Hamburg. Das Ernst Barlach Haus im Jenischpark tischt groß auf mit der Sammlung Ernst-Joachim Sorst. Kunstliebhaber haben hier viel zu sehen.

Jacqueline blickt aus großen, mandelförmigen Augen etwas reserviert auf ihre Zimmergenossin, die keck nach oben schauende römische Contessa. Vielleicht wundert sie sich, ebenso wie die Betrachtenden, darüber, dass den Kopf dieser Dame feuerrote, pilzförmige Gebilde zieren. Überhaupt ist sie so bunt, man könnte fast sagen: grell – die blauschwarzen Haare, das rote Kleid, die goldenen Ohrringe.

Jacqueline dagegen kommt in schlichtem Schwarz-Weiß daher. Doch zieht sie nicht minder die Aufmerksamkeit auf sich. Schließlich ist sie nicht irgendwer, sie ist das Abbild von Jacqueline Roque, zweite Ehefrau und am häufigsten gemaltes Modell von Pablo Picasso (1881-1973).

Ausstellung im Ernst Barlach Haus

Pablo Picasso schuf das „Profilbildnis (Jacqueline)“ 1957.
Pablo Picasso schuf das „Profilbildnis (Jacqueline)“ 1957. © © Succession Picasso / VG Bild-Kunst, Bonn 2021 Foto: Michael Herling, Benedikt Werner | © Succession Picasso / VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Im Ernst Barlach Haus trifft dieser Großmeister auf einen ebenso großmeisterlichen Zeitgenossen, den Maler Otto Dix (1891-1969). Beider Porträts aus dem jeweiligen Spätwerk sind über Eck arrangiert und geben der aktuellen Ausstellung ihren Namen: „Von Dix bis Picasso“. Sie stammen aus der Sammlung Ernst-Joachim Sorst (1931-2012).

Der Blick in eine private Kunstsammlung ist immer auch ein Blick in die Vorlieben und Leidenschaften des Sammelnden. Bei dem Hannoveraner Unternehmer war es eine Mischung aus „Jägerlust und Finderglück“, so Karsten Müller, Direktor des Ernst Barlach Hauses, die ein derart vielschichtiges Kaleidoskop der Kunst des 20. Jahrhunderts entfaltet. Die Sammlung, die nach Sorsts Tod als Dauerleihgabe an das Sprengel Museum Hannover ging, ist zu Gast im Jenischpark und beschließt das Ausstellungsjahr, das ebenfalls mit einer privaten Sammlung, nämlich der von Helmut und Loki Schmidt, begonnen hatte.

Auch Janssen und Nesch haben ihren Auftritt

Außer der zeitlichen Eingrenzung, die 60 gezeigten Werke stammen aus der Periode zwischen 1920 und Mitte der 1960er-Jahre, ist keine Spezialisierung auszumachen. Und eben das macht es für den Kurator so spannend: Müller kann eigene Bezüge herstellen, Themen entwickeln, anhand der Bildmotive Geschichten erzählen. Bei Sorst kann er aus dem Vollen schöpfen.

Ebenfalls ein Spätwerk ist die Farblithografie „Contessa“ von Otto Dix aus dem Jahr 1962.
Ebenfalls ein Spätwerk ist die Farblithografie „Contessa“ von Otto Dix aus dem Jahr 1962. © © VG Bild-Kunst, Bonn 2021; Foto: Werner Herling

So haben die „Hanseaten“ Horst Janssen und Rolf Nesch ihren großen Auftritt im Rahmen der Charakterporträts: Janssen etwa mit seiner „Gesche“, Nesch mit seinem feinstimmigen „Jungen im Matrosenanzug“ neben Oskar Kokoschkas kraftvollem Bild der Schauspielerin Maria Orska und weiteren Porträts von Otto Dix. Das Verhältnis zwischen Mann und Frau, das Begehren, die Zurückweisung, zieht sich durch Picassos Werk wie bei kaum einem anderen Künstler. Davon zeugen „Besiegter Minotaurus“ (als Alter Ego-Figur des Malers) sowie die berühmten Blätter der „Suite Vollard“, in der Ausstellung zu sehen ist „Mann, eine Frau enthüllend“.

Vorliebe für Gerhard Marcks

Einen Ausstellungsraum bespielen allein die Druckgrafiken der „Brücke“-Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel, erkennbar an ihrem kantigen, teils ungehobelt wirkenden Stil. Bei Heckel sind es „Mann in der Ebene“ und „Geschwister“, die ein Gefühl zwischen Zutrauen und Ängstlichkeit hervorrufen; Schmidt-Rottluff wird neben signifikanten Akten mit zerklüfteten Berglandschaften aus den 1920er-Jahren präsentiert, was auf den Sammler als passionierten Bergsteiger verweist.

Die Bronzeskulptur „Junges Paar“ von Gerhard Marcks stammt aus dem Jahr 1967.
Die Bronzeskulptur „Junges Paar“ von Gerhard Marcks stammt aus dem Jahr 1967. © VG Bild-Kunst, Bonn 2021; Foto: Werner Herling

Der offensichtlich auch eine Vorliebe für den Künstler Gerhard Marcks hatte: In der Sammlung befindet sich ein ansehnliches Konvolut an Werken, die allesamt durch Linearität und virtuose Hell-Dunkel-Kontraste bestechen, ob in „Wintersonne“ oder „Vogelschwarm“; Strauße, Löwen und Zebras, die Marcks während einer Afrika-Reise beobachtete und verbildlichte, geben seinen dekorativ-ornamentalen Holzschnitten eine exotische Note.

Ausstellung in Hamburg: Bibelillustrationen von Chagalls

Eine wahre Entdeckung ist der in Norddeutschland wenig bekannte Künstler HAP Grieshaber, der mit seinen schwungvollen Farbflächenkompositionen wie „Katze und Vogel“ einen spannenden Kontrast zu Marcks formaler Strenge bildet. Im Ernst Barlach Haus ist der Künstler mit drei weiteren Farbholzschnitten vertreten, die er zu Carl Orffs berühmter Kantate „Carmina Burana“ schuf: „Cours d’Amour“, „Floret silva“ und „In taberna“.

Marc Chagall: „Eva wird von Gott verdammt“, Farblithografie von 1960.
Marc Chagall: „Eva wird von Gott verdammt“, Farblithografie von 1960. © © VG Bild-Kunst, Bonn 2021; Foto: Werner Herling

Am Ende der Ausstellung, fast ein wenig versteckt, erwarten das Publikum noch Marc Chagalls beeindruckende Bibelillustrationen. Hochspannend ist, wie Karsten Müller die Spitzenwerke der Sammlung Sorst mit Bildern und ikonischen Bronze- und Holzskulpturen aus dem eigenen Bestand in einen Dialog setzt: „Wir wollten Barlach mal wieder so richtig fett auftischen.“

„Von Dix bis Picasso. Die Sammlung Ernst-Joachim Sorst“, 26.9.-30.1.2022, Ernst Barlach Haus (S Flottbek), Baron-Voght-Straße 50a, Di-So 11.00-18.00, Eintritt 7,-/5,- (erm.), www.barlach-haus.de