Hamburg. Die Hamburger Stiftung vermittelt Kunst – und startet mit dem „Tagesthemen“-Moderator eine neue Livestream-Reihe.
Die Zahl spricht Bände: Fast 1500 Stiftungen haben ihren Sitz in Hamburg – die Freie und Hansestadt hat damit die meisten deutschlandweit, 78 pro 100.000 Einwohner. Das wäre nicht nur eine halbwegs erträgliche Sieben-Tage-Inzidenz in diesen Corona-Zeiten, sondern ist Hamburgs beeindruckende Stiftungsdichte. Und Stiftungen sind hier von jeher eine Triebfeder und Stütze der Kultur, zugleich Ausdruck bürgerschaftlichen Engagements.
Erst seit 2014 existiert die Stiftung Kulturglück. „Unser Ziel war es von Anfang an, Kultur für alle möglich zu machen“, sagt Stiftungsgründerin und -vorstand Nicola Verstl. „Wir wollen jenen Menschen einen Zugang zu Kultur ermöglichen, die es allein nicht schaffen könnten, sei es aus finanziellen oder gesundheitlichen Gründen, oder weil es sprachliche Barrieren gibt.“ Mit etwas Neuem in Berührung zu kommen, das ist in einer Zeit der Kontaktarmut mit den auch in Hamburg seit November geschlossenen Kultureinrichtungen schwieriger denn je. Nicola Verstl und ihre Mitstreiter versuchen es dennoch, ganz nach ihrem Motto: „Vergiss nicht die, die vergessen werden!“
Projekte mit dem UKE, Kinderkrankenhaus und Kunsthalle
In den vergangenen Jahren hat sie mit ihrer Vorstandskollegin Andrea Wasmuth und ihrer Assistentin Diana Rogalla in Kooperation mit anderen Organisationen einige Projekte initiiert, die trotz der Pandemie weiterleben sollen, wenn die Kulturstätten wieder öffnen können. Allen voran „Glücksmomente“, ein Projekt mit dem Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), dem Altonaer Kinderkrankenhaus (AKK) und der Hamburger Kunsthalle, bei dem psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche Kunst das erste Mal wirklich entdecken. „Das kann heilsam sein, auch für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Deshalb laden wir regelmäßig Kinder und Jugendliche, die unter psychischen Erkrankungen leiden, zu Führungen und Workshops in die Hamburger Kunsthalle ein“, sagt Nicola Verstl.
Und wer auch in normalen Zeiten aus gesundheitlichen Gründe nicht ins Museum kommen kann, dem bietet die Stiftung Kulturglück mit dem Verein Hamburger Kinderwünsche e.V. „Kunst on Tour“ eine Möglichkeit. Für jenes Projekt hat die Stiftung mehrere Workshops für jeweils nur fünf bis zehn erkrankte Kinder organisiert, die seit 2015 mit Kunstpädagogen in der Onkologie-Station des UKE und im „Lufthafen“ des AKK stattfanden. Sie sollten Kunst leben und erleben, auch unterstützt von Hamburger Kinderwünsche e.V. und der Aktion „Von Mensch zu Mensch“ des Vereins Hamburger Abendblatt hilft e.V.
Aus dem Tischherrn Zamperoni wurde der Schirmherr Zamperoni
Das Projekt „Licht im Dunkeln“ richtet sich an Demenzkranke. Sie können mit ihren Angehörigen bei Führungen in der Kunsthalle die Feinheiten der Kunstwerke entdecken und auch darüber frei sprechen und so durchaus lichte Momente erleben. Und mit dem Verein Made auf Veddel, künstlerisch beraten und begleitet von der Hamburger Modedesignerin Sibilla Pavenstedt, erleben handwerklich vorgebildete Frauen mit Migrationshintergrund ein Kulturglück. Die aus Kriegs- und Krisengebieten geflüchteten Teilnehmerinnen haben sich in Workshops bereits bedeutende Werke der Kunsthalle erschlossen, etwa David Hockneys „Hollywood Garden“ oder Gerhard Richters „192 Farben“, und daraus sogenannte Strickbilder gehäkelt und gestrickt. Derlei „Verstrickte Kunst“, so der Projektname, ist auch Ingo Zamperoni bekannt.
