Hamburg. Justin Steinfelds Roman „Ein Mann liest Zeitung“ ist noch einmal neu erschienen. Ein großer, wichtiger Exilroman.
Ein großer, wichtiger Exilroman: Wie kann „Ein Mann liest Zeitung“ (Schöffling, 28 Euro), gerade aus Hamburger Sicht, als etwas anderes bezeichnet werden? Erzählt wird die exemplarische Geschichte eines Kaufmanns, der, was die Berufswahl angeht, ein ganz und gar typischer Sohn seiner Heimatstadt ist. Das gilt auch für seine Konfession: Als Jude befand sich Leonhard Glanz in zahlreicher Gesellschaft. Aber dann brach sich der gärende Antisemitismus Bahn.
Auch das schöne Hamburg wird hässlich und fängt an zu stinken und faulen, vor lauter Deutschbluttümelei und Judenhass. Und so treffen die Leserinnen und Leser die Hauptperson dieses Romans in der Erzählgegenwart gar nicht mehr in Hamburg an, sondern in Prag, wohin Glanz nach der Machtergreifung Hitlers geflüchtet ist.
Steinfelds Biografie gleicht der seines Helden in vielerlei Hinsicht
Dort verbringt er seine Zeit in Kaffeehäusern und verfolgt in Zeitungen, wie das Unheil über Europa und die Welt hereingebrochen ist. Und er rekapituliert die Jahre vor Hitlers Triumph, als die Dinge sich zum Schlechten wandten. Das Porträt eines von Barbaren gekaperten Hamburgs entsteht auf diese Weise: Das Kapitel war hier so dunkel wie überall sonst auch. Justin Steinfeld heißt der Autor dieses dicken Buchs, er wurde 1886 als Sohn eines Kaufmanns in Kiel geboren und starb 1970 in Baldock, England.
Steinfelds Biografie gleicht der seines Helden in vielerlei Hinsicht. Allerdings war er Journalist und Kritiker, ein Schöngeist und politisch denkender Mensch. Als solcher ein leidenschaftlicher Gegner des Nationalsozialismus, wie soll es anders sein: Steinfeld, der die Wochenzeitung „Die Tribüne“ herausgab, unter anderem mit Hans Henny Jahnn bekannt war und Mitbegründer eines Theaterkollektivs war, wurde als Jude und Kommunist verunglimpft und dann den Nazi-Häschern preisgegeben. In „Ein Mann liest Zeitung“ zeichnet Steinfeld, der selbst über Prag nach England flüchtete, ein Bild der Emigration und ihrer Gefühlslagen: Sie ist von einer Bitternis geprägt, die auch nach Jahrzehnten nicht abnimmt.
Ein gerechtfertigterweise unversöhnliches Werk
„Da waren also die ehrbaren Hamburger Kaufleute und scharwenzelten um meinen Vater herum. Aber ihre Söhne in der Schule, die riefen mir auf dem Heimweg nach: Jud Glanz und Itzig Glanz“, erinnert sich der Erzähler einmal. Auch an anderen Stellen ist „Ein Mann liest Zeitung“ ein gerechtfertigterweise unversöhnliches Werk.
Wie tragisch das Leben eines Vertriebenen wie Justin Steinfeld war, lässt sich auch an der Editionsgeschichte seines einzigen Romans ablesen. Er erlebte sein Erscheinen nicht mehr. „Ein Mann liest Zeitung“ wurde nach Vermittlung seines Neffen 1984 erstmals publiziert. Zu Lebzeiten, so berichtet der Hamburger Literaturwissenschaftler Wilfried Weinke in seinem kenntnisreichen Nachwort, hat Steinfeld immerhin den Respekt anderer Emigranten erfahren, denen er aus dem Manuskript vorlas.
Zeugnis einer Vertreibung, für die niemand Vergebung erwarten durfte
„Ein Mann liest Zeitung“ erscheint nun noch einmal neu im Schöffling-Verlag, herausgegeben von Weinke, der neben dem Nachwort auch ein Glossar besorgte. Weinke zitiert in seinem Nachwort aus einem Brief Steinfelds („Im Exil habe ich mehr Güte gefunden als jemals in Hamburg“) an Hans Henny Jahnn, in dem klar wird, warum Steinfeld nie nach Deutschland zurückkehrte.
Ein in Köln stationierter englischer Offizier habe ihm „von der Schäbigkeit der Deutschen“ erzählt: Keiner bekenne sich dazu, Nationalsozialist gewesen zu sein. „Ein Mann liest Zeitung“ ist das Zeugnis einer Vertreibung, für die niemand Vergebung erwarten durfte.