Berlin. Ein Gespräch mit Die Ärzte über das neue Album „Hell“, Bier und Beatles, Raufasertapeten und rechtspopulistische Volksparteien.

Die „beste Band der Welt“ ist zurück: Acht Jahre nach „auch“ veröffentlichen Die Ärzte – aus Berlin! - am 23. Oktober mit „Hell“ ihr Comebackalbum. Wir trafen die drei in Würde nicht reifer gewordenen Punkrocker Farin Urlaub, Bela B und Rodrigo Gonzáles in der Columbiahalle in Berlin, wo das Trio bis auf den wie immer schweigsamen Rod kein Blatt vor den Mund nahm.

Bela, Du hattest mal erzählt, dass die Frage nach einem Comeback der Die Ärzte an den Western „The Good, The Bad and the Ugly“ erinnerte: Drei Cowboys warten darauf, bis der erste zieht – und dann zieht keiner. Wer hat denn jetzt zuerst geschossen?

Bela: Ich habe nach unserer letzten Tour 2013 den Kontakt immer gehalten, hauptsächlich durch Scherz-SMS, bis wir uns 2015 zum Essen getroffen haben, um mal den Stand der Dinge zu besprechen. Nachdem wir 2016 in Jamel fast spontan zusammen „Schrei nach Liebe“ gespielt haben, kamen einige Festivalanfragen, aber wir haben uns noch zwei Jahre Zeit gelassen, uns mit dem Gedanken anzufreunden. Wir wollten nicht als Band auf die Bühne gehen, die ihre Vergangenheit verwaltet. Zum Glück hat Farin noch zwei Songs in der Schublade gehabt.

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  • Farin: 2019 waren wir dann auf Europatournee und Festivals, und jetzt wissen wir mehr. Wir waren vor sieben Jahren müde voneinander. Es kam nie zum Äußersten, dass man sich Schläge androht oder Sachen sagt, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Gegen Ende war es nicht mehr sehr liebevoll, schlimm genug. Aber jetzt ist die alte Liebe wieder da, was man hoffentlich auch hört.

    Ihr hattet alle einen „Plan B“, wie ein neuer Song heißt: Rod spielte mit Abwärts und ¡Más Shake! und drehte die Doku „El Viaje“, Bela nahm zwei Alben auf und schrieb den Roman „Scharnow“ und Farin widmete sich seiner Band Farin Urlaub Racing Team und der Fotografie. War das auch eine Ablenkung vom Dasein als beste Band der Welt?

    Farin: Nee, wir mussten uns nichts mehr beweisen.

    Rod: Dafür war ich mit Abwärts auch nicht erfolgreich genug. Ich werde es euch zeigen – vor 120 Zuschauern!

    Bela: Keiner von uns hat daran gedacht, mit den Ärzten zu konkurrieren. Allerdings haben wir in den modernen Zeiten auch verlernt, uns seriös zu langweilen. Wer nimmt sich heute noch die Zeit, auf eine Tapete zu starren und zu sinnieren: Oh, Raufaser, wann kommt da wohl das Comeback?

    In ungezählten Liedern wie „Punk ist…“ oder jetzt „Morgens Pauken“ erklärt Ihr, das alles Punk ist. Sogar die CDU. Bereitet Euch das diebisches Vergnügen, immer wieder Öl und Dosenbier ins Feuer der Was-ist-Punk-Diskussion zu gießen?

    Bela: Ich habe mich mal auf YouTube-Kanälen von rechtspopulistischen Volksparteien herumgetrieben, wo uns vorgeworfen wurde, dass wir nicht Punk wären, weil wir uns politisch links einordnen. Punk sei von Natur aus unpolitisch. Aha? Als nächstes beruhigte mich ein Freund, als ich mich abfällig über einen ihm bekannten „Bild“-Redakteur äußerte: „Komm jetzt, Bela, sei doch mal nachsichtig, im Herzen ist der doch auch’n Punk“. Da reichte es mir. Als Rod mir „Morgens Pauken“ vorspielte, schrieb sich der Text wie von selbst.

    Den Text zur aktuellen Single „True Romance“ über eine Dreiecksbeziehung mit den Sprachassistentinnen Siri und Alexa wird in 30 Jahren niemand mehr verstehen.

    Farin: Ein bisschen Schwund ist immer. Aber man kann nicht jeden Song für die Ewigkeit schreiben. Und ich brauchte diese Reime unbedingt.

    Bela, verwandelst Du Dich gern in Lebensmittel? Du warst schon eine Currywurst, hast Bananen und Blumen besungen und jetzt singst Du in „Einmal ein Bier“ aus der Sicht eines Pilseners.

    Bela: Nicht ganz. Es geht in dem Song um die Bierwerdung. Ich bin ein großer Freund von primitiverem Punkrock, auch gerne weniger intellektuell ist wie Die Kassierer, Lokalmatadore oder Eisenpimmel. Und ein Thema eint diese Szene neben Staat und Polizei am meisten: Bier. Ich wollte der Thematik eine Lewis C. Carroll-Facette hinzufügen. Alice in Beerwonderland oder Wonderbeerland oder so ähnlich. Es sollte ein Bierlied werden, das es so vorher noch nicht gab und das ist mir glaub ich gelungen.

    Maximal punkig ist auch „Alle auf Brille“, eine schief gesungene Grölnummer. So klingen Die Ärzte also ohne Autotune.

