Hamburg. Schauspieler über seinen Schirach-Film „Feinde“, die Art, wie er sich Rollen nähert und seinen jüngst verstorbenen Freund Sean Connery.
Er ist ein Weltstar. Klaus Maria Brandauer steht für Filme wie „Mephisto“, „Georg Elser“, „Jenseits von Afrika“ oder das James-Bond-Spektakel „Sag niemals nie“. Auch wenn er weiter auf der Bühne arbeitet: Vor der Kamera stand der Schauspieler in den vergangenen Jahren eher selten.
Nun aber ist der 77-Jährige wieder in einer Hauptrolle zu sehen: am 3. Januar in der ARD-Produktion „Ferdinand von Schirach: Feinde“. Ein hochinteressantes Justizdrama, das in zwei Filmen aus der Perspektive eines Polizisten (Bjarne Mädel) und eines Strafverteidigers (Brandauer) erzählt wird.
Hamburger Abendblatt: Herr Brandauer, wie geht es Ihnen? Sind Sie bisher gut durch die Pandemie gekommen?
Klaus Maria Brandauer: Meine Familie und ich, wir sind bislang ganz gut durch die letzten Monate gekommen. Eine wesentliche neue Erfahrung habe ich aber gemacht: Trotz meines Freiheitstriebes bin ich ein ziemlich guter Untertan. Das hätte ich nie von mir erwartet. Ich befolge alle Vorschriften und Empfehlungen. Wir hoffen natürlich, dass diese Pandemie bald aufhört. Für alle, die im künstlerischen Bereich arbeiten, ist die Situation ganz furchtbar. Das ist schon ein seltsames Gefühl: Wenn der Bäcker um die Ecke streiken würde, dann geht ein Aufschrei durchs Land. Aber wenn das Burgtheater schließt, dann ist das eher kein großes Problem. Ich will das nicht gegeneinander ausspielen, aber der Mensch lebt nicht vom Brot allein.
Wie sind Sie zu der Schirach-Verfilmung „Feinde“ gekommen? Haben Sie gleich zugesagt, als das Angebot kam?
Ich habe das Buch gelesen und sofort gesagt: Das mache ich. So etwas passiert mir selten. Ich finde, dass ein solches Thema ins Fernsehen gehört. Dafür ist Fernsehen ja unter anderem, nein, vielleicht sogar vorrangig da: den Menschen, am besten in einer ganz großen Breite, von uns Menschen zu erzählen, spannend, kritisch, unterhaltsam – und dabei noch ein paar Denkanstöße zu geben.
Kennen Sie Herrn von Schirach persönlich?
Inzwischen schon. Wir hatten anfangs nur eine kurze Korrespondenz miteinander, aber die war sehr freundlich. Ein paar seiner Bücher hatte ich schon gelesen. Natürlich weiß ich, dass er lange Zeit als Rechtsanwalt aktiv war. Und jetzt versucht er diese Dinge, die ihn da beschäftigten, als Autor weiterzugeben. Er weiß genau, dass es im Leben nicht nur Schwarz und Weiß gibt, sondern eigentlich nur unendlich viele Grautöne. Da bin ich mit ihm auf einer Wellenlänge.
Das Spannende an diesem Zweiteiler ist, dass eine Geschichte aus zwei völlig verschiedenen Perspektiven erzählt wird. Beide Filme werden am selben Tag gezeigt, man kann auch gleichzeitig im Ersten und dem dritten Programm zwischen beiden Teilen switchen. Wie stehen Sie zu solch experimentellen Formaten?
Ich finde das eine großartige Idee. Das muss man sicher nicht immer so machen, aber in diesem Fall ist das sehr spannend. Denn die Zuschauer werden dabei herausgefordert, auf eine ganz ungewohnte Art. Sie sehen erst eine Möglichkeit und dann eine andere, obwohl es die gleiche Geschichte ist. In welcher Reihenfolge man die beiden Filme anschaut, ist gar nicht so wichtig. Es wäre nur schön, wenn man wirklich beide Teile sieht. Und dann eine Meinung, die man sich im ersten Film aufgebaut hat, vielleicht noch mal revidiert. Dafür muss man zwar ein bisschen seiner Lebenszeit investieren, aber das lohnt sich auf jeden Fall!
Kann man dem gewöhnlichen Fernsehzuschauer mit solch emotionalen Filmen die schwierige und oft schwer durchschaubare Justiz begreiflicher machen?
