Hamburg. Ein Gespräch mit dem Pianisten Kit Armstrong, der noch keine 30 Jahre alt ist, über Kirche, Karriere, Kochen und Klavier.

Kit Armstrong ist Pianist, noch keine 30 und ein Unikat. Aber auch mit einer zweiten, ganz anderen Leidenschaft: Naturwissenschaften. Im Wanderzirkus der Star-Virtuosen spielt er konsequent nicht mit, sein letztes Album beschäftigt sich mit englischen Renaissance-Komponisten. Ein Gespräch über Kirche, Karriere, Kochen und Klavier.

Hamburger Abendblatt: Die einfache Frage zum Warmwerden: Wie kommt man dazu, sich in Nordfrankreich eine Kirche zu kaufen?

Kit Armstrong: Die einfachste Antwort, die ich geben kann: Diese Kirche ist unglaublich schön. Schon beim ersten Besuch war mir bewusst, dass dieser Ort mir sehr viel bedeutet und dass ich daraus etwas machen wollte. Weil ich viel in Kirchen spiele, hatte ich sofort die Idee, aus dieser Kirche, die keine mehr war, ein Kulturzentrum mit Schwerpunkt Musik und Darstellende Kunst zu machen. Und einen Teil habe ich zu einer Art Wohnung umgestaltet.

Und nun die schwere: Wird man als Pianist besser durch jedes Konzert, dass man nicht spielt, weil man sich gedanklich noch mehr darauf vorbereiten kann, wie man mit der Musik umgehen möchte, anstatt sie einfach nur wegzuspielen?

Armstrong: Mit dem Begriff „besser werden“ kann ich überhaupt nichts anfangen.

Okay, dann justiere ich nach: Wie kann man zufriedener mit sich werden?

Armstrong: Wenn das Ziel die eigene Zufriedenheit ist, dann nimmt man lieber Drogen oder Alkohol. Für mich ist das Ziel, die Musik so darzustellen, wie sie mir vorschwebt. Ob ich damit am Ende zufrieden bin, ist mir ziemlich egal. Nach Konzerten führe ich keine Post-mortem-Untersuchungen durch.

Sie wurden in Los Angeles geboren, waren das, was viele gern als Wunderkind bezeichnen. Haben unter anderem bei Alfred Brendel gelernt, es gibt von ihm das Zitat „wahrscheinlich die größte musikalische Begabung, der ich je begegnet bin“. Etliche Studienabschlüsse und Fächer: Komposition, Physik, Biologie, unter anderem in Philadelphia, Musik an der Londoner Royal Academy und am Imperial College Mathematik. Fehlt noch etwas?

Armstrong: Meine Ausbildung fand im Bereich der Naturwissenschaften statt, ich war im Bereich der reinen Mathematik tätig und habe in Paris an der Sorbonne einen Abschluss gemacht.

Würde ich verstehen, worum es in Ihrer Abschlussarbeit ging?

Armstrong: Es ging um quadratische Formen, aber über einen Bezug zu alltäglicher Erfahrung müsste ich erst nachdenken.

Kit Armstrong über sein neues Album

Kommen wir also lieber zur Musik. Ihr aktuelles Album ist besonders interessant, mit Renaissance-Musik aus dem England des 15. Jahrhunderts, Byrd und Bull, Shakespeare-Zeitgenossen. Mit einem modernen Steinway-Flügel eingespielt. Warum das?

Armstrong: Weil diese Musik im üblichen Konzertbetrieb immer zu kurz gekommen ist. Weil sie universell, in sich geschlossen und unglaublich vielfältig ist.

Warum der Flügel und kein historisch korrekteres Instrument?

Armstrong: Ich bin nicht gläubig und habe von Theologie keine Ahnung, aber wenn ich in weltlichen Museen sakrale Kunstwerke sehe, ist auch das eine Umsetzung der ursprünglichen Ebene. Und für mich ist der moderne Flügel der moderne Museumsraum. Das Instrument, mit dem man Musik ausstellt. Und wenn man diese Renaissance-Musik als Teil des großen Kanons präsentieren möchte, sollte man dies darauf tun.

Sie nehmen Musik wahr, nehmen aber auch die Strukturen von Musik wahr, die mathematische Schönheit einer Fuge?

