Das Politdrama „Je suis Karl“ handelt von der „neuen Rechten“, die versucht, ein traumatisiertes Mädchen in ihre Fänge zu bekommen.
Maxi (Luna Wedler) hat gerade einen schlimmen Verlust erlitten. Ihre zwei kleinen Brüder und ihre Mutter sind einem Bombenattentat zum Opfer gefallen. Sie und ihr Vater haben nur überlebt, weil sie zufällig nicht zu Hause waren, als das von einem unerkannten Boten ins Haus gebrachte Paket in die Luft flog. Von Schuld- und Trauergefühlen überwältigt, bewegt Maxi sich wie orientierungslos durch die Straßen.
Umso schlimmer, dass sie dort auch noch gejagt wird von Reportern aller Art, die irgendein Detail aus ihr herausbekommen möchten. Wie wohltuend, dass sie in genau dem richtigen Moment Hilfe von einem gut aussehenden jungen Mann in ihrem Alter angeboten bekommt. Karl (Jannis Niewöhner) scheint genau zu wissen, was sie durchmacht. Er bleibt unaufdringlich in seiner Assistenz, die Verfolger abzuschütteln. Und weil er zunächst so zurückhaltend daherkommt, entwickelt sein sanftes Werben für die „Bewegung“, die er vertritt, einen umso größeren Reiz für Maxi.
"Re/Generation Europe": Das Woodstock der Rechten
Die Darstellung dieser „Bewegung“ ist das, was aus Christian Schwochows Film, für den Thomas Wendrich das Drehbuch schrieb, zu viel mehr macht, als ein herkömmliches Drama über böse Faschos und die Verführung einer Unschuldigen. Tatsächlich nehmen Schwochow und Wendrich hier die „neue Rechte“, wie sie sich etwa als „Identitäre“ in der Realität präsentiert, so ernst, wie es sich kaum ein deutscher Film zuvor getraut hat.
Statt dumpfer „Glatzen“ mit Bomberjacken und Springerstiefeln trifft Maxi auf ihrem ersten „Kongress“ nämlich auf eine Atmosphäre, die eher ans linkskonnotierte Woodstock erinnert: Lauter Menschen, die sich Mühe geben, nett zueinander zu sein, die Maxi mit mitfühlenden Worten unter sich aufnehmen, die Folksongs singen und dazu tanzen, die von einer besseren Zukunft sprechen. In Prag findet dieser Kongress statt, die Bewegung nennt sich „Re/Generation Europe“ und gibt sich so betont international, dass die rassistischen und antimuslimischen Töne in den gehaltenen Reden darin fast untergehen.
„Je suis Karl“: Erschreckend nah an der Realität
Mit seiner dynamischen Steigerungsdramatik – im Film entwickelt die Bewegung ungeheuer schnell eine länderübergreifende Macht, die von der Straße aus etablierte Regierungen bedroht – dürfte „Je suis Karl“ vor allem diejenigen befriedigen, die sich oft zu Unrecht zu „Alarmisten“ gestempelt sehen. Dass eine gut als jüngere Ausgabe von Marine Le Pen erkennbare französische Politikerin auftritt, verleiht dem Geschehen eine Verankerung in der Realität.
Überhaupt erscheint vieles fast zu nah an der Wirklichkeit – wie etwa das Nebulöse der neurechten Botschaften, deren extreme Inhalte so raffiniert in suggestiven Opfer-Erzählungen verpackt werden. Gerade weil Maxi sich als Opfer sieht, ja ein Opfer ist, fühlt sie sich hingezogen zu Karls Gemeinschaft, in der man ihr als Opfer zuspricht und schließlich „Lösungen“ in Form von Feindbildern anbietet.
In dieser Hinsicht ist „Je suis Karl“ ein ungeheuer schlüssiger und aufklärender Film. Gerade weil es Schwochow und Wendrich so gut gelingt, die „neue Rechte“ als Bewegung mit eigener Popkultur und ungeheuer viel Raffinesse zu zeigen, enttäuscht ein wenig, dass Karl schlussendlich eben doch als echter Bösewicht entlarvt werden muss.
„Je suis Karl“ 126 Minuten, ab 12 Jahren, läuft im 3001, Abaton, Koralle, Studio, Zeise