Der ARD-“Tagesthemen“-Moderator wurde für Kulturglück zum Auktionator: Im November 2019 versteigerte der smarte Fernsehjournalist die zuvor erstellten Strickbilder beim fünften Geburtstag der Stiftung zu deren Gunsten. Wie Nicola Verstl an ihn gekommen war? Sie hatte ihn Anfang jenes Jahres beim Neujahrsempfang der Rotary Clubs in Hamburg kennengelernt und von ihrer Arbeit erzählt – offenbar überzeugend: Aus dem Tischherrn Zamperoni wurde der Schirmherr Zamperoni. „Ich fand den Ansatz der Stiftung, sich über das Thema Kultur auch für die Integration zu engagieren, besonders interessant. Etwas für Menschen zu tun, die sonst nicht ohne Weiteres einen Zugang zu Kultur haben“, sagt Ingo Zamperoni.
Und weil er als souveräner Interviewer bekannt ist, hat Nicola Verstl mit der Stiftung ein neues Projekt entwickelt: „Kulturglück mit Ingo Zamperoni“, eine live gestreamte Gesprächsreihe. Sie ist am Dienstagabend (26.1.) erstmals im Internet zu sehen. Der ARD-Moderator trifft im Kulturpalast Hamburg in Billstedt Carsten Brosda (SPD), Hamburgs Senator für Kultur und Medien. Mit seinem ersten Gast will Zamperoni verschiedene Perspektiven auf Kultur in Zeiten von Corona ermöglichen.
Kultur: Was ist systemrelevant?
Ingo Zamperoni meint: „Auch in der Kultur stellt sich die Frage: Was ist systemrelevant, und wie wirkt sich das auf die ganze Gesellschaft aus, wenn es plötzlich wegfällt.“ Einerseits will der Moderator die wirtschaftlichen Aspekte der Corona-Krise diskutieren, andererseits auch die für die Kultur bedeutenden. „Wie lebensrelevant auch die Kultur ist, merkt man meist erst, wenn sie fehlt“, hat er selbst registriert.
Carsten Brosda, wie er Jahrgang 1974, ist Zamperoni bisher übrigens noch nicht persönlich begegnet. Einige Hamburger Kultureinrichtungen kennt der „Tagesthemen“-Moderator jedoch: Obwohl er jede zweite Woche bis spät abends arbeiten muss und sich mit seiner amerikanischen Frau die Betreuung von drei schulpflichtigen Kindern teilt, hat Zamperoni in Vor-Corona-Zeiten den US-Songwriter und -Pianisten Ben Folds sowohl im Club Große Freiheit 36 als auch in der Elbphilharmonie erlebt. Fördermitglied des zuletzt regelmäßig in der Laeiszhalle spielenden Haydn Orchesters Hamburg ist er bis heute, die Staatsoper kennt Zamperoni ebenfalls von innen, nur beim Sprechtheater wie dem Thalia sei er „viel zu selten“ gewesen, meint er. „Hamburg ist meine Heimatstadt, ich lebe hier seit fast 20 Jahren.“ Unterbrochen nur von einem Aufenthalt als USA-Korrespondent 2014 bis 2016 im ARD-Studio Washington.
„Das Weite suchen“, hat Nicola Verstl mit ihrer Stiftung das Motto des auf 45 Minuten angesetzten Gespräches mit Brosda doppeldeutig genannt. Als Gastgeberin des Abends, der auch musikalische Intermezzi mit dem Gesangsduo Kira & Don sowie Tänzer Franklyn „Slunch“ Kakyire bietet, möchte sie vor allem „Denkanstöße geben und Mut für die Zukunft machen“.
„Kulturglück mit Ingo Zamperoni“, erster Gast: Carsten Brosda, Di 26.1., 18.15 Uhr, kostenloser Livestream unter http://www.stiftung-kulturglueck.de