Hamburg. Die Soulmusikerin Miu lud ihre Fans am Nikolaustag zu einem charmanten Internet-Konzert ins Heimstudio.
In den seelenvollen Gefilden des Pop, in der Soulmusik, kommt der Stimme eine besondere Rolle zu. Mit einer extra Portion zartbitterem Schmelz verhandelt der Gesang da Leben, Leiden und Lieben. Soulstimmen sind formidable Geschichtenerzählerinnen. Und vor allem in der Adventszeit wächst ja unser aller Bedürfnis nach emotionalen Storys, ob neu oder alt, gerne verstärkt durch Melodie und Rhythmus.
So ist es eine feine Idee der Hamburger Soulmusikerin Miu, am Nikolausnachmittag zu einem vorweihnachtlichen Konzert zu laden, um eigene und winterliche Songs zu präsentieren. Corona-konform sendet die Musikerin von zu Hause aus ins Internet. Zu 15 Euro hatte sie vorab Tickets verkauft. Auch um klarzustellen: gestreamte Musik ist nicht automatisch kostenlose Musik.
Lichterketten zieren die Gitarren an den Wänden sowie ihr Rhodes-Piano
Mius Heimstudio in Schleswig-Holstein, am Rande Hamburgs, erstrahlt für die saisonale Sause in hübschem Glanz: Lichterketten zieren die Gitarren an den Wänden sowie ihr Rhodes-Piano. Und nach technischen Schwierigkeiten zu Beginn kann Miu dann auch mit etwas Verzögerung ihr Publikum begrüßen, das sich unter anderem aus Mannheim und Nürnberg, aus dem Schwarzwald, Hannover und Hamburg zugeschaltet hat. „Einmal durchatmen“‟ – und dann geht es sofort hinein in die Musik.
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Miu spielt Piano und singt eine Weihnachtsvariante von „Drifting Away“. Die Ballade von ihrem 2019 erschienenen Album „Modern Retro Soul“‟ zieht sanft ins Herz hinein. Ein schöner Auftakt, der sich wie Balsam auf die von der Pandemie aufgeriebene Seele legt. Denn sofort schillert ihre Stimme vielschichtig. Satt und butterweich, suchend und tröstend.
„Ich freue mich, dass ihr uns ein bisschen Perspektive gebt“, sagt Miu – und meint damit die rund 90 Zuschauerinnen und Zuschauer, die an diesem Sonntag über einen privaten YouTube-Link dabei sind. Die Geld ausgegeben haben für live dargebotene Kultur.
„So viel mehr“‟ schwingt da mit in ihrem Gesang
Und die in den Kommentaren ihre Zuneigung für Mius Kunst bezeugen. Diese Aufmerksamkeit ist ohnehin wichtig. Aber in Pandemie-Zeiten erst recht. Quasi als Motto-Song für dieses außergewöhnliche Jahr 2020 folgt „Easy“. Für all das Durchhalten und Weitermachen. „Ich arbeite so hart, um es leicht aussehen zu lassen“, heißt es in dieser beschwingten Nummer Mius, die mit bürgerlichem Namen Nina Graf heißt.
Praktisch bei so einem hygienegerechten Heimkonzert ist es natürlich, einen Menschen zu haben, mit dem man „Haushalt, Musik und Leben teilt“, wie Miu zwischendurch erläutert und Magnus Landsberg ins Bild bittet. Der Musiker kommt mit sonorem „Ho ho ho“ herein und begleitet sie bei einigen Stücken an der Gitarre, etwa bei „It’s A Trap“, einem Song übers Erwachsensein.
Bei einer Nummer wie „So Much More“ entfaltet sich das Volumen von Mius Stimme wunderbar samtig und sehnsuchtsvoll. „So viel mehr“‟ schwingt da mit in ihrem Gesang. Tiefe und Träume, Erinnerungen und Möglichkeiten. Eben all die kleinen großen Dinge und Gefühle, mit denen Popsongs über unseren Alltag hinausweisen können. Selbst wenn alle für sich in den eigenen vier Wänden sitzen.
Eine „Wander-CD“, die statt ihrer Band auf Tour geht
„Singt doch beim nächsten Song gerne eure Couch und euren Laptop an“, sagt Miu einmal, lacht und stimmt auf ihrer Gitarre den Song „Speechless“ an. Eigentlich sei die Nummer mit dem munteren „Blablabla“-Refrain der Abschluss ihrer Liveshows, erklärt Miu.
Da aber zuletzt mehr als 40 Auftritte Corona-bedingt ausgefallen seien, hat sie sich eine Aktion überlegt: Statt die CDs, die sie sonst bei Konzerten verkauft hätte, im Keller verstauben zu lassen, möchte sie die Alben nun auf Reisen schicken.
Gegen eine Portogebühr wird Miu ihre Platten versenden – mit der Bitte, sie nach dem Hören weiterzureichen. In der Nachbarschaft oder an weiter entfernte Freunde. Eine „Wander-CD“, die statt ihrer Band auf Tour geht. „Vielleicht kriegen wir dann irgendwann aus Südafrika Nachrichten zu unserer Musik“, sagt sie.
Ein wahrhaftiges Konzert, das aus der Not hochgradig charmant eine Tugend macht
Das Auf und Ab dieser herausfordernden Tage macht eben erfinderisch. Miu kann ein Lied davon singen. „Up & Down“, das sich auf „Modern Retro Soul“ in dunkler Opulenz steigert, wird im Heimkonzert zu einer reduzierten Nummer von intimer Eindringlichkeit.
„Ich hoffe, ihr habt zu Hause, Glühwein, Tee, Kekse und dicke Socken“, sagt Miu und spielt zur Ukulele ein lässiges „Santa Baby“. Den modernen Klassiker „Have Yourself A Merry Little Christmas“ wiederum interpretiert sie so dermaßen warm und zugleich melancholisch, dass in den Kommentaren zu Recht von „Gänsehaut“ zu lesen ist. Ein wahrhaftiges Konzert, das aus der Not hochgradig charmant eine Tugend macht. Das Nähe herstellt über den Bildschirm. Und zwar mit reichlich Seele.