Hamburg. Maike Knirsch erhält an diesem Wochenende in Hamburg den renommierten Boy-Gobert-Theaterpreis. Eine Begegnung.

Wenn Maike Knirsch auf der Bühne steht, verbreitet sie gleich diese besondere Energie. Ob sie kraftvoll in der Thomas-Köck-Uraufführung „Paradies. Fluten/hungern/spielen“ in der Regie von Christopher Rüping als westliche Kriegsberichterstatterin in Bagdad in einem vom Angriff schwankenden Container balanciert oder in Sebastian Nüblings Romanadaption von Sasa Stanisics „Herkunft“ mit vollem Körpereinsatz diverse Nebenrollen skizziert, die doch nie nur Nebenrolle bleiben. Man hatte sie also bereits im Auge. Und so ist es eine positive Überraschung, dass Knirsch an diesem Sonntag in einer Feierstunde den diesjährigen mit 10.000 Euro dotierten Boy-Gobert-Preis der Körber Stiftung erhält.

Sie selbst hat damit wohl am wenigsten gerechnet, wie sie beim Treffen im Thalia Theater erzählt. Knirsch trägt Glitzerpulli zu Jeans und derben Schuhen, das schier endlose Haar gebändigt in einem hohen Zopf. Als die Jury sie anrief, glaubte sie zuerst an einen Werbeanruf. Dann war die Freude natürlich groß. „Ich versuche selbst, meine Arbeit noch nicht so stark zu bewerten. Der Preis signalisiert mir, dass ich mit meiner Richtung Menschen erreichen kann. Das ist ein schönes Zeichen und freut mich sehr“, erzählt die 26-Jährige. „Ich suche ja noch nach einer Richtung und nach Leuten, mit denen ich gerne arbeite. Aber ich habe zum Glück auch schon einige Konstellationen gefunden, in denen ich mich wiederfinde.“

Thalia-Schauspielerin erhält Boy-Gobert-Preis

Die in Stendal geborene Knirsch spricht die Dinge gern direkt aus. Auch die Jury lobte ihre „Präsenz“, „Körperlichkeit“, „Offenheit“ und „schauspielerische Neugier“. Ihre Initialzündung erlebte Knirsch als kleines Kind, als sie ihrer Mutter, einer Kindergärtnerin, einmal zuschaute, wie sie Schneewittchen gab. In der neunten Klasse wechselte Knirsch von Stendal ans Filmgymnasium Babelsberg. Hier gab es Tanz- und Filmunterricht, und in ihr festigte sich der Wunsch, auf der Bühne stehen zu wollen. Schließlich wurde sie Teil des Jugendclubs am Deutschen Theater Berlin.

Da war zunächst einmal jeder willkommen. Knirschs Talent fiel schnell auf. Man riet ihr zum Vorsprechen an der Schauspielschule. „Aber vergiss uns nicht“, sagte Intendant Ulrich Khuon. Knirsch wurde gleich beim ersten Versuch an der renommierten Ernst Busch Schule in Berlin angenommen. Die Zeit an einer Schauspielschule erleben viele junge Menschen als herausfordernd. Knirsch hatte in den Jahren 2014 bis 2018 Glück. „Der frühere Thalia-Schauspieler Alexander Simon war mein Lehrer, und das war großartig, weil er Lust auf die Begegnung mit den Schülerinnen und Schülern hatte, aber auch noch selbst auf der Bühne stand“, sagt sie. Mit dem Abschluss in der Tasche holte das Deutsche Theater sie 2017/18 fest ins Ensemble, wo sie eine ihrer ersten Inszenierungen neben ihrem ehemaligen Lehrer Simon spielte.

Knirsch: „Ich bin offen für alle Stoffe"

„Ich bin offen für alle Stoffe, egal ob Gegenwartsstück oder Klassiker. Es kommt eher darauf an, dass es mich inhaltlich interessiert und dass ich mit der Figur etwas anfangen kann“, meint Knirsch. Eine Figur wie Luisa in Schillers bürgerlichem Trauerspiel „Kabale und Liebe“ zählt eher nicht zu ihren Wunschrollen. Als wichtigste Berliner Arbeit bezeichnet sie „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ von Heinar Kippardt, in der die Untersuchungen der Wissenschaft in der McCarty-Ära in den USA kritisch beleuchtet werden. Es war auch ihre erste Begegnung mit dem Regisseur Christopher Rüping. Irgendwann merkte Knirsch, dass sie das Theater, das sie nun schon kannte, seit sie 15 Jahre alt war, verlassen und weiterziehen musste.

„Ich kam aus der Schauspielschule an dieses große Haus, wo ich auch schon im Jugendclub gespielt habe, dafür bin ich sehr dankbar. Ich habe aber auch gemerkt, dass es wichtig ist, eine Stimme zu finden oder mich zu formulieren. Ich denke, ich musste noch mal woanders hingehen, um mich erwachsener zu fühlen.“ Das Thalia Theater erschien ihr interessant, auch weil Christopher Rüping und Jette Steckel hier arbeiteten, die sie aus Berlin bereits kannte und schätzte.

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„Mit Christopher Rüping ist es eine Arbeit auf Augenhöhe. Ein wirklich kollektives Arbeiten. Ein Forschungsprozess“, erzählt Maike Knirsch. „Es gibt immer einen Grund, warum man gerade diesen Stoff erzählen möchte. Er hat ein Konzept und eine Idee.“ Der Inhalt bestimme die Form. Die könne in jeder Arbeit unterschiedlich sein. Ob realistisches Spiel oder ein Sprechen in eine Kamera oder ein Knopf im Ohr. Bei den Proben findet das Team es gemeinsam heraus. Bereits in der gemeinsamen Arbeit „Paradies“ zeigte sich die Qualität von Maike Knirsch. „Ich kann dolle Energie anstauen, die dann rauskommt, obwohl ich mich eher als ruhigen Menschen bezeichnen würde.“ Die Energie ist in jeder Begegnung mit dem Zuschauer zu spüren.

Maike Knirsch ist in Hamburg angekommen

Maike Knirsch hat mit ihrem Partner inzwischen eine größere Wohnung in Ottensen bezogen. Ist in Hamburg wirklich angekommen. Noch immer empfindet sie jede einzelne Aufführung sehr intensiv. „Jede Vorstellung ist eine besondere, zarte Begegnung mit dem Publikum.“ Eine solche soll nun natürlich auch die Preisverleihung am 5. Dezember werden. Wofür sie das Preisgeld verwenden wird, weiß Maike Knirsch noch nicht. Aber natürlich probt sie derzeit für die Gestaltung des Vormittags.

 „Wir durchleben ja gerade eine besondere Zeit. Ich wünsche mir eine Feier des Augenblicks, ein Beisammensein und Darüber-Nachdenken“, sagt sie ernst und fröhlich zugleich. „Gerade als junger Mensch möchte ich einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft geben.“

Boy-Gobert-Preisverleihung, 5.12., 11 Uhr, Thalia Theater, Alstertor, Karten zu 5 Euro unter T. 32 81 44 44, www.thalia-theater.de. Das Eintrittsgeld geht an die Initiative „Der spendierte Platz“. Es wird von der Körber-Stiftung verdoppelt