Ferdinand von Schirach gelingt das sehr souverän. Er hat da ja auch schon eine gewisse Erfahrung, solche Stoffe für ein großes Publikum aufzubereiten. Er schafft Anlässe, ausführlicher über Dinge nachzudenken, von denen man eine klare, vorgefasste Meinung hat. Das finde ich sehr wichtig, Dinge immer wieder abzuwägen, aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Es tut am Ende immer gut, mit Menschen zu reden, die eine andere Meinung haben. Durchs Reden kommen wir als Menschen zusammen, können voneinander lernen und uns weiterentwickeln, auch als Gesellschaft. Gerade weil die Kunst des Zuhörens immer mehr verloren zu gehen scheint.
Es geht in „Feinde“ um die sogenannte Rettungsfolter in einem Entführungsfall. Und die schreckliche Frage, ob man jemanden foltern darf, um so ein anderes Leben retten zu können. Ist es auch in einem solchen Fall gut, eine andere Meinung zu hören?
Dass man das „Rettungsfolter“ nennt, halte ich für besonders interessant. Ich bin da, als Biegler wie als Brandauer, empört. Ich bin so dankbar, in einer Demokratie zu leben, in der die Gesetzeslage eindeutig und so etwas nicht möglich ist. Die Demokratie ist andererseits auch keine gottgegebene Selbstverständlichkeit, da müssen wir aufgeklärten Bürger auch immer wieder schauen, ob der Zug auf dem richtigen Gleis fährt. Und wenn wir jetzt darüber diskutieren, wie dieses Wort „Rettungsfolter“ eigentlich zustande kam, haben wir schon etwas erreicht.
Wie haben Sie sich auf den Film vorbereitet? Haben Sie womöglich auch mit ehemaligen Entführungsopfern gesprochen?
Nein, so gehe ich nie vor. In der Vorbereitung bleibe ich fast immer mit mir allein. Ich kann das nur mit mir selber ausmachen. Das ist ein Prozess für mich - nicht nur ein Arbeitsprozess, fast ein Prozess im juristischen Sinne. Egal ob ich Hamlet spiele, Wallenstein oder eben einen Rechtsanwalt: Theater ist eigentlich, schon seit seinen Anfängen in der Antike, immer eine Verhandlung. Über einen Streitfall, über einen Menschen. Ich sitze da über mich selbst zu Gericht. Wenn ich mich entscheide, eine Rolle zu spielen, dann ist immer die erste und letzte Frage: Was hat das mit mir zu tun? Ich habe mir diese Frage immer geleistet und ich hatte immer das Glück, dass ich nichts machen musste, dass nichts mit mir zu tun hatte.
Ist das die eigentliche Botschaft dieses Films: einen Sachverhalt immer erst aus einer anderen Perspektive zu betrachten? Ist das eine Lehre gerade in Zeiten der sozialen Medien, wo jede Behauptung, die gepostet wird, immer gleich für bare Münze gehalten wird?
Ja, unbedingt. Wir sind geneigt, immer demjenigen zu glauben, der als Letzter oder am lautesten gesprochen hat. Für ein reflektiertes Abwägen von Argumenten bleibt kaum noch Zeit. Das hat Ferdinand von Schirach gut erkannt, und er bringt es ohne erhobenen Zeigefinger unter die Leute. Und auch nicht, um zu schnellen Ergebnissen zu kommen. Es gibt komplexe Fragen, die sich einfach nicht in einem zweiminütigen Statement erklären lassen, wahrscheinlich ist das bei allen Fragen so, die uns wirklich betreffen.
Das Fernsehen versucht mit neuen Formaten wie jüngst „GOTT“ oder jetzt „Feinde“, wegzukommen vom rein analogen TV und auf die Konkurrenz der Streaming-Plattformen zu reagieren. Kann das gelingen?
Ich denke schon. Wo gibt es das sonst noch, dass man zweimal neunzig Minuten aufmerksam ist, um einer Geschichte aus zwei verschiedenen Perspektiven zuzuhören und zuzuschauen. Und sich dann womöglich ein neues Urteil zu bilden. Wir sind doch eher drauf trainiert, uns ohne viel zu zögern der vorgefassten oder vorgegebenen Meinung anzuschließen. Das ist bequem und in manchen Fällen sicher auch gerechtfertigt, aber auf Dauer geht das schief.
Schauen Sie denn eigentlich fern? Streamen Sie lieber? Oder bleibt bei Ihnen das Fernsehgerät ganz aus?
Ich sehe sicher drei Nachrichtensendungen pro Tag und habe zwei Zeitungen abonniert. Ich will informiert sein. Sonst wüsste ich nicht, worüber ich am Abend verhandeln sollte, egal ob das ein Shakespeare ist oder Ferdinand von Schirach.
Die Kultur wurde wieder heruntergefahren. Die Theater und Kinos sind zu, auch wenn sie als besonders sichere Orte galten. Wie empfinden Sie das, muss man da jetzt durch oder hätte man da anders abwägen müssen?
