Hamburg. Der bekannte TV-Journalist erzählt in seinem Roman „Ella & Co. KG“ süffig und saftig von den kargen Jahren der Nachkriegszeit.
Sie hatten nichts, und dann bauten sie das Land neu auf. Zur Stunde null, nach dem großen Krieg, waren alle dünn. Nach dem Wirtschaftswunder waren alle dick. So könnte man die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland grob umreißen. „Ella & Co. KG“ spielt zu einem großen Teil in der sagenumwobenen Epoche, die wir die Nachkriegszeit zu nennen pflegen.
Es ist ein kulinarisches Panorama, vor allem mit allerlei Torten und Kuchen und Keksen, das sich in diesem Roman entblättert. Ella, die titelgebende Heldin, ist nämlich in ihrer ersten Karriere, die hier breit beschrieben wird, Konditorin. Später wird sie, in dem süffigen, auch erzählerisch kalorienreichen Roman wird das ebenso ausführlich geschildert, die Vorsteherin eines Familienunternehmens sein, das in Schrott, Secondhand und Abriss macht.
Gerhard Delling erschafft eine Romanheldin auf der Fresswelle
Nach dem Krieg ist dies ein noch einträglicheres Geschäft als der Verkauf von süßem Backwerk. Als Romanheldin taugt Ella unbedingt, gerade weil sie den natürlichen Gang der Körperfülle immer schon konterkariert: Selbst in den kargen Kriegsjahren, mit denen die Handlung einsetzt, ist sie schon dick. Ella surft immer auf ihrer persönlichen Fresswelle, isst Torten, Kekse, Würste, weil ihre Mutter auch in Zeiten des Mangels zu improvisieren weiß.
Ella ist die immer energiegeladene Norddeutsche aus der Kleinstadt, die sich von Schicksalsschlägen und Streitereien in der Sippe nicht ausbremsen lässt. Sie ist, vor allen anderen Trümmerfrauen, die Alphafrau, die vorneweg geht und vom Geschäftssinn genug hat, um sich gegen alle Widrigkeiten zu behaupten.
Ella ist die Alphafrau mit Geschäftssinn
Die Power der üppigen Frau, die durch die ausgemergelten Verhältnisse pflügt: Das ist das Thema von „Ella Co. KG“. Für diese Naturgewalt braucht es die richtigen Worte und eher zu viele als zu wenige. Womit wir endlich beim Autor des Romans wären. „Ella & Co. KG“ ist das literarische Debüt des ehemaligen NDR-Sportjournalisten Gerhard Delling, der 1959 in Rendsburg geboren wurde. „Angereichert mit biografischen Bezügen“ heißt es in der Autoreninformation bezüglich des Romans, und: „Ella & Co. KG“ sei Dellings „Herzensprojekt“.
Und mit Herz und Verve schrieb der Fußballfachmann diese Familiengeschichte nieder. Für seine Moderationen erhielt Delling einst den Grimme-Preis und den Medienpreis für Sprachkultur, seine Sätze vorm Mikrofon kommentierten jegliches Geschehen auf dem Rasen eher trocken als blumig. Aber wo sprachliche Reduktion zu Hause ist, gibt es, scheint’s, vorderhand heimlich auch immer deren Überschuss. Er findet sein Ventil, wenn es um Frauen wie Ella geht, geborene Wesselin, verwitwete Hilling, wiederverheiratete Kargemann.
Delling ist ein unerschrockener Erzähler, er mag literarische Erotik („Der Kuss war lang, prall und echt“) und die Verführungskraft barocker Körperlichkeit („Und ein Mund, der durch seine Breite und die wulstigen Lippen mit der Nase um die Vorherrschaft in dieser Landschaft kämpfte. Und dieses Monument des Überflusses bewegte sich nun geradewegs auf den in Relation dazu recht kleinen Kopf von Heinrich zu. Der erste Kuss! Fleischig und deshalb erregend für ihn“).
Ella als eine aktuelle Figur
Die Geschehnisse und Lebenswege nicht nur Ellas, sondern auch ihrer Söhne und anderer, an die Familie angedockte Figuren, schildert Delling in einer Sprache, der man manche Klischees gerne austreiben würde, die aber immer lebendig ist.
Das muss sie auch sein, denn voller Lebenshunger sind die Menschen, um die es hier geht. Sie haben den Krieg noch in den Knochen, aber Geist und Körper wollen in die Zukunft, in das Land, in dem fette Torten die belohnen, die Deutschland neu errichten.
„Ella & Co. KG“ ist ein Buch über eine wirtschaftlich schwierige Zeit, die auch eine anarchische Zeit der Möglichkeiten für unternehmerische Anpackerinnen war. So gesehen ist Ella eine aktuelle Figur, und der Roman, der ihr gewidmet ist, allemal unterhaltend.
Gerhard Delling: „Ella & Co. KG: Familienroman aus den Wirtschaftswunderjahren“, Langen Müller, 416 Seiten, 24 Euro