Hamburg. Sebastian Schnoy hat Künstler gefragt, wie sie in der Corona-Krise Geld verdienen – und macht der Politik einen Vorwurf.

Ein Musicaldarsteller, der als Lagerist arbeitet, eine Sängerin, die in der Schlachterei Brötchen schmiert, ein Bauchredner, der Pizzen ausliefert: Nach mehr als einem Jahr des nur kurz und nicht für alle unterbrochenen Kultur-Shutdowns haben zahllose Künstlerinnen und Künstler sich beruflich umorientieren müssen, um auch weiterhin die Miete bezahlen zu können.

Wie breit das Spektrum ist, hat jetzt der Hamburger Kabarettist Sebastian Schnoy durch eine Befragung in der 6500 Mitglieder starken Facebook-Gruppe IG #kulturerhalten dokumentiert.

Künstler im Dauer-Lockdown: "Die Nerven liegen blank"

130 Kulturschaffende haben sich bei ihm gemeldet und anonymisiert mitgeteilt, wie sie derzeit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Vom Dachdecker bis zur Reitlehrerin, vom Autoverkäufer bis zur Rettungssanitäterin ist hauptsächlich Kulturfremdes dabei, im künstlerischen Bereich ist lediglich eine Kabarettistin geblieben, die inzwischen als Sängerin für Trauerfeiern gebucht werden kann.

„Die Nerven liegen blank“, sagt Schnoy, der normalerweise nicht nur ein erfolgreicher Kabarettist ist, sondern auch als Autor arbeitet und sich aktuell „von Hilfe zu Hilfe“ hangelt.

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Momentan beschäftigen ihn vor allem seine vier Kinder, zwei im Homeschooling, zwei im Kindergartenalter. Da sei es für ihn logistisch unmöglich, etwa im Impfzentrum in den Messehallen zu arbeiten wie gleich 14 Kolleginnen und Kollegen, die sich bei ihm gemeldet haben. Wer dort helfe, bekomme in der Regel zumindest ein ausgesprochen positives Feedback von den zu Impfenden – nicht unwichtig in diesen für viele so deprimierenden Zeiten.

Sebastian Schnoy macht der Bundesregierung Vorwürfe

Sebastian Schnoy beschreibt den Ist-Zustand anschaulich: „Die Beraterin bei der Corona-Hotline findet wirklich gute Worte, um Ihnen zu helfen? Kein Wunder, sie ist eigentlich Schriftstellerin. Der Busfahrer bringt mit einer witzigen Durchsage alle Fahrgäste zum Lachen und man denkt, irre, der Typ sollte in einem Comedyclub auftreten! Macht er sonst auch.“

Das klingt im ersten Moment locker-flockig, doch Schnoy ist es mit dem Thema sehr ernst. Es sei im vergangenen Jahr klar geworden, so sein Resümee, dass die Bundesregierung „kein Problem damit hat, unsere Branche über ein Jahr komplett auszuschalten und damit unsere Existenzen zu ruinieren, während in anderen Branchen, in denen Künstler jetzt notgedrungen gelandet sind, die Party munter weiter geht“.

"Wenn Lockdown, dann für alle Branchen"

Sein Vorwurf: Während man Kulturschaffende in den endlosen Lockdown schicke, werde in der Industrie, in Großraumbüros und auf Baustellen einfach weiter gearbeitet, häufig ohne eine effektive Kontrolle von Hygiene- und Abstandsregeln. Natürlich verlange niemand, dass in der momentanen Situation mit steigenden Inzidenzen die Theater wieder öffnen, aber: „Wenn Lockdown, dann für alle Branchen. Nur so werden die Zahlen runtergehen, nur so kann ein normales Leben für alle in Sicht kommen.“

Von dieser Rückkehr zur Normalität träumen gewiss all jene, die sich bei Sebastian Schnoy gemeldet haben. Raus aus den Brotjobs, rauf auf die Bühne, nicht länger Corona-Kollateralschaden sein, sondern erleben, dass der zunehmend verzweifelt eingeforderte Erhalt von Kultur endlich zur Selbstverständlichkeit wird.

Sebastian Schnoy im Netz: www.schnoy.de