Hamburg. In „Spiel mit dem Feuer“ geht es grobkalibrig zur Sache. Für Klassik-Freunde mit Erstwohnsitz Hamburg ein spezielles Vergnügen.

Beethovens Neunte, letzter Satz, das „Ode an die Freude“-Thema. Keine andere Tonspur wäre zu dieser Thriller-Lektüre passender als jene Musik, die 1988 in „Die Hard“ erklang, als sich vor Hans Grubers Augen der Safe im Nakatomi Plaza öffnete. Grubers Panzerknacker-Freude währte nicht lang, denn am Ende – wer erinnert sich nicht gern und wehmütig daran – fiel er, erstaunt schauend, seinem verdienten Tod durch Schwerkraft entgegen, und für den rechtschaffen verdellten Bruce Willis als John McLane und sein Unterhemd war endlich Weihnachten.

Dass der deutsche Krimi-Autor Chris Landow beim Schreiben von „Spiel mit dem Feuer“ öfter über den hübschesten Familien-Weihnachtsfilm seit James Stewarts „Ist das Leben nicht schön?“ nachgedacht haben dürfte, lacht einem beim Lesen dieses Thrillers aus etwa jeder dritten Taschenbuch-Seite entgegen. Für Klassik-Freunde, insbesondere mit Erstwohnsitz Hamburg, sind diese rund 540 Seiten ein besonders großes guilty pleasure.

„Spiel mit dem Feuer“: Geiselnahme in der Elbphilharmonie

Denn diesmal wird nicht in irgendeinem entbehrlichen Bürohochhaus herumgeballert und geprügelt, diesmal ist die Elbphilharmonie Ort einer reichlich blutig beginnenden und sich dann steigernden Geiselnahme. Mit allem Drum und Dran. Mit einigen Vorspiel-Toten zum Reinkommen und mit einem interessant überforderten Innensenator in einer Nebenrolle, der gewisse optische Ähnlichkeiten mit dem derzeitigen Amtsinhaber hat.

Nur fürs Protokoll: Landow heißt in Wirklichkeit nicht Landow und soll ein auflagenschwerer deutscher Bestseller-Autor sein. Manche tippen, wohl wegen des kompakten Erzählstils und der ansatzlos und frohgemut ausgelebten Brutalität, auf den Vielschreiber Sebastian Fitzek, aber andererseits: Egal. „Spiel mit dem Feuer“ ist eh kein Buch zur analysierenden Wiedervorlage im Germanistik-Seminar, dafür ist der Plot entschieden zu grobkalibrig.

Kein reiner Held: Titelfigur Ralf Parceval

Seinen ruppigen Charme zieht er auch nicht aus dem laubsägegefertigten Charakter des Titelhelden, der den krude zusammengezimmerten Namen Ralf Parceval trägt, aber trotzdem kein reiner Held ist wie der ähnlich klingende mystische Titelheld der langatmigsten Wagner-Oper. Zumindest nuschelt er nicht, hat keine nervensägende Film-Tochter und trägt auch keine Pullover aus Turnbeutelstoff.

Ralf P. also war Bundespolizist und ist seit einer üblen Verlade in Afghanistan Deutschlands meistgesuchter 15-facher Mörder, der aber tatsächlich ziemlich unschuldig ist und seit zwei Vorgänger-Krimis auf Rache-Feldzug. Denkt viel, schießt zuerst, trifft meistens dort, wo es sehr weh tut, und spricht dann höchstens wenig.

Elbphilharmonie-Ortskundige dürfen sich freuen

Nun tut er das, schön aus dem nicht vorhandenen elbphilharmonischen Unterholz heraus einen Schurken nach dem anderen ausknipsend, während ein wie Gruber deutschstämmiger IS-Schlimmling Hunderte Gäste eines Benefizkonzerts im Kleinen Saal lagert, um ausgerechnet in der Adventszeit vor den Augen der Welt seine Forderungen durchzudrücken. Sein Künstler-Name: Abu Nihad al-Almani, der terrorist formerly known as Nils Walau. Deutscher, extra effektiv also.

Elbphilharmonie-Ortskundige dürfen sich hin und wieder leise kichernd freuen, dass Landow (beziehungsweise sein Lektorat) nicht überall im Gebäude komplett faktensicher ist: Er kann sich nicht durchgängig entscheiden, ob die Plaza sich in der 7. oder der 8. Etage befindet und schreibt so konsequent wie umgangssprachlich unrichtig, dass sich jemand „in“ der Plaza befindet.

Wer die reine Logik will, soll Kant-Vorlesungen studieren

Schwerwiegender – hoffentlich liest der Akustiker Yasuhisa Toyota nie diesen Krimi – ist dagegen, dass man in Landows Elbphilharmonie die Musik durch die geöffnete Tür des Kleinen Saals bis hinunter zur Plaza hören könne.

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Und wie sich das Blaulicht von Polizei-Spezialeinheiten, die das Gebäude ebenerdig umstellen (so gut das trotz drei Wasser-Seiten geht) in einer gut 40 Meter höher beginnenden Glasfassade spiegeln soll, wäre auch interessant zu erfahren. Doch wer immer nur die reine Logik will, soll gefälligst Kant-Vorlesungen studieren.

Geiselnahme geht nicht spurlos an der Elbphilharmonie vorbei

Mitarbeiter der Kulturbehörde und Hamburg Marketing, Projektleiter von Hochtief, gewisse Schweizer Architekten, diverse Orchester und das Personal von HamburgMusik sollten dieses Buch nur ganz vorsichtig lesen, denn die Geiselnahme geht, sagen wir es mal so: nicht ganz so spurlos an der Kultur-Ikone vorbei wie Hans Gruber an Nakatomi Plaza.

Alle anderen können ihren Spaß haben. Und hoffen, dass dieser Fall als Kino-Film eine Nummer zu klein ist für Nick Tschiller.

Chris Landow: „Parceval – Spiel mit dem Feuer“ Blanvalet, 542 Seiten, 10 Euro.