Hamburg. Eggers, Le Carré, Biller und Regener – die Verlagsprogramme verheißen in den kommenden Monaten große vielversprechende Titel.
Darf man die Flut an literarischen Novitäten, die zweimal im Jahr heranrollt, eigentlich beängstigend nennen? Na sicher. Wer soll das denn alles lesen! „Viel hilft viel“ kann man das manchmal nur bedingt nennen. Andererseits ist die Überwältigungsstrategie durch schiere Masse eben doch auch ein Relevanzbooster. Größenwahn muss sein. Er macht eine Ansage.
Nun kommt Michael Köhlmeier ins Spiel. Der österreichische Schriftsteller, der am 6. Oktober im Literaturhaus liest, veröffentlicht Ende August seinen neuen Roman. Und der ist, dies ist unbedingt als Lob zu verstehen, der Idealtypus des völlig schamlos ausufernden literarischen Werks, das auch vom Thema her alle Kategorien sprengt. Fast 1000 Seiten lang ist „Matou“; „Die großen Fragen der Menschheit – betrachtet von einem einzigartigen Kater: Matou“, verspricht der Verlag. Matous Leben sei „voller großer Abenteuer“, er sei „ein wilder Geschichtenerzähler und ein noch größerer Philosoph“, heißt es weiter in der Hanser-Verlagsvorschau. Uff.
Sie sind ja eh auf die Katze beziehungsweise auf den Hund gekommen dieser Tage. Auch Hape Kerkeling („Pfoten vom Tisch! Meine Katzen, andere Katzen und ich“, gerade erschienen, Lesung am 22. September auf dem Harbour Front Literaturfestival) und Denis Scheck, der mit seiner Ehefrau Christina Schenk die Haustier-Ode „Der undogmatische Hund“ (erscheint Anfang Oktober, Lesung am 1. Oktober bei Harbour Front) geschrieben hat, nähern sich literarisch vierbeinigen Beobachtungsobjekten. Das verspricht sagenhaft langweilig oder irre spannend zu werden, kommt ganz auf persönliche Interessen an.
Gutes Stichwort, Interessen und Vorlieben sind die Schwerter, die aus dem Neuheitenblock Einzeltitel heraushauen. Wer bekannte Autorinnen und Autoren mag, glasklares Bestsellermaterial, der sei auf Heinz Strunks Liebesroman „Es ist immer so schön mit dir“ (erscheint am 20. Juli, Lesung am 13. September in der Elbphilharmonie) verwiesen. Auf Daniela Kriens Ehe- und Mittellebensroman „Der Brand“ (erscheint Ende Juli, Lesung am 7. September im Literaturhaus) und auf Jonathan Franzens diesmal reichlich verquast betitelten, aber sehnsüchtig erwarteten neuen Blockbuster-Roman „Crossroads.
Ein Schlüssel zu allen Mythologien“ (Anfang Oktober). 800 Seiten sind von Rowohlt versprochen und noch viel mehr: nämlich zwei weitere Bände, die sich wie dieser erste um die mittelwestliche Familie Hildebrandt kümmern, um die Lebenswege von drei Generationen und Amerikas Gesellschaftsgeschichte der jüngeren Vergangenheit. Die Familie ist das Erste und das Letzte, und deswegen lieben wir Franzen.
Was liegt noch an, international gesehen? Jonathan Lethems Berlin-Roman „Anatomie eines Spielers“ (Juli), Sally Rooneys „Schöne Welt, wo bist du“ (September), Anthony Doerrs „Wolkenkuckucksland“ (September), John Le Carrés Abschiedsbuch „Silverview“ (Oktober), Herve Le Telliers französischen Superbestseller „Die Anomalie“ (August, Auftritt im Literaturhaus am 15. September), in dem eine Reihe von Menschen plötzlich damit konfrontiert wird, dass es sie doppelt gibt. Dave Eggers‘ „Every“ (Oktober), das wie Franzen zeitgleich auf Deutsch und Englisch erscheint.