    Bela: Erstens ist „Hell“ die erste Ärzteplatte, auf der wir Autotune benutzen und zweitens habe ich festgestellt, dass in „Alle auf Brille“ Töne vorhanden sind, die gar nicht existieren. Da kann sich jeder Jazzsänger mal eine ordentliche Scheibe von abschneiden. Steckt euch eure Blue Notes sonst wohin. Die Idee kam aus dem Nichts, aus purer Liebe zum Oi-Streetpunk. Immerhin war Cock Sparrer meine erste Punkband, die ich gehört habe, ein Heidenspaß.

    Farin: Mit dem Song betreiben wir Geschichtsverfälschung. Wir nehmen die Essenz dieser Musik, machen sie aber viel besser.

    Rod, Du schreibst zwar nicht viele Songs für Die Ärzte, aber die sind immer toll wie „Dinge von denen“, „Sohn der Leere“ oder jetzt „Polyester“, der sehr an David Bowie erinnert. Qualitätsrock.

    Bela: Qualitätsrock?

    Rod: Qualitätsrock.

    Farin: So mit kleinem Prüfsiegel? Das ist super, das werden wir mal für eine Ansage benutzen.

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    © Hot Action Records

    Wenn Ihr die Beatles seid, ist Rod dann George Harrison, der beste Musiker und unterschätzte Songschreiber …

    Farin: … der sich von Eric Clapton die Frau ausspannen lässt?

    Bela: Und wie Ringo singt?

    Farin: Ich fand es super, als Rod 2012 auf der „auch“ ein Coming-out hatte und richtig viel geschrieben hat. Wenn er mehr Zeit hat, macht er mehr Songs und dann gibt es auch mehr Anwärter. Wir teilen ihm keine Quoten zu.

    Rod: Qualitätsrock.

    Rods „Dinge von denen“ ist schon ein geflügeltes Wort geworden, und ein weiterer Beweis, dass es für jede Lebenssituation einen passenden Song von Die Ärzte gibt.

    Farin: Das muss ich jetzt mal korrigieren: Es gibt für jede Lebenssituation mittlerweile zwei Songs von Die Ärzte.

    Rod: Und zwar aus beiden Blickwinkeln.

    Farin, in „Thor“ beschreibst Du Dein Dickwerden. Früher habt Ihr Euch in „Elke“ über Dicke lustig gemacht. Würdet Ihr das Lied heutzutage noch live spielen?

    Rod: Das spielen wir schon lange nicht mehr.

    Farin: Den haben wir aber auch totgespielt, wie ich zugeben muss. Bei anderen alten Liedern konnten wir neue Arrangements oder Blickwinkel finden, aber „Elke“ ist einfach durch.

    Bela: Was man „Elke“ zugute halten muss: Er hat Hunderttausende Metalfans dazu gebracht, auch weiter Die Ärzte zu hören in ihren schwachen Momenten. In den 80ern haben wir ja sonst kaum verzerrte Gitarren benutzt. Aber spätestens seit „Cpt. Metal“ 2012 ist „Elke“ obsolet.

    Nervt es Euch nicht, dass „Schrei nach Liebe“ nach 27 Jahren immer noch aktuell ist?

    Farin: Das nervt total. Auch wie weit die Rechten ihre Thesen in der Mitte der Gesellschaft verankert haben. Also die, die in der Mitte ankommen, ihre eigentlichen Ziele verstecken sie jetzt besser als 1993.

    Auf „Hell“ werden Neonazis, Reichsbürger und andere Volksgenossen in vier Songs direkt oder indirekt erwähnt. In „Woodburger“ singt Farin, wie er in die AfD eintritt, um sich dann im Bundestag als Schwuler zu offenbaren und die Abgeordneten über die Plenarsaalbänke gelehnt ranzunehmen. Ist das nicht eine sehr geschmacklose und billige Provokation?

    Farin: Mit Sicherheit. Aber es funktioniert. Manchmal ist billig einfach das Beste.

    Bela: Diesen Song schrieb Farin ja nicht, um damit eine neue Hymne zu schaffen, sondern seinen Mitmusikern mit diesem tollen Jazz-Soul-Refrain mit dem coolen aber total infantilen Text die Tränen in die Augen zu treiben: Stempel drauf, ist gelungen. „Woodburger“ ist Dein „Imagine“, Farin.

    Das dürfte für Publicity sorgen, auch wenn ihr wohl nicht wie Santiano oder Helene Fischer Teile der Fanszene verlieren dürftet.

    Bela: Krasser war es noch bei Roland Kaiser, der sich zum Beispiel mit einer Rede in Dresden sehr klar positioniert hat, was für einen Schlagersänger doch ungewöhnlich ist. Da haben doch einige Pegida-Leute seine CDs verbrannt. Der Roland ist einer von uns, sieben Fässer Wein!

    Warum sollte man in Zeiten wie diesen auf die Ärzte hören, und damit meine ich nicht nur die Band Die Ärzte?

    Bela: Man sollte immer auf kompetente Experten hören. Wenn ich etwas über „Mein Kampf“ wissen will, dann frage ich keinen Arzt, sondern jemanden von der AfD. Ich hole mir doch keine Informationen von Köchen oder gescheiterten Radio-DJs, wenn es um eine Pandemie oder Weltpolitik geht.

    Farin: Das Problem im Augenblick ist, das jeder nach dem Lesen von drei Wikipedia-Artikeln zu wissen glaubt, wie diese sehr komplexe Welt funktioniert. Na ja, das Internet ... Es ist ganz praktisch, wenn ich uralte Lieder von uns wie „Klaus, Peter, Willi und Petra“ aufstöbern muss, aber sonst?

    Bela: YouPorn!

    Rod: Suchbegriff: Qualitätsrock.