Peggy Seeger, Rhiannon Giddens und Valerie June bringen stilistisch vielfältige Alben raus. Eine vergangene Liebe wird verarbeitet.
„Ich habe keine besonders schöne Stimme, aber sie hat Charakter“, sagt Peggy Seeger über sich. Die Halbschwester der Folk-Ikone Pete Seeger (1919-2014) untertreibt, wie auf ihrem gerade erschienenen Album „First Farewell“ (Red Grape Records) zu hören ist. Peggy singt die elf Lieder mit einem klaren und kräftigen Organ, nie im Leben würde man darauf kommen, dass sie bereits 85 Jahre alt ist.
Zusammen mit ihren Söhnen Neill und Calum und ihrer Schwiegertochter Kate St. John, einer erstklassigen Oboistin, hat sie dieses Album mit sehr meditativ klingenden Chansons und Folksongs aufgenommen. Sie selbst begleitet sich am Klavier. Als sie im Jahr 1956 aus den USA nach England kam, wurde Seeger schnell zu einer politisch links eingestellten und später feministischen Künstlerin.
Songs von Peggy Seeger erinnern an vergangene Liebe
Ihre neuen Songs wie „The Invisible Woman“ und „All In The Mind“ reflektieren ihr eigenes Alter, der Eröffnungssong „Dandelion And Clover“ ist eine Erinnerung an eine längst vergangene Liebe.
Ihr ganzes Leben lang haben Peggy Seeger und ihr verstorbener Ehemann, der Dichter, Schauspieler und Sänger Ewan MacColl, sich für die Rechte der Arbeiter und für den Weltfrieden eingesetzt. Mit „How I Long For Peace“ findet sich auf diesem magischen Alterswerk passenderweise auch ein dezidiert politischer Song.
Rhiannon Giddens arrangiert traditionelle Songs neu
Von ähnlicher Schönheit wie Peggy Seegers „First Farewell“ ist das neue Werk der amerikanischen Bluegrass-Sängerin und Banjo-Spielerin Rhiannon Giddens. „They’re Calling Me Home“ (Nonesuch/Warner) hat sie in ihrer zweiten Heimat Irland aufgenommen und sich dazu den Multiinstrumentalisten Francesco Turrisi, den Gitarristen Niwel Tsumbu und die Flötistin Emer Mayock ins Aufnahmestudio geholt. Mit Turrisi hat sie zwölf traditionelle Songs neu arrangiert, darunter mit „Si Dolce è’l Tormento“ auch ein Lied des Renaissance-Komponisten Claudio Monteverdi (1567-1643).
Drei Elemente machen dieses ruhige Album aus: Es gibt sakrale Stücke wie das von Monteverdi und „Calling Me Home“, keltische Volkslieder wie „Black As Crow“ und „Bully For You“ und von Blues und Gospel beeinflusste Nummern wie die archaisch anmutenden „I Shall Not Be Moved“ und „O’Death“. Die Stücke sind sehr reduziert aufgenommen, sodass Giddens’ wunderbare Stimme wohltuend zur Geltung kommt. Auch das berühmte „Amazing Grace“ gibt es zum Abschluss auf diesem betörend schönen Album. Allerdings singt Giddens nicht den Text, sondern summt die Melodie. Eine ungewöhnliche Interpretation, aber sie funktioniert hervorragend.
Valerie June: Neo-Soul trifft klassischen Südstaaten-Soul
So stilistisch vielfältig wie Rhiannon Giddens’ aktuelle Arbeit ist auch die jüngste Veröffentlichung von Valerie June. Auf „The Moon And Stars: Prescriptions For Dreamers“ (Concord/Universal) verschreibt sie ganz unterschiedliche musikalische Rezepte. Neo-Soul mit einem fetten Electro-Arrangement wie bei „Why The Bright Stars Glow“ trifft auf sanften Pop („Colors“, „Stardust Scattering“) und klassischem Südstaaten-Soul mit einer wimmernden Orgel („Two Roads“).
Die afroamerikanische Sängerin und Songschreiberin lebt in Brooklyn, stammt aber aus Memphis/Tennessee, in den 60er-Jahren durch das legendäre Stax-Label eine Hochburg des Soul. Stärkste Nummer ihres Albums ist „Call Me A Fool“. Dafür hat sie Carla Thomas, ungekrönte „Queen of Memphis Soul“ für ein Duett eingespannt. Was gar nicht so einfach war, denn der einstige Star besitzt nicht einmal ein Telefon ...