Hamburg. Jan Delay über sein neues Solo-Album „Earth, Wind & Feiern“, Rapperinnen und warum er nach Die Ärzte zu spät war.
Nach einigen Jahren des Pendelns zwischen Spree und Elbe ist Jan Delay wieder Vollzeit zurück in Hamburg – hier soll seine Tochter zur Schule gehen. Und nachdem er 2016 mit den wieder vereinten Beginnern und dem Album „Advanced Chemistry“ Hamburg zurück auf die Hip-Hop-Karte packte, wagt er sich am 21. Mai mit „Earth, Wind & Feiern“ an sein fünftes Solo-Album. Den Klaus-Lage- und Toto-Rock des Vorgängers „Hammer & Michel“ (2014) hat er zu den Akten gelegt. „Gude Laune“ ist jetzt die Devise, wie er beim Gespräch im Hotel The George erzählt.
Sie haben „nach der Rockplatte, auf die keiner Bock hatte“ jetzt ihre absolute Schokoladenseite für eine sommer- und clubtaugliche Pop-Platte hervorgekehrt. War das der Plan, der isolierten Homeoffice-Stadt etwas Disco-Showtime zu schenken?
Jan Delay Nein, nix! Sie können sich ja vorstellen, wie lange es dauert, so ein Album zu schreiben, aufzunehmen, zu mixen und die Videos zu drehen. Das hätten vielleicht Stefan Raab oder ähnlich Wahnsinnige in neun Monaten geschafft – ich nicht.
Zeilen wie „Ja, es sind finstere Zeiten, aber das muss gar nicht sein“ sind also vor Corona entstanden?
Delay In der Zeile steckt die ganze Intention der Platte drin. Auch vor Corona waren die Zeiten finster. Meine zwei großen Ängste waren und sind: Die Klimakatastrophe und das wir nichts dagegen tun. Und der Rechtsruck vor allem in diesem Land. Aber genau deshalb wollte ich ein positives Jan-Delay-Album machen. Ohne Fuckfinger, ohne „ihr seid alle doof“, sondern ich wollte alle einladen und mitnehmen mit einem Lächeln auf den Lippen. So abgedroschen und naiv es klingt, aber die positive Energie, die durch Musik und Tanzen entsteht, will ich wecken. Die Prämisse ist: Gude Laune!
Deshalb dürfte „Spass“ eines der zentralen Lieder sein. Zu tanzbarem Deichkind-Wumms reflektieren Sie zusammen mit Ihrem Beginner-Kollegen Denyo über die Ödnis von farblosen Gesellschaften ohne Einflüsse von außen.
Delay Richtig, ich versuche, humorvoll zu erzählen, warum verbohrte Menschen so sind wie sie sind, und was Ihnen dadurch fehlt.
Arbeiten Sie bei allem Spaß schneller und konzentrierter, seit Sie vor sieben Jahren Vater geworden sind? Andere Rapper berichten davon, wie produktiv sie auf einmal im Studio sind mit Kita-Abholzeiten im Hinterkopf.
Delay Ich habe das Glück, dass ich das schon vorher konnte. Man lässt sich als Rapper gern Ablenken von Versuchungen, vom Ego, von Faulheit und Bequemlichkeit. Gras trägt auch seinen Teil dazu bei. Aber ich habe schnell gemerkt, wie tödlich das für das Musikmachen ist, ich hatte genug Beispiele in meinem Umfeld. Ich dachte mir: Nee, das will ich nicht. Ich will am Start sein. Da waren Dr. Dre und Jay-Z meine Vorbilder: Das ist Arbeit, es gibt kein Rumhängen.
Neben den im Eröffnungslied „Intro“ erwähnten Einflüssen vom Wu-Tang Clan über Oasis bis zum Panikorchester findet man in Ihrem derzeitigen Sound neben Disco, Trap und Electro-Pop viel modernen Afrobeat, als wären sie durch die Clubs von Dakar und Nairobi gezogen.
