Hamburg. Nadine Künzer lebt davon, sich und ihre Umgebung anzuzünden. Aktuell wird die Feuerkünstlerin kaum gebucht. Muss sie aufgeben?

Ein Metallrahmen in Herzform, Lampenöl und Löschhandtücher – zu jedem der vielen Gegenstände, die die Feuerkünstlerin Nadine Künzer in ihrem Kellerlager berührt, hat sie einen Kommentar oder eine Anekdote parat. Die Hula-Hoop-Reifen mit entflammbaren Aufsätzen? „Fast alle selber gebaut. Jeder kennt sie, aber keiner weiß, was man damit alles machen kann.“ Die Feuerschalen mit Tongranulat? „Der dreckigste Teil meiner Show, da laufen auch öfter mal Leute rein, weil sie auf ihr Handy gucken.“ Doch die Requisiten, mit denen sie normalerweise einen „Wow-Effekt“ auf Festivals, Straßenfeste und Privatfeiern bringt, sind aktuell dauerhaft vor den Augen der Öffentlichkeit versteckt.

Denn längst sind es nicht mehr nur Künzers Hula-Hoop-Reifen, die brennen – ihre ganze Branche tut es: Für Künstler und Veranstaltungsbetriebe ist die Corona-Pandemie besonders existenzbedrohend. Theater, Kinos, Konzertbühnen und Museen mussten ihre Türen schließen. Die Bundesregierung will die Betroffenen zwar unterstützen, etwa mit der so genannten „November-“ und „Dezemberhilfe“, die Unternehmen und Selbstständige seit dem 25. November beantragen können.

Corona-Hilfen für freiberufliche Künstler: "Kompliziert, undurchsichtig, frustrierend"

Künzer hilft das nicht. Sie hat keinen Steuerberater, der habe sich bei ihren geringen Umsätzen bisher nicht gelohnt. Auch eine Beratungsstelle zu finden, sei schwierig. „Die Sachen, die ich mache, sind grundsätzlich immer recht speziell, so dass niemand zuständig ist oder sich wirklich auskennt“, sagt Künzer. Daher arbeitet sie sich selbst durch die Dokumente und tauscht sich mit Kollegen aus: Kriege ich die Hilfen, ja, nein, vielleicht? Sie hat keine laufenden Betriebskosten, keine Einrichtung, die explizit geschlossen wurde, ihre Arbeitgeber sind oft Privatpersonen. „Ich lese das durch und versuche zu interpretieren, was das bedeutet.“ Kompliziert, undurchsichtig, frustrierend – so beschreibt Künzer den Prozess.

Vor genau einem Jahr, im November 2019, zog sie von Kiel nach Hamburg und traf die Entscheidung, die Kunst zu ihrem Hauptberuf zu machen. Davor ist die studierte Geowissenschaftlerin jahrelang zweigleisig gefahren, hat sich neben dem Vollzeitjob im Museum am Wochenende mit ihrem vollgepackten Opel Astra aufgemacht, um Solo-Shows als Feuerkünstlerin aufzuführen. „Aber ich wollte keine Abstriche mehr machen, sondern mich intensiv mit Kunden austauschen und Shows genau vorbereiten“, sagt Künzer. Also der Wechsel in die komplette Selbstständigkeit – mit denkbar schlechtem Timing, wie sie heute weiß.

Feuerkünstlerin Künzer fehlt die Gemeinschaft

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2019 konnte Künzer noch vor großem Publikum auftreten, hier bei einer Feuershow mit Seifenblasen auf dem M'era Luna Festival in Hildesheim. © Robin Schmiedebach | Robin Schmiedebach

Die Begeisterung für den Beruf ist ihr trotzdem anzumerken. Die Farben des Feuers trägt sie auch am Körper: Rot-schwarz gefärbte Haare, rot-schwarze Mütze, rot-schwarzer Pullover, rote Herzen auf der schwarzen Alltags-Maske. Eine spezielle Ausbildung für Feuerkünstler gibt es nicht, für ihre Kunst hat Künzer sich alles selbst beigebracht. Nachdem sie als 18-Jährige die ersten Pois – kleine Bälle mit eingebauten LED-Lichtern – von einem Freund in die Hand gedrückt bekam, hat sie YouTube-Videos nachgetanzt, Workshops von Profis besucht und sich auf Conventions und anderen Veranstaltungen mit Fakiren, Jongleuren und Feuerkünstlern ausgetauscht.

Die Gemeinschaft fehlt nun, auch wenn Künzer täglich mit anderen zusammen online Yoga macht und sich über den Sommer öfter mit Künstlern für gesellige Abende über Zoom zusammengeschaltet hat. „Ich denke darüber nach: wann ist die nächste Demo? Weil ich gerne was erleben will“, sagt Künzer. Keine „Querdenker“-Demo, „no no“, wie sie betont. Sondern „Alarmstufe Rot“ vom Bündnis der deutschen Initiativen und Verbände der Veranstaltungswirtschaft.

