Stockholm. Neue Lieder, neues Album, neue Show – die schwedische Poplegende ABBA sorgt für das am längsten ersehnte Comeback der Popgeschichte.
„Thank you for the Music“, danke, das war’s. Fast 40 Jahre lang warteten Millionen Fans weltweit auf ein Comeback von ABBA, das immer wieder herbeigeredet oder -fantasiert wurde, aber nie kam. Bis jetzt. Nachdem Björn Ulvaeus bereits im Mai neue Songs für den Herbst dieses Jahres in Aussicht gestellt hatte, ließ das Quartett jetzt Taten folgen. In einem Livestream stellten Agnetha Fältskog, Benny Andersson, Björn Ulvaeus und Anni-Frid Lyngstad am Donnerstag mit „I Still Have Faith in You“ und „Don’t Shut Me Down“ zwei neue Lieder vor, kündigten das kommende Album „Voyage“ für den 5. November an – und versprachen eine einzigartige Konzertshow in einer eigens in London aufgebauten Arena, in der Hologramme der vier das Jahr 1979 wieder aufleben lassen. Eine Sensation.
Vielleicht die größte seit der Trennung der Beatles. Ein historisches Weltereignis. Schließlich waren wenige Bands so ungeheuer erfolg- und einflussreich wie ABBA. Wie die Fab Four aus Liverpool reichten acht Jahre im Rampenlicht, um Popmusik nicht nur mehrfach neu zu erfinden, sondern immer höhere Maßstäbe in Sachen Komposition, Arrangement, Produktion und Live-Präsentation zu setzen. Und das alles so einfach klingen zu lassen, dass schlichte Gemüter die kompositorische Raffinesse und musikalische Brillanz in einem perfekten Song wie „Dancing Queen“ nicht erkennen konnten. Oder wollten.
Schweden ist seit ABBA der Schrittmacher der Popwelt
Seit ABBA dominiert Schweden international die Popwelt, es ist erstaunlich, wie viele Hits von US-Stars irgendwo zwischen Uppsala und Kiruna geschrieben und komponiert wurden und werden. Anders als die Beatles polarisiert ABBA bis heute. Nicht alle rufen „Gimme! Gimme! Gimme!“. Unter den Millionen Kommentaren und Beiträgen in den sozialen Netzwerken zum Comeback von Agnetha, Benny, Björn und Anni-Frid gibt es auch kritische Stimmen. Die vier schwedischen Pop-Ikonen kehrten mit ihren schrägen Klamotten und Songs wie „Ring, Ring“, „Chiquitita“ und „Take A Chance On Me“ wohl vor allem zurück, weil Geld brauchen, wird gemosert.
Aber dass das Comeback nur des Geldes wegen gewagt wird, wie Benny und Björn in London ulkten, darf bezweifelt werden. Jedes ABBA-Mitglied hat mehr als 100 Millionen Euro auf der Habenseite. Jede ABBA-Coverband auf dem Stadtfest, jedes Musical, jeder „Mamma Mia!“-Film, jeder Stream spült frische Kronen auf die Konten. „Money, Money, Money“. Ein endloses Füllhorn, ein nie versiegender Brunnen.
ABBA und „Star Wars“ - es gibt viele Gemeinsamkeiten
Die ganze Aufregung derzeit erinnert an „Star Wars“. Die Film-Franchise eroberte in ABBAs Ära zwischen 1977 und 1983 die Welt, und als 2014 die ersten Anschmecker die Teile VII bis IX und das Comeback von Harrison Ford, Carrie Fisher und Mark Hamill als Han Solo, Prinzessin Leia und Luke Skywalker verkündeten, überschlugen sich die Fans in ihrem Jubel. Aber schaut man sich jetzt die Trailer von damals an, hat man das Gefühl, nach der Scheidung noch einmal das alte Hochzeitsvideo zu schauen. Die neuen Filme waren technisch brillant, voller Retro-Zitate, spielten Milliarden ein – aber sind ansonsten Weltraumschrott, der vielen Fans die Herzen brach.
