Hamburg. Generalmusikdirektor Kent Nagano kombinierte in der Elbphilharmonie eine Uraufführung von William Blank mit Beethovens 5.
Und am Ende – man kann es nicht wirklich mehr hören und mag es auch kaum noch schreiben – dann nur diese gottverdammte, schreckliche, alles übertönende Stille. Beethovens Fünfte, der Finalsatz, die Triumph-Breitseite in strahlendstem C-Dur; alles geht mit dieser Musik im Rücken, nichts scheint mehr unmöglich. Beethovens Musik reißt hier jeden mit und, revolutionär marschierend, alles nieder.
Baut visionär alles auf, verspricht und fordert Grandioses. Eine Sinfonie wie ein beherzter Griff mit nassen Fingern ans offene Ende eines Starkstromkabels. Doch dann aber: nur Ruhe im Saal. 2073 leere Sitze und einige Kameras schauen das Philharmonische Staatsorchester und seinen Chefdirigenten Kent Nagano ernüchternd an.
Musikfest-Eröffnung in Hamburger Elbphilharmonie
Die Musikfest-Eröffnung im Großen Saal, die fünfte Jahreszeit im Hamburger Konzert-Spielplan, gewissermaßen. Aber eben: kein Applaus, so gar keine Begeisterung von allen Saal-Seiten, mehrere Etagen hoch. Lediglich diese verdrucksten Behelfs-Verbeugungen und anschließender Feierabend fürs Tutti. Das YouTube-Fenster schließt sich automatisch nach gut einer Stunde vor einigen Hundert virtuellen Gästen. Nun ja.
Die Idee hinter der handlich kurzen Programm-Konstellation, mit der Nagano das rein digitale Festival am Donnerstag eröffnete, ist eine Mischung aus Pragmatismus und Erfahrungswerten. Eigentlich war William Blanks „Alisma“ im Beethoven-Jahr 2020 als Uraufführung bei den Dresdner Musikfestspielen gedacht gewesen, als die x-te Hommage an den abzufeiernden Jubilar, als gedankliche, zeitgenössische Spiegelung von Beethovens Idee, drei Solisten und ein Orchester in das Beziehungsgeflecht eines Tripelkonzerts zu werfen.
Ursprünglicher Premieren-Termin wurde verschoben
Das Ergebnis, 1808 uraufgeführt, ist besser als sein Ruf, auch, weil es so sehr das Individuelle der Instrument-Charaktere betont. Der ursprüngliche Premieren-Termin des Schweizer Komponisten fiel der Pandemie zum Opfer, nun also spielten der Besteller, der Cellist Jan Vogler und seine Frau, die Geigerin Mira Wang, sowie Daniel Ottensamer, Solo-Klarinettist der Wiener Philharmoniker, die Uraufführung im zweiten Anlauf etwa 380 Kilometer elbaufwärts. Als Vor-Klang zur Fünften von Beethoven, die meinungsstark genug ist, um auch ohne akutes Jubiläum überall hineinzupassen.
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Blanks Tripelkonzert wiederum, in dem der Solo-Part des Klaviers durch eine Klarinette ersetzt wurde, ist nicht ganz so gut, wie es angelegt war. Es ist, wie so vieles, was man Jubilaren mitbringt, vor allem gut gemeint. Aus einer anfänglichen Ideen, die von den Solo-Instrumenten aufgegriffen und transformiert wird, schält sich ein Vortasten heraus. Vogler, Wang und Ottensamer haben, durchaus gleichberechtigt, zu tun. Doch je länger diese Motiv-Jonglage dauert, desto deutlicher wird die dem Stück zugrunde liegende Idee, die auf den Wechsel von Bewegung und Pause, Stillstand und Fortschritt abzielt.
Nagano bleibt standfest und statisch
Oft kommt das Stück dabei nicht recht vom Fleck und scheint diese Absicht auch nicht zu haben. Klangfarben-Flächen werden eröffnet, die Möglichkeiten des Orchesters blitzen auf, dann fällt dieser Vorwärtsdrang in sich zusammen, der eine oder andere solistische Kommentar verspielt sich ins Ungefähre. Handwerklich überzeugend, das ja. Musikalisch überwältigend, ernsthaft aufregend? Nun ja.
Dann doch lieber das Vorbild, die große Geste des Wiener Klassikers, die epochale, furchterregend aktuelle poetische Idee, aus einer Vierton-Phrase eine Welt zu bauen. Die „con brio“-Charaktervorgabe des ersten Satzes nimmt Nagano allerdings nicht sportlich und wirft sich auch nicht kopfüber ins Geschehen. Er bleibt, auch bei seiner Körpersprache, standfest und geradezu statisch. Das hat etwas Würdevolles und Abgeklärtes.
Orchester nur physisch eng beieinander
Wie sehr die coronaspezielle Stuhlkreis-Aufstellung der Holzbläser um das Dirigentenpult herum sich auf die Klang-Balance im Saal selbst auswirkt? Keine Ahnung. Die Stream-Version jedenfalls lässt mithören, dass das Orchester physisch gemeinsam auf der Bühne ist, aber noch nicht wieder ganz so eng zusammen, wie es auch dieses Stück verlangt.
Nach und nach erst kommt mehr und mehr Leben, Energie und Drive in die Fünfte. Nagano errichtete einen sehr weit ausholenden Spannungsbogen, um sich zum Finale energisch in die Nähe eines Randes des Möglichen vorzukämpfen. Entspannt gespannt, hymnisch bejahend und brachial optimistisch wirkt dieses letzte Aufbäumen gegen unsere Gegenwart jedoch kaum. Andererseits: Wer kann es allen Beteiligten dieses Konzerts verdenken, inzwischen genau so strapaziert zu sein wie so viele auf der anderen Seite des Bildschirms.