Hamburg. Cross-over-Bildhauerei im Ernst Barlach Haus und zwei Hamburger Originale im Jenisch Haus und Bargheer Museum.
Dieses endlos scheinende Grün des Rasens. Dieser weite Himmel, der nur ab zu von tief fliegenden Airbussen durchkreuzt wird. Dieser freie Blick auf die Elbe, der Senator Johann Martin Jenisch dazu bewog, genau hier in diesem wunderschönen Park in Klein Flottbek seinen Landsitz zu bauen. Man spaziert, man sonnt sich, man plaudert bei einem Kaffee vom Schmidtchen auf einer Bank, ist binnen weniger Minuten total entspannt. Und kann nun auch endlich wieder, nach mehrmonatigem Stillstand, geballte Kultur im Jenischpark genießen: mit neuen Ausstellungen im Ernst Barlach Haus, Jenisch Haus und Bargheer Museum.
„Der Vollkommenheit ein Stück näher“ steht auf einer Visitenkarte, die Besucherinnen und Besucher am Eingangstresen des Ernst Barlach Hauses bekommen. Ruft man unter der angegebenen Kieler Telefonnummer an, erzählt Künstler Benedikt Lübcke von Barlach als seinem „Geistführer“, dem er während des Lockdowns durch das Studieren von dessen Briefen und Tagebüchern nahegekommen sei. Über ein Medium für Jenseitskontakte hat Lübcke versucht, Antworten auf seine Fragen zu bekommen. Mediatorin Steffi Stolz aus Tostedt übersetzt die Botschaften, die sie von dem bedeutenden Bildhauer über Liebe, Lebenswege und wie man zu dem wird, der man sein will, empfängt.
Eine schöne Einstimmung auf einen Abenteuerparcours, der die Bildhauerei in einem ganz anderen, neuartigen Licht erscheinen lässt. Im Atrium sind kaputte Windschutzscheiben über Metallstangen drapiert, sodass sie wie Tücher aussehen, daher auch der Titel des Arrangements: „VSG Foulard“ (französisch für Halstuch oder Seidenschal). Im Innenraum lehnt eine mit unzähligen Metalltackern veredelte Europlatte an der Wand.
Um in den nächsten Ausstellungsraum zu gelangen, müsste man über einen Perserteppich schreiten, ist aber nicht sicher, ob das erlaubt ist, schlängelt sich vorsichtshalber an der Glasscheibe entlang und kommt fasziniert vor einer Ansammlung von Miniatur-Aquarellen mit dem Titel „Paris-Montparnasse 1993“ zum Stehen, die in ihrer Monotonie spontan an Andreas Gurskys berühmte Fotografie „Wohnmaschine“ erinnert.
Cross-over-Bildhauerei im Ernst Barlach Haus
Und dann sind da die „Spechte am Meisenknödel“, präsentiert von Elisabeth Wagners Bildhauereiklasse an der Muthesius Kunsthochschule Kiel: Arbeiten, die jenseits des Figürlichen offen sind, die mit Materialien experimentieren, mit Witz um die Ecke gedacht sind und die Betrachter zum selbstständigen Erkennen und Kontextualisieren anregen. Die eine Botschaft transportieren und sie gleichermaßen hinterfragen. Das, schon mal vorweggenommen, ist die ganz große Klasse dieser Ausstellung, die „eine große Lust am Cross-over, Remix und Sampling offenbart und das plastische Arbeiten mit Malerei, Fotografie, Film, Video und Performance verbindet“, so Direktor Karsten Müller.
„Spechte trommeln, picken knurrend an die Wände. Sie hämmern nicht an der Form, um sie zu modellieren, sondern weil sie hungrig sind.“ Ebenso wie Spechte vereinnahmen also auch die Künstlerinnen und Künstler mit ihrem Programm diese von Ernst Barlach geprägte Sphäre. Und ebenso groß ist der Hunger nach Kultur, nach Kunst als Lebensmittel und Energiequelle – bei Produzenten wie bei Rezipienten.
Ein bemerkenswertes Werk hat die Studentin Hannah Bohnen abgeliefert: Die Bogenbewegungen ihres Bruders, der Violinist bei den Berliner Philharmonikern ist, griff sie im Motion-Tracking-Verfahren auf und fräste diese auf großformatige Holzplatten, sodass Raum, Zeit und Klang eine gemeinsame Form finden. Ein Film von Melina Bigale hingegen zeigt, wie 30 Kilogramm Hefeteig dank der Mechanik eines elektrisch betriebenen Fernsehsessels aufgehen. Bewegung einfangen, das Zeitliche in der Bildhauerei thematisieren – darum geht es vielen Kreativen.