Delay Es gibt neben Fridays for Future musikalisch einen einzigen Einfluss für den Spirit von „Earth, Wind & Feiern“: BBC Radio 1Xtra. Vor meinen Reggae-, Funk- und Rockplatten habe ich die jeweilige Musik in den fünf Jahren davor besonders intensiv gehört und dadurch Bock darauf bekommen, so was auch zu machen. Ich habe 2010 BBC Radio 1Xtra entdeckt – und seitdem nichts anderes mehr gehört. Das ist genau mein Sender, meine Kultur. Tagsüber läuft der aktuelle Scheiß aus Hip-Hop, Reggae, Dancehall und Afrobeat-Hybriden, und abends kommen die Spezialsendungen. Und die! Sind alle! So gut! Jeder DJ da ist ein Lexikon. Derzeit übernimmt Ami-Frauen-Rap das Ruder, unfassbar, was da alles rauskommt, ich finde jeden Song geil. Ganz wichtig ist übrigens das 1Xtra, das dürfen Sie beim Erwähnen nicht vergessen. BBC One ist todlangweilig.
Stichwort Rapperinnen: In unserem Interview zum letzten Beginner-Album 2016 antworteten Sie auf die Frage, warum keine Gastrapperinnen mit dabei waren: „Noch ist keine dabei, die uns derart flasht, dass wir uns als Fan bezeichnen würden.“ Das hat sich geändert?
Delay Definitiv. Es ist unglaublich, wie viele unfassbar gute Rapperinnen auch in Deutschland gerade durch die Decke gehen, ich komme da kaum noch mit.
Bei Ihrem neuen Lied „Tür’n knall’n“ teilen sie sich jetzt das Mikro mit Lary, die Sie schon länger als Sängerin begeisterte, aber vielen bislang noch nicht als Rapperin aufgefallen ist.
Delay Im vergangenen September brachte sie „Taxi“ heraus, das war ihr erster Rap-Song. Der hat mich derart geflasht, dass ich sie sofort angerufen habe. Und damit habe ich jetzt die zweiten Rap-Strophen auf meiner Platte, die sie jemals geschrieben hat. Dabei schaue ich auf meine ersten und zweiten Rap-Versuche und schäme mich.
Aber Ihre ersten Rap-Versuche waren ja „Gestern“, wie ein Lied heißt: „Nichts ist so kalt wie der heiße Scheiß von gestern“.
Delay Die Leute kommen immer zu mir und sagen: „Mach mal Musik wie früher“. Aber da habe ich keinen Bock drauf. Das Alte habe ich doch schon gemacht, warum soll ich das noch mal machen? Ich kann doch nichts dafür, dass das, was ich damals gemacht habe, jetzt Teil deiner verlorenen Jugend ist und dir in den neuen Songs diese wohlige Wärme fehlt. Aber auch das ist nur die Ansicht im Hier und Jetzt. Es kann gut sein, dass wir mit den Beginnern ein Album wie in den 90ern machen, wenn wir in zwei Jahren Lust drauf haben sollten.
Denken Sie noch wie früher, was das Albumformat betrifft? Die aktuelle Hip-Hop-Generation knallt einfach Track auf Track direkt bei Spotify rein, Alben spielen keine Rolle mehr.
Delay Alben sind wirklich von gestern, mir geht es auch schon so, dass ich überwiegend Songs und nicht Alben höre. Aber auch bei den Songs ist keiner mehr dabei, der mich nachts wachhält, bei dem ich die Texte ein Leben lang im Kopf behalte, egal wie gut er ist. Die Halbwertzeit hat enorm abgenommen. Alle müssen raushauen, alle müssen ballern, alles für den Algorithmus. Das einzige Album, was mich in den letzten vier Jahren komplett überzeugt hat, war „African Giant“ von Burna Boy.
Auf der Höhe der Zeit ist „Alexa“, das Lied spielt wie der Die-Ärzte-Titel „True Romance“ ironisch mit aktuellen Sprachassistenz-Programmen. Für beide Lieder gilt allerdings: In 20 Jahren versteht keiner mehr den Song.
Delay Als Die Ärzte damit herauskamen, war ich auch ein wenig angefressen, weil mein Song da auch schon fertig war. Aber ich kann Ihnen locker drei Lieder sagen, die einen speziellen Zeitgeist beschreiben, den es seit 20 Jahren nicht mehr gibt, und die Songs sind immer noch da. Lass mich kurz überlegen … (Fahrstuhlmusik aus der Hotellobby im Hintergrund) … lass uns in 20 Jahren darüber sprechen.