Hamburg. Das Duo Jüngst/Rykena wagt ein Experiment: Choreografie nicht nur als Bewegung, sondern auch als Beschreibung.

Die Choreografinnen Carolin Jüngst und Lisa Rykena und ihr Tänzer Tian Rotteveel laufen in sportlichen Tanzkostümen mit roten Schirmmützen ein paar Schritte an die Bühnen-Rampe. „Sprung, Sprung, Sprung, Landung. Hand zur Faust, Hand zum Peace-Zeichen. Hasenohr.“ Auf einem Videoscreen führt eine weitere Tänzerin in ihrem Wohnzimmer ähnliche Bewegungen aus und formuliert dabei, was sie tut. Einmal weckt sie dabei ihre auf einem Kratzbaum ruhende Katze und entschuldigt sich.

Es ist ein eigenwilliges Experiment, das das Choreografinnen-Duo Jüngst/Rykena hier probiert. Denn eigentlich hätte ihre Produktion „Rose La Rose“ natürlich eine Bühnenpremiere auf Kampnagel gehabt, aufgrund bekannter Umstände wird sie zunächst am 25. Februar digital Uraufführung feiern anlässlich des vom 24. bis 28. Februar ausgerichteten Online-Festivals „Fokus Tanz#7“ mit dem Titel „Dancing Screen“.

Jüngst und Rykena mussten ihre Produktion neu denken

Wie viele Kunstschaffende mussten auch Jüngst und Rykena ihre Produktion neu denken. Die britische Performerin Amelia Lander-Cavallo, die nun aus ihrem Londoner Wohnzimmer per Screen mitwirkt, konnte nicht aus London anreisen, dabei ist sie zentral in diesem Stück, in dem es einerseits um Verführung und die Burlesque-Tradition geht, andererseits um körperliche Kategorien und Zuschreibungen.

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Die Londoner Tänzerin ist sehbehindert und das Stück soll für sie und grundsätzlich für ein sehendes und nicht sehendes Publikum erfahrbar werden. Dafür arbeitet das Tanz-Stück mit den Mitteln der Audiodeskription.

Ursina Tossi, eine weitere Hamburger Choreografin, hat sich darauf seit einiger Zeit spezialisiert und beschreibt mit Worten, was auf der Bühne und auf dem Screen geschieht. Sie schafft sozusagen eine demokratische Situation für alle Zuschauer. Die Sprache gibt einerseits Orientierung, zugleich stellt sie mit dieser zusätzlichen Ebene die allgemeine visuelle Übersättigung in Frage.

Verführung und Erotik der 1920er-Jahre

Es sind also ganz schön viele inhaltliche und formale Ebenen, die die beiden seit 2016 als Duo arbeitenden Choreografinnen Jüngst/Rykena in „Rose La Rose“ auszubalancieren haben. „Wir haben uns in dem Projekt unter anderem mit Verführung und Erotik der 1920er-Jahre auseinandergesetzt“, erzählt Carolin Jüngst. „Das hat eine subversive Qualität, auch etwas Groteskes, in dem wir uns wiedergefunden haben.“

Beide Künstlerinnen haben auf den ersten Blick unterschiedliche Tanz-Hintergründe: Carolin Jüngst ist Absolventin der Performance Studies in Hamburg, Lisa Rykena, die in Frankfurt studiert hat, kommt ursprünglich eher vom klassischen Tanz und hat mit William Forsythe und Marina Abramovic gearbeitet.

Zuerst die Vision, dann der Tanz

Und doch haben beide schnell erkannt, dass sie eine gemeinsame zeitgenössische Bühnensprache verbindet. Hinzu kommt ein Interesse an inklusivem Tanz, Feminismus und der Herausforderung, das Flüchtige in Worte zu fassen. „Audiodeskription ist ein Mittel, das Visuelle wiederzugeben aber auch zu befragen“, erläutert Jüngst. „Wie werden die Körper beschrieben? Wie ändert sich der Blick auf den Körper?“

„Die Herangehensweise war diesmal eine andere“, erzählt Lisa Rykena. „Zuerst haben wir eine Vision entwickelt, aufgeschrieben und ausgesprochen und erst danach den Tanz erfunden.“ Was die Erotik betrifft, will das Duo auf der Bühne nicht mit Stereotypen verführen. Auf der Probe spürt man jedenfalls, dass neben der Lust der Beteiligten an der Show auch eine sehr einladende Portion Humor mit dabei ist.

Carolin Jüngst/Lisa Rykena: „Rose La Rose“ UA 25.2., 19.00, Eintritt Frei, Festival „Fokus Tanz #7 Dancing Screen“ 24.-28.2., Programm und Tickets unter www.kampnagel.de