Hamburg. Deutschsprachige Erstaufführung von „Die Turing-Maschine“ überzeugt dank der beiden Schauspieler und der Regie.
Die besten Geschichten schreibt das Leben, heißt es. Aber nicht immer sind es die schönsten, obwohl viel Wahres in ihnen steckt. Wenn dann im Hintergrund einer Bühne noch Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Bomben-Explosionen und landenden Truppen aus dem Zweiten Weltkrieg sowie mathematische Formeln und Zahlenkolonnen über die großen Videoleinwände flimmern, lässt sich erahnen, dass hier menschliches Leid und wissenschaftliche Komplexität eine Koexistenz bilden.
Wie im Fall des Briten Alan Turing (1912-1954), einem der Urväter der Informatik, der Künstlichen Intelligenz, dessen eine Leidenschaft darin lag, die Zahl Pi bis zur 36. Stelle hinter dem Komma zu berechnen. Das erfahren die Zuschauer im Theater im Zimmer nach den etwas verstörenden Bildern schnell. Auf der Bühne liegt ein Apfel, ebenso auf den Tischen, die zwischen den Sitzreihen, besser gesagt 44 einzelnen Stühlen und Stuhlpaaren für Abstand sorgen. Was es mit dem Apfel auf sich hat, zeigt sich gut 75 Minuten später, wenn „Die Turing-Maschine“ ihr Ende gefunden hat.
Alan Turing – erst kauzig, dann erniedrigt
Ein tragisches Ende einer zutiefst menschlichen Geschichte, die bei der deutschsprachigen Erstaufführung am Wochenende in der Vila an der Alsterchaussee mit minutenlangen Beifall für das Ensemble bedacht wurde. Und die – falls erlaubt – Anfang Dezember unbedingt wieder gezeigt werden soll.
Das hätten insbesondere die nur zwei Schauspieler verdient. Axel Holst gibt bei seinem Hamburg-Debüt Alan Turing zunächst als kauziges, auch mal verspieltes Genie. Das trägt zuweilen komische Züge. Immer wieder spricht er in kurzen Monologen. In Rückblenden zeigt sich mehr und mehr die Einsamkeit und Verzweiflung eines Mannes, der von Vorgesetzten und Mitmenschen erniedrigt wurde. Turing stottert, er schwitzt – nicht nur, wenn er in seinem Laufdress in Zeitlupe losjoggt, sondern auch in seinem Anzug. Dieser Mann leidet. Axel Holst drückt es mit gekrümmter Haltung aus, sehnsuchtsvoll sind seine Blicke.
Turings entschlüsselte den Enigma-Code
Turings auch in den 50er-Jahren noch strafbare Homosexualität lässt die Entdeckung seiner Denkmaschine, die 1941 eine entscheidende Rolle für den Sieg der westlichen Alliierten über Nazi-Deutschland gespielt hatte, in den Hintergrund rücken. Sein Schwulsein macht ihn erpressbar. Dass er den Enigma-Code der Wehrmacht entschlüsselte, heften sich andere ans Revers.
Allen voran Turings Kollege, der zweimalige britische Schachmeister Hugh Alexander. Raphael Dwinger spielt ihn äußerst gekonnt mit kühl distinguierter Herablassung. Dem Schauspieler, im März Lockdown-bedingt nur zweimal in „Leonce und Lena“ im Ernst Deutsch Theater zu erleben, nimmt man hier auch Turings jungen Geliebten und einen misstrauischen britischen Inspektor ab.
In Frankreich gewann "Die Turing-Maschine" vier Preise
Obwohl dieser im Zweiten Weltkrieg familiär Todesopfer zu beklagen hatte, zeigt sich der Polizist am Ende als einzig Mitfühlender. Doch da ist Alan Turings Leben längst zerstört.
„Die Turing-Maschine“, nach der Uraufführung im Vorjahr in Paris gleich mit vier der französischen Theaterpreise „Molière“ ausgezeichnet, haben Regisseur Jean-Claude Berutti („Ziemlich beste Freunde“) und Dramaturgin Sonja Valentin im kleinen Theater im Zimmer zu einem bewegenden Psychospiel verdichtet, umgeben von Hightech. Szenisch spielt sich im Stück eigentlich gar nicht so viel ab, umso mehr überzeugen die punktgenauen Dialoge und die Schauspielerleistung.
„Die Turing-Maschine“ wieder geplant ab 5.12. im TiZ, Alsterchaussee 30, Karten zu 49,-: T. 44 88 44; www.theater-im-zimmer.de