Es ist für uns alle eine Heimsuchung und eine Ausnahmeerfahrung. Wir müssen das jetzt so hinnehmen, eine andere Wahl bleibt uns nicht. Keiner kann genau wissen, welcher Weg der richtige ist. Da passieren unweigerlich Fehler, sicher auch sehr große. Darüber wäre viel zu sagen, das würde vielleicht sogar sehr hart ausfallen. Aber jetzt ist dafür noch nicht der richtige Zeitpunkt. Im Moment können wir nur hoffen, dass wir da mit Glück durchkommen und dass es nicht mehr allzu lange dauert.
Sie waren in den vergangenen Jahren eher selten in Film- und Serienproduktionen zu sehen, haben lieber Bühnenprogramme gemacht. Hat der Film Sie nicht mehr interessiert – oder kamen nicht die richtigen Angebote?
Ich war ja noch nie der, der immer viele Filme gedreht hätte. Auch früher nicht. Ich spiele vorrangig Theater, momentan wegen Corona leider nicht. In letzter Zeit habe ich ein paar Lesungen im Burgtheater machen dürfen, vor wenigen Zuschauern. Aber ich drehe sehr gern, wenn es inhaltlich und personell so zusammenkommt, dass ich mich zugehörig fühle.
Mit Istvan Szabo, mit dem Sie drei Ihrer größten Erfolge gedreht haben, „Mephisto“, „Oberst Redl“ und „Hanussen“, haben Sie nach 30 Jahren wieder gefilmt. Wie war die neuerliche Zusammenarbeit?
Irgendjemand hat ein Foto von uns vieren gemacht, wie wir da übers Studiogelände gegangen sind. Szabo, ich, der Kameramann Lajos Koltai und der Produzent. Da sind mehrere Hundert Jahre zusammengekommen! Der Produzent meinte, es sei nicht leicht gewesen, uns zu versichern. Ich habe den Film auf seiner Premiere in Budapest erleben dürfen, das war leider drei Tage, bevor die Pandemie begann. Wir haben immer gesagt, wir machen mal wieder einen Film zusammen. Wichtig aber ist, dass man zusammenbleibt. Und das waren wir immer.
Vor Kurzem ist Sean Connery gestorben. Sie haben in seinem letzten James-Bond-Film „Sag niemals nie“ seinen Gegenspieler gespielt. Welche Erinnerungen haben Sie an Connery?
Nur die besten! Ich denke gern an ihn. Wir haben uns erstmals in Nizza getroffen, als wir für den Bond-Film auf der „Flying Saucer“ gedreht haben. Ich empfand ihn immer als außergewöhnlich angenehmen Menschen, mit viel Humor. Er ist – er war ein Freund. Ihm hat der „Jedermann“ vor dem Dom in Salzburg gefallen, er ist extra vorbeigekommen. Wir haben auch Golf gespielt, obwohl ich kein Golfer bin. Und als wir 1990 „Das Russland-Haus“ gedreht haben, sind wir stundenlang durch Leningrad, heute wieder St. Petersburg, gelaufen, so dass man beim Dreh ständig auf uns warten musste. Wir waren fein miteinander, wie man bei uns sagt!
Stimmt es eigentlich, dass Sean Connery Sie als Gegenspieler für Bond vorgeschlagen hat?
Keine Ahnung, aber das wird immer behauptet. Möglich wäre es schon. Ich war damals sehr verärgert, das kann man heute eigentlich gar nicht mehr erzählen. Aber ich hatte gerade „Mephisto“ gedreht, einen wichtigen, politischen Film – und dann kommt man und bietet mir so eine Operette an. Für mich war James Bond Operette. Heute denke ich mit Hochachtung über diese Bond-Filme, das ist Blockbuster-Unterhaltung in einer ganz eigenen Liga. Aber damals hatte das ein kleines Geschmäckle, weil‘s halt immer auch Kalter-Kriegs-Filme waren.
Und die Bösen, das waren meistens die Deutschen oder die Österreicher, Gert Fröbe, Lotte Lenya oder Curd Jürgens - dann halt auch ich. Aber auch da habe ich mir einfallen lassen, dass ich nicht als Kapitän oder Militär herumlaufe und ich konnte das auch durchsetzen: Wenn ich einen der reichsten Männer der Welt spiele, dann komme ich einfach im Lacoste-Hemdchen. Schauen Sie sich den Onassis an, habe ich gesagt. Regisseur Kershner meinte: „That‘s a good idea.“ Und so durfte ich Kim Basinger küssen, im Polohemd!
„Feinde“, ARD So 3.1. 20.15 Uhr