„Every“ ist quasi die Fortsetzung von Eggers‘ Dystopie „The Circle“. Naheliegende Idee: Diesmal verschmelzen die führende Suchmaschine/soziale Plattform mit dem größten Onlinehändler. In Amerika wird Eggers, der einen Indie-Buchverlag betreibt, die Hardcover-Ausgabe von „The Every“, wie das Buch im Original heißt, übrigens nicht über Amazon vertreiben. Guter Schachzug.
Auf Widerhall stoßen dürfte auch Colm Tóibíns Roman „Der Zauberer“ (September); in ihm erzählt der irische Schriftsteller die Lebensgeschichte Thomas Manns. Bereits am Donnerstag erscheint auf Deutsch Quentin Tarantinos Debüt „Es war einmal in Hollywood“. Angekündigt sind auch etliche neue Werke deutschsprachiger Big Names. Bodo Kirchhoff legt im September mit dem 600-seitigen „Bericht zur Lage des Glücks“ nach „Widerfahrnis“ ein zweites Mal einen Titel vor, in dem er sich mit den Flüchtenden dieser Welt beschäftigt. Herta Müllers Erzählung „Der Beamte sagte“ (August) ist kürzer und spielt in einem deutschen Auffanglager. So ist die Literatur. Sie findet für ihre Stoffe viele verschiedene Formen.
Schamonis Roman über Hamburg und Heino Jaeger
Von Eva Menasse („Dunkelblum“, August) und Maxim Biller („Der falsche Gruß“, August) gibt es ebenso neue Bücher wie von Mara-Cassens-Preisträgerin Sasha Marianna Salzmann („Im Menschen muss alles herrlich sein“, September), Stephan Thome („Pflaumenregen“, September) und Angelika Klüssendorf („34. September“, September, Lesung am 5. Oktober im Literaturhaus). Und dann wäre da noch Sven Regener: Sein Künstlerroman „Glitterschnitter“ mit vielen seiner längst etablierten Helden erscheint Anfang September. Der Meister liest am 29. September auf dem Harbour Front Festival.
Damit vollends zur Abteilung Hamburg, es wird Zeit. Ende August steht Rocko Schamonis „Der Jaeger und sein Meister“ in den Regalen der Buchhändlerinnen und Buchhändler. Ein Roman über das Hamburg der 1960er- und 1970er-Jahre – und über Heino Jaeger, den großen Humoristen aus Hamburg. Tanja Schwarz‘ „Im neuen Licht“ (September) und Andreas Mosters „Kleine Paläste“ (August, Buchpremiere am 18. August im Literaturhaus) versprechen, Entdeckungen zu werden.
Anselm Nefts „Späte Kinder“ erscheint erst Anfang 2022 und handelt von der Familie – ein beliebtes, gerechtes und dankbares Sujet auch für deutsche Romanciers. Ihm widmet sich auch Christian Dittloff in seinem autofiktionalen Trauerbuch „Niemehrzeit. Das Jahr des Abschieds von meinen Eltern“, in dem der 35 Jahre alte Erzähler von dem emotionalen Ausnahmezustand berichtet, in den er gerät, nachdem seine Eltern innerhalb weniger Monate sterben.
Für Siegfried-Lenz-Enthusiasten ist die erstmalige Buchveröffentlichung des Märchens „Florian, der Karpfen“ (September) gedacht. Wo wir schon bei Hoffmann und Campe sind: Mit der Drucklegung von Amanda Gormans Inaugurationsgedicht „The Hills We Climb“ gelang dem Verlag eine viel beachtete, verkaufte und gelesene Publikation. Ende September erscheint nun mit „Change Sings“ Gormans erstes Kinderbuch auch auf Deutsch. Lenz und Gorman, das ist mal ’ne Spannweite. Es wird ein vielschichtiges zweites Literaturhalbjahr.