Salzburg. Bei den Salzburger Festspielen hatte das Stück Premiere, eine grandiose Koproduktion mit dem Deutschen Schauspielhaus.
Das mit dem Pferd, diesem Shakespeare-Spruch, den jeder kennt? Der wird gleich zu Beginn vom Spielfeld abgeräumt. Der Herzog von Gloucester ruft also nicht erst als König Richard III. sein „Ein Pferd! Ein Königreich für ein Pferd!“, sondern bereits als Knirps mit ganz eindeutigen Absichten, und er will: sein Schaukelpferd.
Wäre das, was in „Richard the Kid & The King“ vier atemlose Stunden lang folgen wird, ein Verweis auf Orson Welles‘ „Citizen Kane“, müsste das Kindheitstrauma-Symbol eigentlich den Namen „Rosebud“ tragen, um diesen Kreis zu schließen. Doch: andere Größenwahnsinnige, ganz andere Zeiten.
Und es ist auch kein historisches Familiendrama, bei dem nur gediegen die Neurosen blühen und welken, es ist viel mehr, eine wütende, brandaktuelle Gesellschafts-Massenhinrichtung, die hier aufgefahren wird. Voller Arschlöcher, Kriecher, Macht-Junkies und blaublütiger Deppen, deren Sätze fast nur aus dem F-Wort bestehen, dazu viel hohles Führungskräfte-Gefasel, das Empathie und zeitgeistig freundliche Toleranz vortäuschen soll, und Intrigen-Schachzüge, die so ziemlich alles sind, nur nicht wahr oder wenigstens gut gemeint.
Lina Beckmann geht als Richard über Leichenberge
Der bei weitem größte, aber nicht der einzige Grund, diese Aufführung toll zu finden, heißt Lina Beckmann. Sie hat eine enorme Präsenz, die einen von Anfang an tief ins harte Gestühl drückt. Schon in Karin Henkels Inszenierung von Hauptmanns „Rose Bernd” war sie 2017 – in Hallein wie später in Hamburg – der kindermordende dunkle Fixstern, um den herum alles ins Verderben taumelte.
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Jetzt, in dieser Hosenrolle, ist sie ein geschlechtsübergreifend erbarmungsloser Richard, geht feixend über Leichenberge, mit der Rasanz einer Quentin-Tarantino-Heldin. Sie tanzt manisch zu Elvis und vermöbelt im Unterhemd wie der frühe Bruce Willis. Der Teufel mag ja gern Prada tragen, sie trägt zunächst – da sind alle York-Brüder gleich – eine Military-Tarnjacke für den Aufstiegskampf im Kreise der lieben Familie, und später, in der ersten Liga angekommen, nur noch die ewige Karrieristen-Uniform dunkler Anzug zu weißem Hemd.
Beckmann berserkert ungebremst durch das Stück
Wie der Duracell-Hase berserkert Beckmann, mit dramatisch geschminkten Augen, schnell durchgeschwitzt und wie irre glühend, im sechsten Gang ungebremst durch das Stück. Sie schneidet durch ihre Welt wie das heiße Messer durch komplett wehrlose Butter.
Die Welt, die auf Katrin Bracks Bühne für die Perner-Insel-Halle in Hallein bei den Salzburger Festspielen erfunden wird, ist bloß eine nachtschwarze, schiefe Scheibe, auf der alles abzustürzen droht, eher früher als später. Ein leeres Nichts, kein nobles home und erst recht kein castle weit und breit.
Eine Schlachtplatte vor allem, denn schon wenige Minuten, nachdem Little Richie dort in sein mörderisches Schicksal geworfen wurde, kegelt er mit dem blutigen Kopf seines Vaters in einem Plastikbeutel Weinflaschen um. Früh übt sich, was der nächste König werden will. Darüber sanft leuchtende Planeten-Lampen im Dunkel. Zeitlos, gnadenlos, alternativlos aber auch, das alles. Die Devise: Dort kämpfen, oder einfach über die Kante wegfallen.
