Hamburg. Das Ensemble Resonanz feiert demnächst in der Elbphilharmonie sein 20. Hamburg-Jubiläum. Geschäftsführer Tobias Rempe im Gespräch.
Als Tobias Rempe sich dem Ensemble Resonanz anschloss, war er Geiger. Inzwischen ist er Geschäftsführer des Streicher-Kollektivs. Banknoten statt Noten also? So nun auch nicht. Er ist immer noch nah genug dran am Bühnengeschehen und am Nachdenken über Musik. Am 30. September feiert das Ensemble 20. Hamburg-Jubiläum mit einem Konzert in der Elbphilharmonie.
Ab wann haben Sie sich damit abgefunden, hier Boss, Herbergsvater, Blitzableiter und Kummerkasten zu sein?
Tobias Rempe: Schleichender Prozess, würde ich sagen. Aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob diese Zuschreibungen richtig sind … Ich habe schon als Gründungsmitglied und Geiger viel Spaß und Freude an Planung und strategischen Dingen gehabt. Das hat sich mit der Entwicklung des Ensembles fortgesetzt. Irgendwann musste ich mich entscheiden, habe die Entscheidung aber nie bereut.
Wie gut waren Sie in der Schule in Mathe?
Rempe: Am Schluss sehr gut.
Seit 20 Jahren ist das Ensemble Resonanz nun fest hier in Hamburg, mit regelmäßig Geld vom Staat – hätten Sie 2001, nach dem Umzug hierher, geglaubt, dass es jemals so weit kommt?
Rempe: Wir haben daran geglaubt, sonst wären wir ja nicht so wahnsinnig gewesen, das die ganze Zeit zu versuchen. Wir haben nun eine institutionelle Förderung, 25 Prozent des Gesamtbudgets, dazu viel private Förderung und ein ziemlich hohes Einspielergebnis. Am Anfang wurden wir in der deutschen Ensemble-Szene mit der Wahl, nach Hamburg zu gehen, erst recht angezweifelt. Und ohne den Paradigmenwechsel hier, ohne die Entscheidung, die Elbphilharmonie zu haben, wäre es für uns sicher schwieriger geworden oder hätte vielleicht auch nicht geklappt.
Ab wann hat sich das Ensemble hier nicht nur gewollt, sondern auch sicher gefühlt?
Rempe: Diese Schmerzgrenze kann ich als klare Linie so nicht sehen, das waren viele kleine Schritte. Vor allem mit dem Aufbau unseres Publikums bekamen wir eine Basis, bei der wir uns sicher und willkommen fühlten. Dann die vielen privaten Partner und die sich entwickelnde Unterstützung, auch, um die „urban string“-Reihe im Schanzenviertel aufzubauen und die Pläne für den Resonanzraum zu entwickeln. Dann kam Christoph Lieben-Seutter in die Stadt und sagte: Ihr seid mein Ensemble in Residence, und wir planen gemeinsam. Ganz entscheidender Sicherheitsfaktor war, dass aus der Projektförderung eine institutionelle Förderung durch die Stadt wurde.
Wie würden Sie den sieben bis zwölf Menschen in Hamburg, die das Ensemble Resonanz nicht kennen, beschreiben, was Sie machen und warum das von Bedeutung ist?
Rempe: Das Ensemble wurde von Menschen gegründet, die klassische Hochkultur-Musik lebendig, zeitgenössisch, wandelbar und vor allem nahbar präsentieren wollen. In der Kombination mit der Vielfalt der Musikstadt Hamburg hat sich eine besondere Beziehung entwickelt. Wir sind in eine Szene hineingewachsen, wir haben die Residence in der Elbphilharmonie und sind zu Hause auf St. Pauli. Daraus hat sich eine ganz eigene Vermittlungsidee und Qualität auf der Bühne entwickelt.
Eine Ensemble-Spezialität: die Basisdemokratie. Sie können gern etwas anordnen, das heißt aber noch lange nicht, dass es deswegen auch passiert. Eine andere Art der Daseins-Planung als bei staatlichen Orchestern mit anderen Hierarchien und Strukturen.
Rempe: Das ist ganz wichtig: die besondere Energie, die besondere Identifikation, auf welcher Bühne auch immer. Reibungslos geht gar nichts im Ensemble Resonanz. Aber wenn es um die künstlerische Arbeit geht, werden die Reihen auch wieder geschlossen, und es entsteht ein unglaublich einheitlicher Auftritt. Der wird dann hier an der Bar im Resonanzraum gefeiert. Das ist alles immer gleichzeitig da. Ich kann nicht sagen, diese oder jene Idee setzen wir jetzt um, ohne das Ensemble davon zu überzeugen.
Leicht rhetorisch gefragt: Sind die freien Ensembles die besseren Orchester, weil man nicht in Strukturen steckt, bei denen es für alles und jeden Vorschriften gibt? Sind sie besser – oder nur anders?