Bei Feuershows in der Corona-Zeit wäre Abstand kein Problem

Wenn sie für ihre 20-Minuten-Show die Bühne betritt, erwartet sie volle Aufmerksamkeit vom Publikum – egal ob auf dem Musikfestival „M’era Luna“, das jährlich tausende Gäste aus der Schwarzen Szene nach Hildesheim zieht, oder in einem privaten Garten. Ihre Shows sollen den Leuten Spaß machen, Emotionen vermitteln. Sie selbst lächelt viel, wenn sie auftritt, das kann man aktuell nur auf YouTube sehen. Den Kontakt mit dem Publikum stellt sie unter anderem mit Mutproben her. „Es ist eigentlich so, als würde man über eine etwas größere Kerze fassen“, sagt sie über die Metallfackeln, die sie dafür verwendet – und schon über jeden möglichen Körperteil bewegt hat. „Ich erzähle das immer sehr gerne, denn dann vergisst man mich nie wieder, weil man lustige Bilder im Kopf hat“, sagt Künzer. Ihr gefallen die wilden, komischen Seiten an ihrem Beruf: Sie hat schon auf brennenden Tischen getanzt, auf schwimmenden Flößen gespielt und auf Stelzen mit Flammen hantiert.

Künzers Performance findet meist im Freien statt. „Abstand ist bei meinen Shows in der Regel auch gar kein Problem“, sagt Künzer. „Den Unterschied macht Corona für die Gäste.“ Anfang November hatte sie einen ihrer selten gewordenen Auftritte, in einem Seniorenheim - da nur mit LEDs und Seifenblasen statt mit Feuer. Dort durfte Künzer das Gebäude nicht betreten, die Bewohner saßen hinter einem Zaun oder schön warm eingepackt auf dem Balkon. Rechtlich sei das in Ordnung, sagte ihr Auftraggeber. „Ich muss mich da immer sehr auf den verlassen, der mich bucht. In jedem Bundesland und von Einrichtung zu Einrichtung ist es so unterschiedlich, ich kann es nicht überblicken. Und selbst wenn ich es einmal weiß, das muss ja in einer Woche gar nicht mehr gelten. Es ändert sich am laufenden Band und alle sind unsicher“, sagt Künzer. Das bedeute auch, dass viele sich nicht getraut hätten, sie zu buchen. Auch wenn sie es vor dem Lockdown vielleicht noch gedurft hätten. 20 Shows hat Künzer 2019 nebenberuflich gespielt, zehn waren es stattdessen in diesem Jahr – um die 50 müssten es sein, um davon leben zu können.

Feuerkünstlerin beteiligte sich an Quarantäne-Kunstprojekt

Mit ihrer finanziellen Lage kann Künzer erstmal umgehen, sie bezieht Grundsicherung und lebt mit ihrem Freund zusammen: „Ich bin nur ein Kleinkünstler. Ich brauche nicht mal tausend Euro im Monat und es ist okay.“ Die aktuelle Situation belastet sie vor allem emotional: „Alle sagen: Du hast so viel Zeit, mach doch was Produktives, lerne etwas, sei kreativ, such‘ dir ein Projekt. Aber nach fast einem Jahr ist es wahnsinnig schwer, immer wieder und immer noch die Motivation zu finden.“ Von März bis August hat Künzer ein bundesweites Quarantäne-Kunstprojekt mitorganisiert, für ihre eigenen Shows Kleider genäht, Requisiten gebaut, und für die Auftritte, die sie spielen durfte, intensiv neue Ideen entwickelt. Einige Projekte, zum Beispiel ein Design für Autoaufkleber, hat sie aber auf halber Strecke abgebrochen – da ist ihr die Energie ausgegangen. Absagen seien immer schwerer zu verkraften. Nach ihrem Auftritt im Seniorenheim Anfang November brauchte sie erstmal ein paar Wochen Ruhe.

Auch das Training bleibt auf der Strecke, ohne Deadlines, auf die man hinarbeiten kann. Künzer ist sportlich, in ihrer Jugend Einrad gefahren und hat während ihrer Studienzeit in Kiel zwei Mal die Woche für mehrere Stunden Flow Arts trainiert – so nennt sich die Bewegungskunst, die ihren Auftritten zugrunde liegt. Doch im Corona-Jahr 2020 hat sie sich gleich beim ersten Auftritt nach dem Frühjahrslockdown den Rücken verhoben, sagt Künzer: „Seitdem habe ich Probleme und muss regelmäßig entsprechende Übungen machen. Mit 27!“

Schon vor Corona musste Künzer sich oft anhören, dass ihre Kunst nur ein Hobby sei. Dass man für etwas, das einem Spaß macht, kein Geld nehmen kann. Sie hat in diesem Jahr selbst viel darüber nachgedacht, wieder in einen anderen Job zurückzukehren – zumindest in Teilzeit. Andererseits schaut die Feuerkünstlerin auf 2020 zurück und sagt: „Das Networking mit anderen Künstlern, die neu entwickelten Showkonzepte und Kostüme – das will ich doch nicht verpassen! Denn das ist es ja eigentlich, was ich tun möchte. Und nichts Anderes.“ Es muss irgendwie weitergehen.