Hamburg. Karten-Rekorde und eine kribbelnde Narbe: Produzent Maik Klokow und Hauptdarsteller Markus Schöttl im Doppelinterview.
Optimismus ist auch eine Art von Magie: Drei Mal wurde die deutschsprachige Erstaufführung abgesagt, im vierten Anlauf soll „Harry Potter und das verwunschene Kind“ am 5. Dezember nun endlich große Gala-Premiere feiern. Mehr als 300.000 Tickets sind verkauft, die Endproben laufen.
Wir haben zwei Männer getroffen, ohne die das gar nicht denkbar wäre: den verantwortlichen Musical- und Theaterproduzenten Maik Klokow und, gewissermaßen, Harry Potter persönlich: den österreichischen Schauspieler der Titelfigur, Markus Schöttl. Ein Gespräch über die erwachsen gewordene Figur und die weltweit erfolgreiche Marke, über das richtige Momentum, Zweifel – und Eigenlob.
Hamburger Abendblatt: Die erste Frage geht natürlich an Harry Potter: Wie geht’s der Narbe? Wir wissen ja – wenn die schmerzt, ist das kein gutes Omen ...
Markus Schöttl: Die Narbe hat noch Zeit … Ich konzentriere mich momentan ganz aufs Proben und bin voller Glück. Mir geht’s sehr gut – und die Narbe kommt erst wieder ins Spiel, wenn der Vorhang sich hebt.
Wie weckt man nach so langen Monaten der Schließung beim Ensemble – und nicht zuletzt bei sich selbst – immer wieder die Lust und die Energie, die man braucht, um so eine Show auf die Bühne zu bringen?
Maik Klokow: Das fällt uns Theaterleuten relativ leicht. Wenn man sich mit dem Stück beschäftigt, ist man sehr schnell wieder im Rhythmus, in der Professionalität. Schlimm war der Moment der Absage. Das ist ja wie ein Marathon, den man läuft, und 500 Meter vorm Ziel sagt jemand, nee, Sie müssen zurück – und laufen nochmal. Ich finde aber, dass wir das im Großen und Ganzen ganz gut hinbekommen haben. Seit dem 4. Oktober proben wir wieder. Das Herz schlägt wieder im Theater. Das baut alles auf, was man an Energie braucht.
Wie zuversichtlich sind Sie, dass es diesmal klappt?
Klokow: Sehr zuversichtlich. Wir haben sehr viel getan, um die Sicherheit der Mitarbeiter und Gäste zu gewährleisten. Die Lüftungsanlage, die Abläufe, die Logistik. Wir haben eines der modernsten Theater, das darf man nicht vergessen, wir haben das Mehr!Theater ja groß umgebaut. Ob es jetzt 2G oder 2G+ ist oder auch mit Maske, die man vielen Menschen empfehlen kann, die im Moment besonders beschützenswert sind – ich bin sehr sicher, dass wir am 5. Dezember die Premiere feiern können. Und die Kartenverkäufe geben uns recht. Wir sind jetzt schon über den 300.000 Tickets – was, glaube ich, ein Rekord ist in Deutschland.
Im Mai haben Sie in einem Interview gesagt: „Ich war noch nie so guter Dinge wie im Moment. Weil ich glaube, dass dieser Impfstoffstau sich bald auflösen wird. Ich denke, dann können wir bis Ende August die Herdenimmunität erreichen.“ Das war sehr optimistisch, wie wir jetzt wissen. So sieht es jetzt nicht aus. Wie geht es Ihnen mit der Situation? Sind Sie auch wütend?
Klokow: „Wütend“ ist der falsche Begriff. Es ist ein gewisses Unverständnis da für die Dinge, wie sie sich entwickelt haben. Ich hab immer gesagt: Nur impfen hilft. Und wenn wir da nicht genug Leute zusammenkriegen, dann werden wir diese Herdenimmunität nicht erreichen und werden das noch länger mit uns herumtragen. Das wird uns vom Theaterbetrieb jetzt aber nicht mehr davon abhalten, die Vorhänge wieder aufzumachen.
Teilen Sie den Optimismus, Markus Schöttl?
Schöttl: Das wäre anders gar nicht möglich. Wir sind in der Pflicht uns vorzubereiten, und wir haben auch großen Bock drauf.
