Hamburg. Ahrensburger Sänger spricht über das neue Album “Myriaden“, Leopardenhosen und was die Band mit Peter Maffay und Rio Reiser vereint.

Seit bald 30 Jahren glaubt die Hamburger Rockband Selig an die kosmische Kraft der Liebe, die nur noch nicht die Lösung aller Probleme ist, weil es noch nicht probiert wurde. Aber Sänger Jan Plewka, Gitarrist Christian Neander, Bassist Leo Schmidthals und Schlagzeuger Stoppel Eggert geben nicht auf, auch wenn die Töne auf dem neuen Album „Myriaden“ leiser geworden sind. In Lockdown-Zeiten nehmen wir an, den sonst immer umtriebigen Jan Plewka zum Telefonat über die neuen Lieder zuhause erwischen zu können ...

Herr Plewka, wie geht es Ihnen im schönen Ahrensburg?

Jan Plewka Mir geht es saugut! Ich bin gerade in Berlin auf Promotour, in einem schönen Hotelzimmer. Da ich geschäftlich unterwegs bin, bin ich endlich mal wieder systemrelevant. Mein Handy zeigt mir immer Fotos von vor einem Jahr. Da war ich wohl in Südafrika bei „Sing meinen Song“. Ich sehe so glücklich aus …

„Myriaden“ ist zwar ein neues Album, aber die Seele der Band ist die alte: die vier ewigen vier Hippies.

Plewka Wir wollten dem Planeten und den Menschen darauf die größte, sinnlichste Liebeserklärung geben, die man machen kann. Mit sehr viel Sehnsucht natürlich, weil vieles nicht so läuft, wie es sein sollte. Das zieht sich wie ein roter Faden durch das Album, auch im Lied „Du“, was ich für meine Frau Anna geschrieben habe.

„Du“ ist wirklich wunderschön geworden, allerdings ist man mit so einem Liedtitel schnell bei Peter Maffay. Was ja nicht schlecht ist, aber er hat bessere Lieder.

Plewka Peter Maffay hat ein „Du“, Rio Reiser hat ein „Du“, André Heller hat „Du, Du, Du“. Also ich finde es nicht verwerflich, wenn wir uns da einreihen.

Klanglich ist „Myriaden“ eine bunte Tüte: Motown-Soul, Chanson, Stadion-Pop, Space-Rock, Funk, Electrobeats, Kammermusik. Das erinnert an Ihr drittes, seinerzeit verkanntes Album „Blender“ von 1997. Produziert wurde es damals von Franz Plaza, der jetzt nach 24 Jahren wieder zu Ihnen gestoßen ist. Wie kam es dazu?

Plewka Das war auch für uns eine Überraschung. Christian, der sich in der Produzentenszene sehr gut auskennt, hat eines Tages zwölf verschiedene Lieder von verschiedenen Produzenten vorgespielt, ohne die Namen zu nennen. Am Ende blieb einer übrig, mit dem wir es ausprobieren wollten, und Christian hat sich totgelacht: Es war Franz Plasa. Nach einem Essen wie damals beim Griechen und ein paar Proben hat sich der Kreis endlich geschlossen, denn wir sind damals nicht im Guten auseinander gegangen. Hippies, nä? Frieden schaffen ohne Waffen.

Es braucht auf dem neuen Album bis zum siebten Song „Selig“, bis Tempo aufgenommen wird. Haben Sie die Lust an der Hastigkeit verloren und spielen lieber in „Zeitlupenzeit“, wie ein weiteres Lied heißt?

Plewka Ich glaube, das liegt daran, dass wir uns im Probenraum nicht mehr eingezwängt in Leopardenhosen über Rock’n’Roll, Drogen, Mädchen und das ausschweifende Leben unterhalten haben, sondern über Gesellschaft, Politik und die Zukunft. „Selig“ ist das einzige Protestlied, das durch die Wand fährt, aber die anderen Lieder versuchen auch, eine Lösung in den Raum zu stellen. Ich hätte auch nicht gedacht, dass „Myriaden“ so eine ruhige Platte wird, aber das passt auch zur Gegenwart.

Im Lied „Alles ist so“ heißt es: „Ich will nicht dass die Welt so untergeht: in regulierter Realität“. Wann ist der Text entstanden?

Plewka Der Text entstand vor einem Jahr innerhalb kürzester Zeit morgens um Vier nach einer durchgewälzten, schlaflosen Nacht. Das passiert selten.

Wie kommen Sie und Ihre Bandkollegen durch die regulierte Realität?

Plewka Die Musiker haben es tatsächlich gut, die können zum Beispiel über Zoom Unterricht geben. Christian schreibt Lieder, Leo ist in der Theatermusik unterwegs und komponiert. Bei mir hingegen ist es echt schwierig derzeit. Ich habe das Angebot, in Luxemburg an einem Theater in einem Shakespeare-Stück mitzumachen.

Haben Sie Unterstützung beantragt?

Plewka Beantragt ja, dann wurde es mir wieder abgesprochen, weil ich als Sänger keine Betriebskosten habe. Verdient habe ich seit einem Jahr nichts, das übernimmt meine Frau. Wenn wir die Steuern vom letzten Jahr bezahlen, dann ist wirklich Ende im Gelände für einen Haushalt mit vier Kindern. Aber wir geben auch nicht viel aus, da merkt man auch, dass man mit weniger auskommt. Vielleicht entfernen wir uns durch die Pandemie vom Turbokapitalismus.

Immerhin konnten Sie mit Selig im August 2020 im Stadtpark singen.

Plewka Das war unser einziges Konzert, und das wurde beinahe noch wegen des Unwetters abgesagt. Ich glaube, das war einer unserer besten Abende, von dem wir lange zehren. Ich sehe uns erst im Sommer 2022 wieder vor Leuten spielen.

Vor der Pandemie waren sie kaum zu Hause und immer mit Selig, als Duo mit Marco Schmedtje oder mit Rio-Reiser- und Simon&Garfunkel-Abenden unterwegs. Wie halten Sie jetzt den Antrieb am Laufen?

Plewka Meinen Applaus hole ich mir ab, indem ich gut koche. Ich verbringe viel Zeit mit meinem siebenjährigen Sohn im Wald oder beim Fahrradfahren, das ist ein großes Glück. Aber irgendwie gehen alle meine Lieblingssachen gerade kaputt, mein Fahrrad, mein Mixer, meine Schulter. Meine Frau sagt: „Janni, auf der Bühne haben deine großen Gesten Platz, aber im Alltag ist das zu viel.“