Armstrong: Das tun doch alle, entweder bewusst oder unbewusst. Wer das nicht tut, erlebt nur eine Reihenfolge von Klängen, die mehr oder weniger nervig sind.

Ich frage, weil Sie Musik zunächst durch den Anblick der Noten erlebt haben, das eigene Spielen kam später.

Armstrong: Dieser Zugang spiegelt sich auch in meinem jetzigen Zugang wider. Ich vergesse das Instrument sehr schnell und sehr gern. Ob ich auf einem Flügel spiele, einer Orgel oder einem Cembalo – das ist mir nach einigen Tönen fast egal.

Warum Kit Armstrong Klavier spielt

Sie haben in wahnsinnig kurzer Zeit wahnsinnig viel gelernt, musikalisch und naturwissenschaftlich. Wie war es dann, am Ende des Studiums raus, in die Welt zu gehen und zu sagen: Ich bin jetzt Musiker? Gab es nie die Frage: Warum soll ich mit Publikum herumschlagen, warum durch die Welt reisen? Ich könnte auch ewig weiterspielen.

Armstrong: Es war anders. Anfangs habe ich viel konzertiert, erst danach kam das Musikstudium. Der einzige Grund, warum ich mich überhaupt mit Musik auseinandergesetzt habe, war, dass ich sie inhaltlich schön fand und mit anderen Menschen teilen möchte. Bei den Naturwissenschaften war es anders: Da verstehe ich absolut den Reiz der Bildung um der Bildung willen.

Ist es für Sie effektiver, manuell zu üben, oder hat es auch seinen Reiz, Musik ausschließlich zu denken?

Armstrong: Absolut. Ich spiele Klavier nur, um Musik zu machen. An dem Punkt, wenn ich mich ans Instrument setze, ist zumindest ein Entwurf der Interpretation schon fertig. Das ist vor allem bei Alter Musik wichtig, da geht so viel über das Vorstellungsvermögen. Eine Musik, die nur aufgeführt werden muss, hat durchaus einen Wert, aber ich möchte sie anderen überlassen. Mich interessiert es, eine Partitur aus ihrem Schlaf zu erwecken, sie mit den Schönheiten meiner Erfahrungen zu prägen.

Kit Armstrong hat eine zweite Leidenschaft

Weil wir jetzt schon beim Kochen sind: Was können Sie am besten? Seafood angeblich.

Armstrong: Seafood ist leicht.

Woher kam diese zweite oder eher dritte Leidenschaft über Sie?

Armstrong: Durch das Essen, genau umgekehrt wie bei der Musik. Zu ihr bin ich durch das Lesen gekommen, nicht das Hören. Zum Kochen durch den Genuss des Endergebnisses.

Sie hatten einmal zwei Hühner, das eine hieß Kohlenstoff und das andere Stickstoff?

Armstrong: Wasserstoff gab es auch. Acht Hühner waren es insgesamt.

Die trugen alle die Namen von Elementen?

Armstrong: Das hat Logik ins System gebracht.

Was Applaus für Kit Armstrong bedeutet

Ist für Sie Applaus eigentlich wichtig – oder ist er Ihnen völlig egal, weil Sie zufrieden sind, sobald sie für sich entschieden haben: Das war ein gutes Konzert?

Armstrong: Applaus im Sinne des akustischen Phänomens oder insgesamt, als Begriff für Anerkennung?

Das Gefühl für Anerkennung, nach einem Konzert.

Armstrong: Ich halte das Zusammenschlagen von Händen durchaus für einen sehr schönen gesellschaftlichen Brauch. Das höre ich gern, das ist eine Bewegung, die in der Lage ist, etwas in Menschen auszulösen. Zur etwas persönlicheren Seite der Frage, die mich als Musiker betrifft: Es ist mir wichtig, etwas zu tun, was den Menschen Freude gibt. Aber diese Applausregeln in klassischen Konzerten finde ich lächerlich. Wenn ich in Konzerte gehe, klatsche ich immer zwischen den Sätzen. Der Komponist wäre zutiefst beleidigt, wenn nach einem guten Satz nicht geklatscht würde. Im Englischen gibt es eine schönen, aber eigentlich grausamen Ausdruck: It’s the hill I want to die on.

Aufnahme: „William Byrd & John Bull: The Visionaries of Piano Music” (DG, CD ca. 19 Euro)