel erneut.“ Das Clubkombinat fordert, dass die bestehenden Hilfsprogramme gezielt nachjustiert werden. Zudem müsse im Dialog mit der Branche bereits jetzt intensiv an Exit-Strategien gearbeitet und eine Open-Air-Initiative für den Sommer 2022 auf den Weg gebracht werden.
„Viele Clubs werden mit staatlichen Hilfen weiter durchhalten“, sagt Thore Debor. „Aber ob es im dritten Corona-Jahr noch genug Personal und Fachkräfte sowie ausreichend Künstlerinnen und Künstler gibt, die Tourneen spielen können, scheint derzeit fraglich.“