Hauptsache brutal
Jeder will und muss hier sehen, wo er bleibt. Der Stärkste gewinnt, alle anderen gehen dabei drauf: erwürgt, mit dem MG umgenietet, erstochen, vergiftet, egal wie, Hauptsache brutal und gut sichtbar ermordet. Wenn die Rache besonders süß sein soll, wird für einen royalen Rivalen auch schon mal der Eberspeer rausgeholt, um sich dessen Gedärme als Kopfschmuck ums zu krönende Haupt zu wickeln. Richard, ansonsten nur der verhöhnte Außenseiter, ist eindeutig der Klassenbeste in dieser Oberklassen-Dreikampf-Sportart aus Hauen, Stechen und Aufskreuzlegen.
Klassiker-Puristen müssen beim Anblick dieses Stücks „nach Shakespeare“ ganz tapfer sein: Original ist da nur noch sehr, sehr wenig, originell allerdings rasend viel. Henkel, Regie-Stammgästin im Spielplan von Intendantin Karin Beier, und ihr Dramaturgie-Team haben sich großflächig bei Tom Lanoyes ruppig ungewaschener Modernisierung bedient, die Luk Perceval vor etlichen Jahren im Meuchel-Marathon „Schlachten!“ mit großen Denglisch-Anteilen auf die Hamburger Schauspielhaus-Bühne gestemmt hatte; und auch die mit einem Update versehen, weil sich die Machthungrigen bei jedem Aufstiegskampf immer neues Gewäsch einfallen lassen.
Henkel hat sich aus Shakespeares Historiendramen über die Alle-gegen-jeden-Rosenkriege zwischen den Yorks und den Lancasters die Etappe rund um den vergleichsweise harmlosen Heinrich VI. und Aufstieg und Fall des buckligen Ekelpakets Richard III. herausgesucht. Das Ganze sollte schon im vergangenen Sommer als Koproduktion mit Hamburg zunächst auf die Festspiel-Bühne kommen. Dann aber: Corona, deswegen: Vertagung, in Salzburg wie in Hamburg, und nun: also doch, endlich. Und das Warten darauf hat sich aber so was von gelohnt.
Der Rest des Ensembles macht den Abend noch packender
In dieser Familien-Aufstellung zieht Henkel eine klare Trennlinie zwischen dem Jugend-massakriert-Nachwuchstalent Richard und dem späteren Machtpoker-Profi, der sich die Kronrat-Lords gefügig macht und dann, einen nach dem anderen, als realpolitischen Müll entsorgt. Und bei jeder Runde, die sie ihrem Endziel näherbringt, hält Richard staunend und ungläubig glucksend vor Glück inne, um sich nachzuerzählen, wie unglaublich simpel diese Finte war.
Gegen so viel Energie anzuspielen, ist, vorsichtig ausgedrückt: nicht einfach. Dass es dem Rest des Ensembles gelingt, macht den ohnehin schon sensationellen Abend nur noch packender und sehenswerter. Kristof van Boven (2017 am Thalia ein anrührender Willy Loman im „Tod eines Handlungsreisenden“) verkörpert mit gut dosierter Körperlichkeit und Spaß an pointensicheren Gestendetails den gesamten Lancaster-Clan, vom schnell abservierten Heinrich 6 bis zur Lady Anne im bibogelben Gala-Kleid.
Bettina Stucky und Kate Strong schaffen es großartig, sich als die anderen Yorks von Beckmann nicht an die unsichtbare Bühnenwand spielen zu lassen. Doch am Ende ist Richard die letzte, die grausamste Instanz. Der Rest – auch frei nach Shakespeare, aber aus „Hamlet“ - war tosender Beifall.
„Richard the Kid & the King“ Schauspielhaus-Premiere am 3. September. Weitere Termine: www.schauspielhaus.de