Jenisch Haus feiert Werkmeisters Geburtstag
Und es geht um Individualität, Identität und Gruppenzugehörigkeit, etwa in Lilian Nachtigalls bereits erwähnter „Montparnasse“-Serie oder in der Videoinstallation „Gulliver“ von Constantin Schröder. Darin werden die uniformierten Mitglieder eines Kieler Spielmannszugs filmisch porträtiert. In einem weiteren Film sieht man dieselben uniformierten Spielmänner, -frauen und -kinder, die hoch konzentriert nach gleichen Paaren suchend in ein mit ihren Konterfeis bedrucktes Memory-Spiel vertieft sind.
Betont materialintensiv sind die Zementgüsse der Studentin Regine Schulz mit dem Titel „formation“. Die zum Teil auf Stelzen montierten Haufen werden je nach Wahrnehmung und Perspektive zu Gebirgsketten zusammengesetzt, und es stellt sich die Frage, wann und warum etwas für uns Gestalt annimmt. „In der Auseinandersetzung mit dem Material fühle ich mich gegenwärtig. Die Bildhauerei erscheint mir somit real und nahbar – so wie wir die Welt durch Handeln begreifen, habe ich durch die Bildhauerei direkten Zugang zu ihr.“ Mit diesem Ansatz ist Schulz dem berühmten Kollegen Barlach ähnlich, der in seiner Arbeit versuchtem „der Natur und den Elementen nahe zu sein“.
Im Jenisch Haus wird derweil der 80. Geburtstag des Altonaer Künstlers Wolfgang Werkmeister gefeiert. Der in der Gegenwartskunst als meisterlicher Radierer bekannte Werkmeister, der sich selbst als „verhinderten Maler“ bezeichnet, ist auch leidenschaftlicher Sammler. „Werkmeisters Welt“ präsentiert einen Ausschnitt aus seiner großen, reichen Sammlung von früheren Künstlern und Weggefährten, die ihn in seinem Schaffen inspiriert haben, von japanischen Holzschnitten über klassische Landschaftsmalerei bis zu zeitgenössischen fotorealistischen Arbeiten.
Mit wie viel Liebe und Bewunderung Wolfgang Werkmeister über Kollegen und deren Werke spricht, kann man sich zur Einstimmung in kurzen Filmen auf der Internetseite des Museums ansehen. Da wird hingebungsvoll das Ultramarin des Himmels, das sich in einem Gemälde des Chilenen Benito Rebolledo Correa in einer Kuh widerspiegelt, gelobt (obwohl Werkmeister gar keine Kühe mag), die kunstvolle Gestaltung eines Blattes bei Rolf Schröder-Borm oder das Lichtspiel in der Dunkelkunst von Karl Stauffer-Bern hervorgehoben. Und es wird die Erfindung des Kupferstichs gewürdigt als die Kunst, die uns heute vom Leben der Menschen in früheren Zeiten berichtet.
Bargheer zeigt anderes Bild von Afrika
Das Bargheer Museum hat seine Ausstellung „Ein anderes Afrika“ bis zum 1. August verlängert. Vordergründig verbindet man mit dem Hamburger Maler Eduard Bargheer (1901–1979) das heimische Blankenese oder Finkenwerder, wo er ein Haus erwarb, das ihm auch als Atelier diente. Später, im Exil, verewigte er wie kaum ein anderer das Licht des Südens und fand auf der italienischen Insel Ischia ein zweites Zuhause.
Weniger bekannt sind die Reisen nach Tunesien, Marokko, Ägypten, Mali und in den Senegal, die der zunächst expressionistisch, später abstrakt arbeitende Maler zwischen 1960 und 1968 unternahm. Ihnen ist die Ausstellung „Ein anderes Afrika“ gewidmet.
Das Spätwerk wurde inspiriert durch große Vorgänger wie August Macke und Paul Klee und deren Tunis-Reise von 1914. Bilder wie „Araberfrauen“ oder „Marokkanische Stadt II“ reflektieren Bargheers Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte und sein tiefes Verständnis für fremde Länder und Kulturen.
Nach so viel Kunstgenuss und Auseinandersetzung lädt der wunderschöne Park zum Nachwirkenlassen und Auslaufen ein. Und mit etwas Glück ist auch wieder diese eine Bank frei ...
So läufts im Park
Die Ausstellungen: „Spechte am Meisenknödel“ bis 12.9., Di–So 11.00–18.00, Ernst Barlach Haus, barlach-haus.de „Werkmeisters Welt“ bis 18.10, Jenisch Haus, Mo 11.00–18.00, Mi–So 11.00–18.00, www.shmh.de „Ein anderes Afrika“ bis 1.8., Bargheer Museum, Di–So 11.00–18.00, www.bargheer-museum.de. Tageskarte 7,- (jeweils 5 Euro in den beiden anderen Museen).
Weder Test- noch Impfnachweis erforderlich, Anmeldung empfohlen. Abstands- und Hygieneregeln gelten inklusive Tragen einer OP- oder FFP2-Maske sowie Kontaktdatenerhebung.