Hamburg. Im Musikfest-Stream: am dem Großen Saal der Elbphilharmonie: Titualarorganistin Iveta Apkalna und das Ensemble Resonanz.

Mehr als vier Jahre mussten vergehen, bis sie zusammen konzertierten: Iveta Apkalna, Titularorganistin der Elbphilharmonie, und das Ensemble Resonanz, Ensemble in Residence des Hauses, haben aus dem Großen Saal ihren ersten gemeinsamen Auftritt gestreamt. Natürlich ohne anwesendes Publikum, wie das bei der diesjährigen Auflage des Internationalen Musikfests nun einmal leider so ist. Dafür aber mit einem Esprit, der umstandslos vergessen machte, wie viel Technik zwischen Ausführenden und Hörenden lag.

Den Auftakt machte ein Orgelkonzert von Bach, das es eigentlich gar nicht gibt. Solche Phantome sind gar nicht so selten bei ihm. Vielbeschäftigt wie er war, hat er getan, was zu seiner Zeit gang und gäbe war, hat eigenes Material herangezogen oder gleich fremde Werke gekapert (das war damals ein Kompliment und kein geistiger Diebstahl), sie uminstrumentiert und den Notentext bearbeitet.

Konzert trug keine BWV-Nummer

Dieses Konzert trug denn auch bezeichnenderweise keine BWV-Nummer. Bach hat es aus instrumentalen Eingangssätzen recycelt, in denen die Orgel einen Solopart hatte, und daraus mit einigen Änderungen ein dreisätziges Cembalokonzert zusammengestellt. Der Dirigent Riccardo Minasi, dem Ensemble Resonanz seit langem in einer höchst inspirierten Zusammenarbeit verbunden, hat die Musik gleichsam ihrer ursprünglichen Bestimmung wieder zugeführt und in Apkalnas Hände gelegt.

Es war erstaunlich, wie schlank, gefasst und warm die Elbphilharmonie-Orgel klang, beinahe nach Kirchenraum – der akustischen Illusion dürfte geholfen haben, dass der Saal ohne Publikum ein Stück halliger klingt, was die berüchtigte Trennschärfe ein wenig abmildert. Apkalna spielte ihren Part recht ebenmäßig, das Orchester hingegen formte jede noch so kleine Figur plastisch, es seufzte in süßem Schmerz und zog seine Piani zu silbrigen Fäden.

Orgelkonzert begann Apkalna mit einer fast barock wirkenden Triumphgeste

Und Minasi dirigierte mit allen 30 Fingergliedern. Das sah unkonventionell aus und ergab doch in jedem Detail einen beglückenden Sinn. Nicht eine einzige Note, die ihre Bedeutung verfehlt hätte an diesem Abend.

Das Orgelkonzert von Francis Poulenc begann Apkalna mit einer wiederum fast barock wirkenden Triumphgeste. Erst der Orchestereinsatz machte klar: Wir befanden uns im 20. Jahrhundert. Die Musik bündelte die faszinierenden und schmerzlichen Facetten, die brutalen Brüche und die zarten Sehnsüchte jener Zeit wie in einem Kaleidoskop. Avantgarde? Nicht mit Poulenc. Aber dafür ganz viel Gefühl.

Oper fürs innere Auge

Und aus Mozarts „Linzer“ Sinfonie machten die Künstler eine Oper fürs innere Auge. Ständig lugte jemand um die Ecke, kommentierte sich die Musik selbst, bremste ab, um über etwas zu staunen, nahm wieder Fahrt auf. Ein Versteckspiel auf offener Bühne voll erotischen Flirrens, voll Witz und Tiefgang. Mozart eben. Nie wieder wollen wir eine handelsübliche, redlich geradeaus gespielte „Linzer“ hören.