Vor der ersten Premiere gab es einen richtigen Masterplan, punktgenau geplant: Es gab eine Social-Media-Kampagne, ganz Hamburg war voll mit Harry-Potter-Bussen, Journalisten sind zur Show nach London geflogen, alles war bereit, die Tickets waren gekauft, dann wurde der Stecker gezogen. Kann man das reparieren? Ist das so wieder herzustellen?
Klokow: Wenn man etwas reparieren will, muss man davon ausgehen, dass etwas kaputt gegangen ist. Es ist aber nichts kaputt gegangen. Die Harry-Potter-Saga ist ein Universum, das für alle Zeit Bedeutung haben wird. Das zerstört man nicht, auch nicht durch eine Corona-Krise.
Aber das Momentum ...
Klokow: Das Momentum ist verloren gegangen - und es ist unsere Aufgabe die möglichen Besucherinnen und Besucher davon zu überzeugen, dass es ein tolles Stück ist. Es ist eben kein Musical, es ist ein Theatererlebnis. Bisschen „Cirque du Soleil meets Magic“. Das Ganze in der Theater-Storytelling-Form. Es gibt ganz intime Momente und Dialoge, gerade zwischen Harry Potter und seinem Sohn ...
Der Sohn ist das Stichwort: Es ist nämlich keine Dramatisierung der vorhandenen Romane, es ist ein Originalstoff ...
Klokow: Es ist eine extra geschriebene, weitere Geschichte der Entwicklung von Harry Potter und Hermine und all der Charaktere, die man kennt. Wir gucken in die Zukunft. Wir erzählen eine neue Episode, in einer Qualität und einer Ausdrucksform, wie man sie so auf einer deutschen Bühne noch nicht gesehen hat. Ohne da zu sehr im Eigenlob zu schwelgen: Es ist wirklich ein Meisterwerk.
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Bevor wir weiter in die Zukunft gehen – lassen Sie uns noch einmal einen Schritt zurück gehen. In der Zeit, in der es keine Proben gab, in der Corona-Phase, in der das Theater geschlossen war, da haben Sie, Markus Schöttl, ja nicht als Schauspieler arbeiten können. Was haben Sie stattdessen gemacht, um Ihre Zeit mit Sinn zu füllen?
Schöttl: Als der Lockdown kam, war es anfangs wie eine Lähmung. Man wusste ja nicht, wie lange es dauern würde. Ich habe dann einen Mini-Job angenommen, ich wollte einfach wieder Verbindungen spüren, in Kontakt treten. Ich habe in einer Harburger Seniorenresidenz gearbeitet, an der Rezeption. Und das war wirklich meine Rettung. Dieser Kontakt mit den älteren Menschen war so heilsam und schön, da sind tatsächlich Freundschaften entstanden. Wir schreiben uns noch Briefe.
Abendregisseur hat in einer Igel-Auffangstation gearbeitet, Markus Schöttl im Altersheim, der Schauspieler, der seinen Sohn spielt, war in einer Corona-Teststation, andere Kollegen haben ein Studium begonnen. Sie haben trotzdem fast die komplette Cast wieder zusammen bekommen. Das ist nach so einer langen Zeit nicht selbstverständlich.
Klokow: Das war einer der wichtigsten Punkte, die wir relativ früh entschieden haben: Wir müssen in engem Kontakt bleiben. Wir müssen kommunizieren. Das hat für Vertrauen gesorgt. Ich persönlich hatte nie Zweifel – für mich war immer klar: Wir werden diese Premiere machen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Dass es am Ende 19 Monate geworden sind, hätte ich zwar nicht gedacht...
… vielleicht ganz gut ...
Klokow: Für alle ganz gut. Sonst wäre der eine oder andere seiner Berufung vielleicht tatsächlich untreu geworden. Aber die Cast ist zusammen geblieben bis auf eine Darstellerin. Harry Potter ist halt eine Familiengeschichte.
Schöttl: Was uns auch Zuversicht gegeben hat, war, dass unsere Movement Directors uns von Anfang an Online-Training angeboten haben. Täglich. Plötzlich waren auch Darsteller aus London zugeschaltet. Man hat über den Tellerrand hinausgeblickt: Die Harry-Potter-Familien sind verbunden. Man ist nicht allein.
Herr Klokow, „Harry Potter“ ist nicht das einzige, was Sie verantworten, da gibt es Tourneeproduktionen, Musicals, das bekannteste ist wahrscheinlich „Starlight Express“ in Bochum. Ist „Harry Potter“ in diesem Universum eine Art Einhorn?