Und ABBA? Die beiden neuen Lieder sind sofort erkennbar ABBA, aber ziemlich durchschnittlich. Zumindest wenn man den überlebensgroßen Mythos und seine Nachwirkungen bis heute als Maßstab nimmt. „I Still Have Faith in You“ ist nüchtern betrachtet – und gehört – eine sich dramatisch steigernde, trotzdem langweilige und kalkulierte Reißbrettballade. „Don’t Shut Me Down“ humpapa-rumpapat noch belangloser und erschreckend altmodisch vor sich hin. Musik, um discofoxend braune Bodenfliesen im Vereinsheim abzuschleifen und dabei einen Lederslipper zu verlieren. Eine Nummer für die Ewigkeit wie „Dancing Queen“ schreibt man wohl nur einmal im Leben.
Bei den Konzertshows kommen „ABBAtare“ auf die Bühne
Das muss man sich mal vorstellen: Agnetha, Björn, Benny und Anni-Frid haben richtig große Lust auf das, was sie da gerade machen. Und dann so was. Da wünscht man sich beinahe die Scheidungen und Streits von damals zurück, als „The Winner Takes It All“ und „Knowing Me, Knowing You“ das wunderbare Ergebnis furchtbarer persönlicher Krisen zwischen den Vieren war.
Auch die Rückkehr auf die Bühne als Hologramm, für das sich das Quartett von den „Star Wars“-Experten Industrial Light & Magic mit Motion-Capture-Verfahren in sogenannte „ABBAtare“ verwandelt, wird sicher ein spektakuläres Ereignis, für das die Tickets in Sekundenschnelle verkauft werden dürften. Aber werden diese Schauwerte auch für magische Momente sorgen? Schlägt das ABBA-Imperium zurück, oder löst sich die Vorfreude in einem großen Knall auf? Triumph oder Waterloo? Für die Antwort heißt es, erst einmal an die Karten zu kommen, was noch schwerer sein dürfte als bei den so kurzen wie spektakulären Live-Comebacks von Led Zeppelin oder The Police.
Wer das Album vorbestellt, kommt einfacher an Tickets
Wer sein Glück probieren möchte, sollte sich das Album „Voyage“ vorbestellen oder sich bis zum 5. September auf www.abbavoyage.com registrieren. Auf diese Weise soll man als Album-Vorbesteller ab dem 5. September, 11 Uhr, an Tickets gelangen, als Registrierter ab dem 6. September oder ohne „Early Access“-Zugang regulär ab dem 7. September.
Premiere feiern soll die multimediale „ABBA Voyage“-Show am 27. Mai 2022 in London. 22 Lieder, darunter nur zwei neue, versprachen Björn und Benny beim Verkündigungsevent. Agnetha und Anni-Frid glänzten dabei mit Abwesenheit, aber seit jeher sind es vor allem die (Ex-)Männer im Team ABBA, die das Erbe der Band verwalten, bei Musical- und Filmpremieren auftauchen und Interviews geben.
Im November 1981 erschien das letzte Album „The Visitors“
Die Damen sind aber die Höhepunkte in „I Still Have Faith in You“ und „Don’t Shut Me Down“: Die Präsenz und die Qualität der Stimmen von Agnetha und Anni-Frid wirft einen 40 Jahre zurück. ABBA arbeitete damals am bis dahin letzten Album „The Visitors“, das im November 1981 erschien. In dem Lied „When All Is Said And Done“ wurde die Trennung von Benny und Anni-Frid verarbeitet. „Leicht verlebt, aber würdevoll und nicht zu alt für Sex“ beschrieb sich ABBA quasi selber.
Also was immer ihr jetzt plant, Agnetha, Björn, Benny und Anni-Frid: Hauptsache, ihr habt Spaß!