Hamburg. Im Malersaal hatte das liebevoll verrätselte Kammerspiel „Die Sorglosschlafenden, die Frischaufgeblühten“ seine Premiere.

Ob der Regisseur Christoph Marthaler den ebenso alten wie gemein guten Spitznamen für Hörner kennt, die „Glücksspirale“ genannt werden, weil diese Instrumente so unberechenbar sind und man beim Treffenwollen eines Tones oft unverschuldet Pech haben kann? Könnte gut sein. Könnte deswegen auch sein, dass das schon eine der vielen hintersinnig eingehäkelten Anspielungen war, die der Hölderlin-Meditation im Malersaal am Sonnabend dieses heimelige Geborgenheitsgefühl gab, das gute Marthaler-Abende bieten.

Die Sorglosschlafenden, die Frischaufgeblühten, das waren hier sechs wieder einmal schwer verschrobene Marthaler-Menschen – alte Bekannte, immer ohne Rollennamen und mit bekannten Gesichtern. Sie standen da also irgendwie miteinander herum und fühlten sich auch ganz leicht unwohl.

Sechs Hölderlinchen auf der Suche nach dem Sinn

Mit Betonung auf irgendwie, und in Begleitung von sechs Hornkoffern, bis auf einen leer. Schweigend, unsicher, schräg im Sein schoben sie sich immer an der Wand lang. Gesagt wurde wenig, das aber sehr schön. Und hin und wieder sprachen oder sangen sie in einen leeren Hornkoffer hinein und schienen deswegen gleich viel froher. Sechs Hölderlinchen, auf der Suche nach dem Sinn oder wenigstens nach Glücksmomenten mit oder ohne Musik, die ihnen niemand nimmt.

Achtzig Minuten unverdünnter, liebevoll verrätseltes und vor allem angenehm unaufdringlich leises Marthalern durfte man besichtigen. Hin und wieder, aber immer präzise choreografiert brach ein Möbelstück neben oder unter einem von ihnen zusammen. Morsch und mürbe vom gemeinsam praktizierten Einsamsein waren sie selbst ja auch, und rappelten sich doch immer wieder auf, frei nach dem Dichter-Denker, der viele seiner Lebensjahre in einem Turm hockte und sinnierte.

Sanfter Kon­trast zur Jelinek-Uraufführung

Der dort feine Aphorismen zu Papier brachte („Man kann auch in die Höhe fallen“, wurde natürlich zitiert) oder nur taumelndes Gedanken-Gestammel. Nachdem Marthaler gerade in München mit der brachialen Klanggewalt von Aribert Reimanns „Lear“-Oper gerungen hatte, durfte es nun das genaue Gegenteil sein – auch als sanfter Kon­trast zur Jelinek-Uraufführung, die in wenigen Tagen garantiert enorme Textmassen und Ideen über dem Schauspielhaus-Publikum im Großen Saal ausschütten wird. Obwohl Marthalers Hölderlin-Stückchen bereits für 2020 als Gratulation zum 250. Geburtstag gedacht war, passt dieses behutsame Zurückmelden bestens in die Gegenwart.

Hinten links hatte sich ein Streichinstrumenten-Trümmerhaufen ergeben, in dem Martin Zeller auf einer intakten Gambe oder einem Totalschaden-Cello Barockes von sich gab. Wenn Stamm-Pianist Bendix Dethleffsen kurz Bachs „Kunst der Fuge“ in seine Tasten schob, schauten die anderen, wieder so ein Jux vielleicht, versonnen die Fugen der Betonwände an.

Ein Thema aus einer Schubert-Sinfonie wurde sacht mehrstimmig angesungen und auch dessen Lied „Ach du holde Kunst“. Die Grenzen wischen Klang-Sprache und Sprach-Klang verschwammen, die Sache dämmerte beschaulich, aber unzäh vor sich hin. Ein selig mitpochender Ruhepuls stellte sich ein, zumal die gerade mal 37 glücklichen Anwesenden in bequemen Sofas oder Sesseln platziert worden waren. Dann endete es, und es war zu früh dafür.

Termine: 6.6., 16/20 Uhr, 7./12.6., 19.30 Uhr, evtl. Restkarten, www.schauspielhaus.de