Klokow: Jede Produktion ist ein Einhorn. Jedes Stück braucht besondere Vermarktung, besondere Menschen. Was alle vereint, ist der Zuspruch des Publikums. „Starlight Express“ spielen wir seit 4. Oktober wieder und sind – unter den Bedingungen, in denen wir das dürfen – ausverkauft. Es gibt keine Nachfrage-Zurückhaltung. Das besondere bei „Harry Potter“ ist, dass es die erste kommerzielle Nicht-Musical-Produktion in Deutschland ist – in dieser Größenordnung. Am Standort in Hamburg haben wir etwa 47 Millionen Euro investiert, das ist schon eine Ansage. Für ein Schauspielstück! Dann mehr als 300.000 Karten zu verkaufen – auch sehr besonders. Der Harry-Potter-Kanon, die Saga, steht über allem! Das ist so ein Schwergewicht, das kann man sich kaum vorstellen.
Stimmt es, dass die Marke „Harry Potter“ mehr wert ist als die Marke „Star Wars“?
Klokow: Davon geht man aus.
Markus Schöttl, Sie kannten die „Harry Potter“-Bücher trotzdem nicht, als Sie für diese Rolle vorgesprochen haben. Haben sie das inzwischen nachgeholt?
Schöttl: Natürlich! Das ist ja quasi meine Verpflichtung – und es ist auch ein Supermaterial, um sich auf eine Rolle vorzubereiten. Mehr kann man sich ja gar nicht wünschen als Darsteller: eine breit ausgelegte Biografie über sieben Bände!
„Harry Potter und das verwunschene Kind“ teilt sich auf zwei Vorstellungen auf – man braucht zwei Eintrittskarten. Warum eigentlich?
Klokow: Das ist eine große Geschichte, die wir erzählen. Ich kann beide Stücke an einem Tag oder auch an zwei verschiedenen Tagen sehen – das haben wir so übernommen aus London, wo das etabliert war. Meine Empfehlung: Gehen Sie an einem Tag. Die Zeit vergeht wie im Flug. Das ist ein Erlebnis, das Sie ihr ganzes Leben lang nicht vergessen, es ist so außergewöhnlich.
Was ist Harry Potter denn für ein Typ als erwachsener Mann?
Schöttl: Er ist sehr erfolgreich, auf dem besten Weg nach ganz oben. Nach den Zaubererkriegen hat man es geschafft, wieder eine Gesellschaft aufzubauen, die in Frieden leben kann. Die Narben verheilen, aber sie schmerzen manchmal noch. Das behandelt das Stück auf eine sehr kunstvolle Weise.
Ist es genau die gleiche Inszenierung wie in London oder Melbourne?
Schöttl: Jeder Abend ist einzigartig, das Publikum gibt ja auch eine Energie rein. Andererseits zeigen wir auch preisgekrönte Illusionen – da wäre es sehr gefährlich, nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu stehen. (lacht) Aber ich denke, wir sind einzigartig! Behaupte ich jetzt mal!
Klokow: Ich habe alle Shows gesehen – und jede ist anders. Ich finde zum Beispiel unseren Snape den besten Snape der Welt! Es gibt keinen, der das so gut spielt. Dafür wird vielleicht eine andere Rolle in London besser gespielt.
Lassen Sie uns zum Abschluss noch über den Spielort sprechen: Als ich die Show in London gesehen habe, war das im Westend. Es gab eine oder anderthalb Stunden Pause und ich konnte an jeder Ecke in ein Restaurant gehen. Am Großmarkt ist das ein bisschen anders. Nicht jeder Hamburger weiß sofort, wie er dort überhaupt hinkommt ...
Klokow: Bei uns müssen Sie gar nicht aus dem Theater rausgehen – und haben auch die Möglichkeit, an den verschiedensten Stationen Essen zu sich zu nehmen. Und was man nicht vergessen darf: Bis zum Hauptbahnhof sind es 12 Minuten zu Fuß. Sie brauchen kein Taxi, nichts. Oder sie gehen 15 Minuten in die HafenCity. Es ist nicht weit entfernt, es fühlt sich nur weit an. Der Großmarkt öffnet sich mehr und mehr. Wir haben unseren Beitrag geleistet, die Hamburger müssen jetzt dieses schöne Stück Hamburg in ihr Herz schließen. Das schaffen wir hoffentlich auch mit der Hamburger Premiere von „Harry Potter“.
Schöttl: Die Narbe kribbelt jetzt – aber nur aus Vorfreude ...