Hamburg. Elbphilharmonie, Astrastube, Holthusenbad: Freelens-Fotografen lichten sich an ihren „Herzensorten“ ab – um Mut zu machen.
Demnächst wird man sie wieder sehen: die lang vermissten Kulturorte in Hamburg, nur eben an Litfaßsäulen vor den Tanzenden Türmen, am Großneumarkt oder Glockengießerwall. Fotografin Sibylle Zettler über die ungewöhnliche Plakataktion „Wir geben Hamburg Perspektive“.
Wann und wie wurde die Idee für das Projekt „Wir geben Hamburg Perspektive“ geboren?
Sibylle Zettler: Die Idee für die Ausstellung entwickelte sich während des Zoom-Neujahrsempfangs der Freelens e.V. Regionalgruppe Hamburg 2021. Ursprünglich war eine „Corona Chronicles“-Ausstellung geplant, wir entschieden uns dann aber, etwas Neues zu machen: etwas, das Zuversicht und Optimismus zeigt. Als Ausstellungsflächen die momentan trostlos leeren oder veralteten Kultur-Litfasssäulen unter dem Motto „Wir geben Hamburg Perspektive“ zu nutzen, war die Idee meiner Kollegin Henriette Pogoda.
Was wird auf den Plakaten zu sehen sein? Gibt es dabei eine Parallele zum Projekt „Miss You“ der Berliner Ostkreuz-Kollegen, die morgen unter anderem in Hamburg startet?
Zettler: Es sind Selbstporträts der 18 beteiligten Fotografinnen und Fotografen in ihren derzeit geschlossenen „Herzensorten“. Henriette Pogoda hat etwa die „Astrastube“ gewählt, den bekannten kleinsten Club Hamburgs, dem durch einen geplanten Ausbau der Sternbrücke der Abriss droht. Ich hingegen inszeniere mich im Holthusen-Schwimmbad, im Theater für Kinder, im Club Komet und in der Elbphilharmonie. Wir wollen damit auf uns Fotografen und auf die fehlende Kultur aufmerksam machen. Im Gegensatz zu „Miss You“, das Schauspieler, Sängerinnen, DJs oder Choreografinnen zeigt, haben wir uns selbst fotografiert, um auf unsere Situation hinzuweisen. Das war für viele Kollegen eine Überwindung.
Was wollen Sie mit der Aktion bezwecken?
Zettler: Stellvertretend für alle Hamburgerinnen und Hamburger und die geschlossenen Einrichtungen möchten wir mit unseren Fotos Zuversicht und Freude geben, auf das, was hoffentlich bald wieder möglich sein wird. Die Auswirkungen auf die Kulturszene sind immens, und neben dem Kampf um die berufliche Existenz fehlen das Schaffen und die Kreativität. Das eine sind die finanziellen Auswirkungen auf die vielen Kulturbetriebe, das andere ist der einzelne Künstler, der versuchen muss, sich zu motivieren, weiterzumachen. Es liegt darin aber auch eine Chance, sich rauszubewegen, Neues zu versuchen und andere Wege zu gehen. Unser Projekt ist durch diese Situation entstanden. Wir hatten die Zeit, es zu beginnen und zu realisieren; dafür sind wir alle dankbar. Es ist für uns zu einem Herzensprojekt geworden. Für einen Moment waren wir keine Einzelkämpfer, sondern haben gemeinsam kollegial und kollektiv diese Ausstellungsidee umgesetzt.
Ab dem 22. März sollen 75 Litfaßsäulen in Hamburg die Plakate zeigen. Via QR-Code können Passanten sich von Motiv zu Motiv durch die Stadt bewegen, ähnlich wie bei einer Schnitzeljagd. Eine witzige Idee, aber kommt dieser Einfall nicht ein bisschen zu spät?
Zettler: Da der Lockdown ja noch anhält, kommt unsere Ausstellung genau zur richtigen Zeit. Die Tage werden länger, es ist frühlingshaft – das lädt doch zu einer „Ausstellungstour“ ein! Für die Umsetzung war es nicht nur nötig, Fotos zu machen. Die Finanzierung musste geklärt werden, Anträge waren zu stellen, Genehmigungen einzuholen. Wir hatten insgesamt nur vier Wochen Zeit für alles. Nun sind die Fotos fertig, sie werden gerade kuratiert und gehen nach der Grafik in den Druck. Am 22. März wird dann unsere Ausstellung von Kultursenator Carsten Brosda eröffnet.
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Wie sieht Ihrer Meinung nach eine konkrete Perspektive für die Kulturszene aus?
Zettler: Es wäre wichtig, solche freien Projekte noch mehr zu unterstützen und zu fördern. Neben den finanziellen Hilfen ist das kreative Arbeiten gerade jetzt unglaublich wichtig! Das gilt für alle Künstlerinnen und Künstler gleichermaßen. Wir sind dankbar, dass die Hamburger Kulturbehörde unser Projekt wahrgenommen und unterstützt hat. Ohne diese Hilfe hätte unsere Ausstellung nicht so schnell realisiert werden können.