Rempe: Es gibt große Unterschiede. Die begründen spürbare Unterschiede auf der Bühne. Ein freies Ensemble hat vorher von ganzem Herzen Ja gesagt zu dem, was sie tun und mit wem sie es präsentieren. Wir haben dafür den sehr schönen Begriff der „Stuhlkantigkeit“, das ist ein Anspruch, den wir an uns haben, natürlich begründet das eine spezielle Qualität und übersetzt sich auch in Glaubwürdigkeit. Diese Musiker aus freien Ensembles machen auch keine Kompromisse mehr, weder in der Vorbereitung noch im Einsatz. Dass Impulse für Innovation oft von solchen Gruppen ausgehen, ist dann auch kein Zufall.
Gibt es, wie bei „normaleren“ Orchestern, erst Vorspielen und dann ein Probejahr für neue Resonanz-Mitglieder?
Rempe: Es gibt einen Auswahlprozess, wir haben Mitglieder auch über Probespiele gefunden, aber das ist nicht festgelegt und kann auch mal ein, zwei Jahre dauern. Man muss auf allen Gebieten der Zusammenarbeit herausfinden, ob das klappt.
Und wie entstehen Programme? Werfen alle Ideen in den Topf, und dann wird gelost?
Rempe: Die programmatische Arbeit jenseits von „urban string“ machen der dramaturgische Vorstand Tim-Erik Winzer und ich gemeinsam. Es gibt eine Gleichberechtigung zwischen Ensemble und Management, und Tim bündelt unglaublich viele kreative Prozesse, die aus dem Ensemble kommen. „urban string“ ist ein kompletter Freiraum für das Ensemble, da gibt es eine Vierergruppe, die das, was an Ideen kommt, ausprobieren kann. Und oft wurden solche Ideen weiterentwickelt und fanden dann auf den großen Bühnen statt.
Wie ist es bei den Terminen in der Elbphilharmonie? Schlägt die Elbphilharmonie vor, oder haben Sie einen Freifahrtschein?
Rempe: Die Planung in der Konzertreihe „Residenzen“ machen wir komplett selbst. Da sind wir ein ganz normaler Mieter der Elbphilharmonie. In den Festivals ist es genau umgekehrt: Da kommt das Haus mit Ideen auf uns zu. Dann gibt es ein dramaturgisches Pingpong, was enorm gut läuft und Spaß macht.
Sie sind Residenzensemble. Das NDR Elbphilharmonie Orchester ist Residenz-Orchester, auf zehn Jahre, gerechnet ab der Eröffnung. Wie sehen Ihre Konditionen aus? Müssen Sie sich neu bewerben?
Rempe: Das ist auch ein Vertrag, mit ähnlicher Laufzeit, und ab drei Jahren vorher redet man, ob es weitergeht. Der Vertrag legt fest, wie wir zusammenarbeiten.
Wir haben eine lange Zeit mit Corona hinter uns. Viele haben vieles gelernt, viele haben sich vieles vorgenommen. Sind Sie eine Art Gewinner des Wandels, weil Sie genau das anbieten, was jetzt als zukunftsweisend gesehen wird: lieber kleiner, lieber lokaler, lieber nachhaltiger? Oder ist in einem Jahr eh alles wieder so hektisch wie vorher?
Rempe: Ich gehe schon davon aus, dass sich das alles nicht komplett zurückmendelt. Dass sich alles komplett verschiebt, glaube ich auch nicht. Ich sehe uns nicht als Gewinner und war nur heilfroh, dass wir so gut durch diese Zeit gekommen sind. Wir haben vorher schon bis an die Grenze des Vernünftigen verschiedene Projekte gemacht: Ein Label gegründet, zwei Konzertreihen und ein Festival und einen Spielraum betreiben – das waren die Projekte, mit denen man Förderungen bekommen konnte. Das hat uns mit der Novemberhilfe durch diese Zeit geholfen. Aber ich glaube, dass wir die größte Herausforderung noch vor uns haben. Unser Eigenfinanzierungsanteil im Budget – Ticketverkäufe und Gagen von Konzertveranstaltern – lag bei 45 Prozent. Ich bin mir nicht so sicher, ab wann das wieder möglich sein wird. Selbst wenn 2G- oder 3G-Lösungen gefunden worden sind, kommt das Publikum dann auch wieder zurück in volle Säle? Das wird sich wohl auch auf die Gagen auswirken. Dass wir mit diesen 45 Prozent weiterarbeiten können, sehe ich im Moment noch nicht.
Wo ist das Ensemble Resonanz in zehn Jahren: weltberühmt oder noch in Hamburg?
Rempe: Beides natürlich.
Konzert: 30.9., 20 Uhr „Resonanzen mit Tusch“ Elbphilharmonie, Gr. Saal. Werke von Adams, Vivaldi, Nono, Bruckner. Lachenmann.