Hamburg. Eine Ausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte würdigt Leben und Werk des vom NS-Regime verfolgten Hamburger Künstlers.

1907 betrat der Wiener Psychoanalytiker Siegmund Freud das kleine, gerade eröffnete Fotoatelier an der Bleichenbrücke, Ecke Neuer Wall. Er wollte sich von Max Halberstadt porträtieren lassen. Dieser hatte sich just in dem Jahr als Fotograf an der Elbe niedergelassen. Vor und hinter der Kamera gab man sich viel Mühe; Halberstadt, ein Technik-Allrounder, setzte weiches Licht von oben, um den Bildern einen künstlerischen Anstrich zu geben. Freud posierte mal stehend, mal sitzend, mit Zigarre und ohne, den Blick stets fest, durchdringend auf den Betrachter gerichtet.

Abgezogen auf schlichtes Barytpapier wurden diese Bilder vielfach in Zeitschriften und Büchern veröffentlicht, sie wurden – ebenso wie der Porträtierte – weltberühmt. Und auch Halberstadt, durch die Heirat mit Sophie Freud dessen Schwiegersohn und in illustren Kreisen verkehrend, avancierte zum populärsten Porträtfotografen Hamburgs in den 1920er-Jahren. Bis seine Karriere ein jähes Ende fand und er vollkommen in Vergessenheit geriet.

Warum? Das fragte sich auch Eva Spangenthal, die heute 96-jährig in Johannesburg lebt, dort, wo ihr Vater Max Halberstadt 1940 starb. Sie kontaktierte den Publizisten und Exilforscher Wilfried Weinke und erzählte ihm den väterlichen Lebensweg, der mit großen beruflichen Ambitionen begann, jedoch durch Bedrohung und Vertreibung durch die Nationalsozialisten zerstört wurde.

Halberstadt machte sich einen Namen als Kinderfotograf

Weinke beschloss, das facettenreiche Leben und Schaffen dieses Ausnahmekünstlers zu würdigen, seinen Namen wieder ins kulturelle Gedächtnis zu bringen. Entstanden ist „Max Halberstadt „...eine künstlerisch begabte Persönlichkeit““ mit vielen persönlichen Leihgaben der Familie im Museum für Hamburgische Geschichte, „eine inszenierte Ausstellung über sein Leben, von der Geburtsurkunde bis zum Totenschein“, so der Kurator.

1882 wurde Max Halberstadt als Sohn jüdischer Eltern in Hamburg geboren. Schon bei seiner Ausbildung legte er Wert auf Renommee und fing beim Meisterfotografen Rudolf Dührkoop an. Nach einigen Wanderjahren kehrte er in seine Heimat zurück und machte sich schon bald einen Namen als Porträt- und vor allem Kinderfotograf. Halberstadt fotografierte aber ebenso Haus-Alben für gut betuchte Hamburger und die Darsteller an den Theatern; er ließ sich durch einen Venedig-Aufenthalt zu atmosphärisch dichten Hamburg-Bildern inspirieren.

Er dokumentierte auch das jüdische Leben in der Stadt, lichtete die Dammtor-Synagoge und den jüdischen Friedhof Altona ab. Auch war er sich für Reklame nicht zu schade. Und immer wieder inszenierte er sich selbst als Mann von Welt, machte Werbung in eigener Sache. Nach dem Ersten Weltkrieg zählte Max Halberstadt zu den Gründungsvätern der „Gesellschaft Deutscher Lichtbildner“, der heutigen „Deutschen Fotografischen Akademie“. Die in Hamburg erschienene Zeitschrift „Photofreund“ widmete ihm und seinen Arbeiten 1920 das „Sonderheft Max Halberstadt“.

Bei ihm wurde Albert Einstein zum Hilfsbriefträger

Strömungen der Moderne wie das „Neue Sehen“ nahm der Fotograf begeistert auf. Halberstadts Bilder erschienen in Fachzeitschriften und in den illustrierten Beilagen Hamburger Tageszeitungen, die seine Porträtaufnahmen sowie seine kreativen Collagen und Fotomontagen druckten. Ein Porträt des Schriftstellers und Orgelbauers Hans Henny Jahnn etwa bildete er zusammen mit einer Glocke, einer Orgelpfeife, einem Spielwerk und einer Theaterszene ab; den Architekten Fritz Höger ließ er hinter Zeichnungen und Fotografien verschwinden.

Bettina Probst, Direktorin des Museums für Hamburgische Geschichte, hebt besonders den Humor des Fotografen in diesem Bereich hervor. Halberstadt habe sich gern Aprilscherze erlaubt, indem er die Köpfe prominenter Persönlichkeiten in Fotografien montierte: „So wurde Albert Einstein zum Hilfsbriefträger, Gerhart Hauptmann zum Fassadenkletterer oder George Bernard Shaw zum Schornsteinfeger.“

Mit der Machtergreifung durch das NS-Regime 1933 ging ein Riss durch Deutschland und durch Halberstadts Leben. Kunden wie Darboven, Reemtsma und Dralle zogen ihre Aufträge zurück, das Atelier am Neuen Wall wurde kaum noch aufgesucht – schließlich wollte man sich nicht von einem Juden fotografieren lassen. Aus der Not heraus ging der einst so beliebte Fotograf mit seiner Familie ins Exil nach Südafrika. 1938 versuchte er es noch einmal mit einem eigenen Atelier in Johannesburg, doch war er durch die Folgen der Flucht derart geschwächt, dass er zwei Jahre darauf starb.

Exemplarisch für das Schicksal vieler jüdischer Bürger

„Ein Immigranten-Schicksal“, sagt Wilfried Weinke. Und so steht das Leben und Werk Max Halberstadts exemplarisch für das Schicksal jüdischer Bürgerinnen und Bürger im Nationalsozialismus, in ihrer Heimat nicht mehr leben und sich nur durch die Flucht der existenziellen Bedrohung und Verfolgung entziehen zu können.

Die Ausstellung zeige, dass „unser kulturelles Gedächtnis nicht nur Lücken in Bezug auf Halberstadts Werk aufweist, sondern auch Lücken mit Blick auf ein Bewusstsein für die jüdische Kultur, für die Menschen, die uns nicht verloren gegangen sind, sondern die mit Brutalität und mit Gewalt durch die nationalsozialistischen Verbrechen aus unserem Alltag ausgemerzt wurden“, sagte Kultursenator Carsten Brosda bei der digitalen Eröffnung. Es sei daher ein besonderes Ereignis, dass „diese Ausstellung ausgerechnet in dem Jahr eröffnet, in dem wir an 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland erinnern, und wir uns darüber freuen, wie jüdisches Leben in die Stadt zurückkehrt“.

„Max Halberstadt… „eine künstlerisch begabte Persönlichkeit““ bis 3.1.2022 im Museum für Hamburgische Geschichte (U St. Pauli), Holstenwall 24, Mo, Mi-Fr 10.00-17.00, Sa/So 10.00-18.00, Eintritt 9,50/6,- (erm.), T. 040/4281310, www.shmh.de